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Verkehrssicherheitspreis für Unfallchirurgin

Leipzig: Der Verband der Motorjournalisten (VdM) hat Dr. Julia Seifert für ihre herausragenden Arbeiten zur medizinischen und technischen Analyse realer Straßenverkehrsunfälle mit dem Goldenen Dieselring ausgezeichnet. Die 44-jährige Privatdozentin ist leitende Oberärztin am Unfallkrankenhaus Berlin und hat unter anderem in Greifswald den Einfluss psychologischer Faktoren auf das Unfallgeschehen untersucht und Fußgängerunfälle in Berlin im Detail analysiert.

Der Verkehrssicherheitspreis des VdM, der Goldenen VdM-Dieselring, wurde Dr. Seifert im Rahmen eines Festaktes am 1. Juni 2012 am Vorabend der AMI in der Messe Leipzig übergeben. Der Ring, in den ein Splitter des ersten Versuchsmotors von Rudolf Diesel aus dem Jahr 1893 eingearbeitet ist, wird seit 1955 jährlich an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die sich um die Verkehrssicherheit und die Verringerung von Unfallfolgen verdient gemacht haben. Im Vorjahr hatte der VdM den Präsidenten der Deutschen Verkehrswacht Kurt Bodewig mit dem Dieselring geehrt. Da Kurt Bodewig nicht zum diesjährigen Festakt kommen konnte, um den Original-Dieselring zu übergeben, überbrachte Andreas Keßler, VdM-Arbeitskreisleiter Berlin, den Originalring.

Dr. Julia Seifert, die diesjährige Preisträgerin, hatte ab dem Jahr 2000 an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald ein umfangreiches Unfallforschungsprojekt aufgebaut, in dem reale Verkehrsunfälle im Rahmen von sogenannten In-depth-Unfalldatenerhebungen im Detail untersucht wurden. Unterstützt von 20 Studenten der Fachrichtungen Maschinenbau und Medizin nahmen die Unfallforscher schwere Verkehrsunfälle vor Ort auf. „Unser Team wurde dazu zeitgleich mit Polizei und Rettungsdiensten alarmiert und durfte auch mit Blaulicht zum Unfallort fahren“, berichtet Dr. Seifert. Rund 3.000 Einzeldaten pro Unfall wurden erhoben und ausgewertet. Wichtige Erkenntnisse über das reale Unfallgeschehen, die Verletzungen der beteiligten Verkehrsteilnehmer und die Notfallversorgung ließen sich so gewinnen. Neben der Fahrzeugtechnik und Umgebungseinflüssen, wie zum Beispiel Alleen, Autobahnen oder fehlenden Leitplanken untersuchte Dr. Seifert auch individuelle und persönliche Faktoren der Unfallbeteiligten, die Einfluss auf das Unfallgeschehen haben.

So untersuchten die Unfallforscher mit standardisierten Interviews etwa die Risikobereitschaft der Unfallbeteiligten. „Dabei zeigte sich, dass Frauen und Männer grundsätzlich gleichermaßen risikobereit sind“, erläutert die Unfallforscherin. „Deutliche Unterschiede aber gibt es beim Risikoprofil. Während Frauen versuchen, sich auszuprobieren und Grenzen auszuloten, suchen Männer das Abenteuer und den Kick.“ Die Unfallforscher bezeichnen das Risikoprofil der Frauen als „experience seeking“, das der Männer als „adventure seeking“. Mit zunehmendem Alter, so ein weiteres Ergebnis, nimmt die Risikobereitschaft sowohl bei Männern als auch bei Frauen ab. Erstmals in Deutschland wurde damit im Rahmen der Unfallforschung auch der „menschliche Faktor“ untersucht.

Zurück als Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Unfallkrankenhaus Berlin widmete sich Dr. Seifert neben ihrer Arbeit in Klinik und Operationssaal weiterhin der Unfallforschung. Aktuell liegen die Ergebnisse einer In-depth-Unfalldatenerhebungen vor, in der Dr. Seifert und ihr Team reale Unfälle mit Pkw und Fußgängern in Berlin sowohl technisch als auch medizinisch untersuchen. Beteiligt sind hier neben dem Unfallkrankenhaus Berlin die Dekra Automobil AG und das Ford Forschungszentrum Aachen. In zwei Drittel der untersuchten Fälle war ein Fehlverhalten des Fußgängers unfallauslösend. Unachtsamkeit beim Überqueren der Fahrbahn oder beim Ein- oder Aussteigen aus Öffentlichen Verkehrsmitteln, Alkoholmissbrauch oder Überqueren einer Straße trotz roter Ampel waren die Hauptunfallursachen. War der Pkw-Fahrer für den Unfall verantwortlich waren vor allem überhöhte Geschwindigkeit, Unachtsamkeit und Alkohol die Ursachen. „Bemerkenswert auch, dass die meisten Unfälle beim Überqueren der Straße ohne Überweg und an Haltestellen Öffentlicher Verkehrsmittel passiert sind“, erläutert Dr. Seifert. Die Unfallchirurgin interessierte vor allem auch Art und Schwere der Verletzungen der Unfallopfer. Wie zu erwarten war, steigt die Verletzungsschwere mit der Kollisionsgeschwindigkeit. Zwei Drittel der in einen Unfall verwickelten Fußgänger wiesen schwere Mehrfachverletzungen auf, ein Viertel der Unfälle führte zu tödlichen Verletzungen. Neben Verletzungen der Beine erlitten fast alle Unfallopfer Kopfverletzungen, häufig durch den Aufprall auf die Windschutzscheibe. „Besonders schwere Verletzungen entstanden beim Anprall des Kopfes auf den Rahmen der Windschutzscheibe“, so ein weiteren Ergebnis.

„Von den vielen Fortschritten, die in den letzten Jahren für die Verkehrssicherheit gemacht wurden, profitieren die nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer und vor allem die Fußgänger leider am wenigsten“, urteilt Dr. Seifert. Auch in der Unfallforschung werden Fußgängerunfälle derzeit weniger berücksichtigt als Pkw-Unfälle. Die Berliner Untersuchung zu Unfällen mit Fußgängern bietet deshalb wichtige Anstöße und interessante Detailergebnisse für die weitere Arbeit.

„Ein Unfall verändert im Bruchteil einer Sekunde das Leben in allen Bereichen. Zukunft, Ideen, Arbeit und Familie sind oft völlig neu zu bewerten“, sagt die Fachärztin.. Deshalb reicht die Arbeit der Unfallchirurgen weit über die Notfallversorgung und die Operation hinaus. „Wir begleiten unsere Patienten oft über einen langen Zeitraum mit der Nachbetreuung, mit Gutachten, mit Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Arbeit und das soziale Umfeld.“

„Mit ihren Arbeiten in der Unfallforschung setzt sich Dr. Julia Seifert darüber hinaus für die Prävention ein, sagt Jörn Turner, kommissarischer Vorsitzender des Verbandes der Motorjournalisten, in seiner Begründung für die Preisvergabe. „Ihre Forschungsergebnisse zeigen Möglichkeiten auf, Unfälle zu vermeiden und Unfallfolgen zu mindern. Dieses herausragende persönliche Engagement ehrt der Verband der Motorjournalisten in diesem Jahr mit dem Goldenen VdM-Dieselring.“