//Müllers Kolumne: Tempolimit für die Moral

Müllers Kolumne: Tempolimit für die Moral

In der Ukraine tobt ein Angriffskrieg Russlands gegen Staat und Volk der Ukraine, dessen mittelbare Folgen für unsere (Auto-)Mobilität deutlich sichtbar sind. Der Spritpreis stieg in ungeahnte Höhen, um dort aufgrund der Kräfte des Marktes zu verharren. Aus der politischen Notlage, als Bundesrepublik Deutschland auf diese Aggression in unserer direkten Nachbarschaft angemessen reagieren zu müssen, werden auch mobilitätsbezogene Ideen geboren. Eine davon ist, den Energieverbrauch fossiler Energieträger im Auto- und Schienenverkehr drastisch zu reduzieren. Da war doch mal was!? Die Ideen aus den 70ern anlässlich der damaligen Ölkrise könnten wiederbelebt werden, als da wären autofreie Sonntage, allgemeine Tempolimits auf öffentlichen Straßen und Rationierung von Treibstoff. Auffällig ist nur, dass die Bundesregierung diese Ideen nicht einmal öffentlich ventiliert und daher bislang eine breite politische Diskussion verhindert. Zu Recht?

Umweltschutzvorschriften im Verkehrsrecht

Die StVO beinhaltet lediglich zwei Vorschriften, die sich direkt dem Umweltschutz zuwenden. Und diese werden von vielen auch noch als Fremdkörper angesehen, die dort nichts zu suchen hätten. Die beiden Regelungen lauten:

§ 30 StVO – Umweltschutz, Sonn- und Feiertagsfahrverbot
(1) Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen und Fahrzeugtüren übermäßig laut zu schließen. Unnützes Hin- und Herfahren ist innerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn Andere dadurch belästigt werden. …
Zeichen 270.1 Umweltzone

Ge- oder Verbot

1. Die Teilnahme am Verkehr mit einem Kraftfahrzeug innerhalb einer so gekennzeichneten Zone ist verboten.
2. § 1 Absatz 2 sowie § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anhang 3 der Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung vom 10. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2218), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 5. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2793) geändert worden ist, bleiben unberührt. Die Ausnahmen können im Einzelfall oder allgemein durch Zusatzzeichen oder Allgemeinverfügung zugelassen sein.
3. Von dem Verbot der Verkehrsteilnahme sind zudem Kraftfahrzeuge zur Beförderung schwerbehinderter Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder mit vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie blinde Menschen ausgenommen.
Das Zusatzzeichen zum Zeichen 270.1 nimmt Kraftfahrzeuge vom Verkehrsverbot aus, die mit einer auf dem Zusatzzeichen in der jeweiligen Farbe angezeigten Plakette nach § 3 der Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung ausgestattet sind.

Eine dem Umweltschutzgedanken verpflichtete Vorschrift über den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Schadstoffausstoß existiert in der StVO, immerhin der praktisch wichtigsten aller Verkehrsordnungen, übrigens nicht. Gleichwohl bedeuten behördliche Anordnungen von zulässigen Höchstgeschwindigkeiten mittels Verkehrszeichen wenigstens mittelbar auch eine Reduzierung von Schadstoffen, allerdings nur, wenn diese Vorschriften von den Fahrzeugführern eingehalten werden, die mittels fossiler Treibstoffe angetriebene Kraftfahrzeuge führen und deren Schadstoffausstoß im Fahrzeugschein abgelesen werden kann.

Im Straßenverkehrsgesetz findet sich immerhin eine Vorschrift, die Fahrzeughalter in die Pflicht nimmt, für die Umweltverträglichkeit ihrer Kraftfahrzeuge zu sorgen, allerdings gilt diese Pflicht aktuell nur für Kraftfahrzeuge, die auf deutschen Straßen noch gar nicht fahren.

1f StVG – Pflichten der Beteiligten beim Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion
(1) Der Halter eines Kraftfahrzeugs mit autonomer Fahrfunktion ist zur Erhaltung der Verkehrssicherheit und der Umweltverträglichkeit des Kraftfahrzeugs verpflichtet und hat die hierfür erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. …

Zudem müssen nach § 2 Abs. 5 StVG alle Bewerber um eine Fahrerlaubnis in ihrer Prüfung nachweisen, dass sie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügen und zu deren praktischer Anwendung in der Lage sind. Allerdings gilt diese Nachweispflicht nur für ihre theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung, wenn danach überhaupt in der Theorie gefragt und in der Fahrpraxis geschaut wird. Schon bei der nächsten Fahrt mit frisch erworbener Fahrerlaubnis können sie diese erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten getrost über Bord werfen, weil sie in Zukunft nie wieder danach gefragt, geschweige denn von der Polizei daraufhin überwacht werden.
Mit anderen Worten beinhaltet das Verkehrsrecht lediglich marginale Vorkehrungen für einen dauerhaft umweltbewussten und ressourcenschonenden Umgang mit fossilen Energieträgern.

Was würden allgemeine Sonntagsfahrverbote und Tempolimits bringen?

Die durch OPEC-Länder beschlossene Ölknappheit des Jahres 1973 war weltpolitisch durch den „Jom-Kippur-Krieg“ bedingt und sollte Druck auf die israelfreundlichen Staaten ausüben. Auch heute soll, so die Idee, ein weltpolitisches Zeichen gesetzt werden.
Die damalige Verordnung über Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen für Motorfahrzeuge blieb ein Unikat in der Geschichte der Mobilität in Deutschland und beinhaltete als plakative Hauptregelung ein Sonntagsfahrverbot, das wie folgt lautete:

Zu dem Sonntagsfahrverbot traten zwei generelle Tempolimits hinzu, die auf Autobahnen nicht schnelleres Fahren als mit 100 km/h und auf Landstraßen mit 80 km/h erlaubten. Diese Geschwindigkeitsbegrenzungen galten 6 Monate lang auf allen deutschen Straßen.

Der energiepolitische Einspareffekt wurde zwar damals nicht exakt ausgerechnet, aber die Einspareffekte lagen damals wie heute auf der Hand und wären überschlägig auch heute zu berechnen, wie es die Organisation Greenpeace getan hat. Sicher wären die Einspareffekte nur auf Zeit zu erzielen, weil Öl und Gas mittelfristig durch andere Lieferanten auf dem Weltmarkt ersetzt würden. Eine vergleichbare sechsmonatige verkehrspolitische Maßnahme wäre aber auch heute mittels Verordnung durchsetzbar. Auch verfassungsgemäß wäre eine solche Regelung, was durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Sonntagsfahrverbot für Lkw belegt ist (BVerfG, Ablehnung einer einstweiligen Anordnung vom 8. Oktober 1956 – 1 BvR 190/56, BVerfGE 6, 1-6).

Der moralische Aspekt

Ungleich bedeutungsvoller wäre allerdings der moralische Aspekt der hier diskutierten verkehrspolitischen Reaktion Deutschlands. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands speziell von russischem Öl und Gas liegt auf der Hand, ebenso die mindestens indirekte Finanzierung des russischen Angriffskrieges auf den Nachbarstaat. Die Forderung, auch die Verkehrspolitik müsse einen Beitrag zur Beendigung des Krieges leisten, ist vor diesem Hintergrund moralisch berechtigt, wenngleich in ihrem möglichen praktischen Einfluss auf das russische Regime durchaus umstritten. Ein Zahlungsstopp wäre jedoch unbestritten ein deutliches Zeichen an die Welt, wirtschaftlich keine gemeinsame Sache mehr mit einem Unrechtsstaat und seinem despotischen Machthaber zu machen.

Fazit

Der Umweltschutzgedanke und die Ressourcenschonung sind im Verkehrsrecht bis heute noch nicht angekommen. Sollte es tatsächlich die viel beschworene „Verkehrswende“ geben und hielte der Staat ernsthaft an seinem Ziel fest, eine unseren natürlichen Lebensgrundlagen orientierte Verkehrs- und Umweltpolitik umzusetzen, bestünde die Chance für Veränderungen hin zu einer wirklich nachhaltigen Verkehrspolitik. Eine verkehrspolitische Reaktion des Staates auf den russischen Angriffskrieg hätte eine mögliche katalytische Wirkung auf diesen Prozess, würde aber in erster Linie ein moralisches Ausrufezeichen setzen, das gerade deshalb gehört würde, weil Deutschland international dafür bekannt ist, bislang immer noch jegliches generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen abgewehrt zu haben. Bis dahin bedürfte es allerdings einer Gesetzesinitiative aus Bundestag, Bundesregierung oder dem Bundesrat.

Weiterführende Links:

Umweltbelastungen durch Verkehr (Umweltbundesamt)
hier klicken

Bundeszentrale für politische Bildung zum autofreien Sonntag
hier klicken

Diskussionsvorschläge Greenpeace
hier klicken

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.

Foto: TheDigitalArtist/Pixabay