Der Wissenschaftliche Beirat des BMDV – ein ungenutztes Potenzial für die Verkehrssicherheit
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) besitzt seit 1949 einen Wissenschaftlichen Beirat und feiert in diesem Jahr sein 75jähriges Jubiläum. Wenn ein Minister und seine Staatssekretäre sich als politisch verantwortliches Spitzenpersonal beraten lassen, noch dazu wissenschaftlich, sollte dies eine Gewähr dafür bieten, fachlich bessere Entscheidungen zu treffen, als dies ohne Beratung der Fall wäre. Insbesondere zu Fragen der Verkehrssicherheit wird dringend Rat benötigt; denn Deutschland dümpelt seit vielen Jahren auf der Stelle und erzielt keine messbaren Fortschritte, sondern ruht sich vielmehr auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus.
Fachliche Expertise des wissenschaftlichen Beirats
Aktuell gehören dem ehrenamtlich arbeitenden Wissenschaftlichen Beirat 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die nach ihrer fachlichen Expertise ursprünglich den beiden großen Gruppen Verkehrswirtschaft und Verkehrstechnik zugeordnet wurden. Deren Mitglieder werden auf Vorschlag der bereits im Beirat befindlichen Mitglieder vom Bundesminister für Digitales und Verkehr berufen. Auf diese Weise bleibt eine gewisse, sicherlich politisch erwünschte, Homogenität des Beirats erhalten.
Die fachlichen Professionen der vier weiblichen und vierzehn männlichen Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats sind aus der folgenden Zusammenstellung der erworbenen Doktortitel der Professorinnen und Professoren ersichtlich:
9 Dr.-Ing.
2 Dr. jur.
1 Dr. phil.
1 Dr. rer. nat.
4 Dr. rer. pol.
1 Dr. rer. soc.
Eine zentrale Aussage in der Darstellung des Wissenschaftlichen Beirats auf der Website des Ministeriums lautet:
„Bis heute ist der Beirat der einzige rein wissenschaftliche Beirat im Bereich des Bundesministeriums und weist so ein besonderes Alleinstellungsmerkmal aus.“
Diese Aussage ist allerdings fachlich unzutreffend; denn mit der Grenzwertkommission hält sich das BMDV einen weiteren wissenschaftlichen Beirat, der im vergangenen Jahr sein 20jähriges Bestehen feierte. Dabei handelt es sich um ein zehnköpfiges Expertengremium, das ebenfalls ausschließlich aus Wissenschaftlern der Professionen Verkehrsmedizin, Rechtsmedizin und Toxikologie besteht. Dieser Beirat wurde allerdings bei der Grenzwertbestimmung hinsichtlich des Wirkstoffes von Cannabis, Tetrahydrocannabinol (THC), unlängst vom BMDV ausgebootet und durch eine politisch willfährige THC-Grenzwerterhöhungskommission ersetzt (siehe meine Kolumne vom April 2024).
Der Wissenschaftliche Beirat schwieg zu diesem wichtigen Thema für die Verkehrssicherheit, und zwar erstens, weil er dazu nicht gefragt wurde und zweitens, weil er keine eigenständigen wissenschaftlichen Stellungnahmen abgibt. Er erstattet Gutachten, zu denen dessen Mitglieder auf Bitte des Ministers beauftragt wurden.
Fachliche Gutachten
Betrachtet man die Gegenstände der Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der letzten Jahre, so ergibt sich die folgende Einteilung:
2024 • Klimawirksamkeit des Luftverkehrs
• Deutschlandticket
2023 • Mobilitätswende in Stadt und Land
2022 • Kompensation zukünftiger Einnahmeausfälle des Staates aufgrund der Antriebswende im Straßenverkehr
2021 • Stadtverkehr der Zukunft
2020 • Effizienter Schienengüterverkehr
• Verkehrspolitik und Covid-19-Pandemie
• Fahrermangel im deutschen Straßengüterverkehr
2019 • Beitrag zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
• Drohnen im deutschen Luftraum
2018 • Luftreinhaltung in Städten
• Digitalisierung deutscher Seehäfen
2017 • Automatisiertes Fahren
• Verkehrsinfrastruktur
• Digitalisierung im Taximarkt
2016 • Klimastrategie im Verkehr
• Erstes Minderheitenvotum zur Klimastrategie
• Zweites Minderheitenvotum zur Klimastrategie
• Streiks und die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung
2014 • Auswahl und Abwicklung von Großprojekten
Keine Frage: Der Wissenschaftliche Beirat ist ein aktives Gremium, dessen in ihren Professionen überaus fachkompetente Mitglieder fleißig Auftrags-Gutachten verfassen. Zudem sind auch Minderheitenvoten möglich, was jedoch nur bei einem aller aufgelisteten Gutachten bislang der Fall gewesen ist.
Wer aufmerksam die Liste der bisherigen Gutachten liest, findet allerdings kein einziges Gutachten darunter, das sich inhaltlich mit den zahlreichen aktuellen Fragen der Verkehrssicherheit hinsichtlich des Verkehrsverhaltens der Verkehrsteilnehmer, der Verkehrssicherheit von Verkehrsmitteln oder der verkehrssicheren Gestaltung des Straßenraumes befasst hätte. Zudem findet sich ebenfalls kein Gutachten, das sich mit den bedeutsamen Reformen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), der Fahrzeug-Zulassungs-Verordnung (FZV) oder der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) beschäftigt hätte.
Da auch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), das Forschungsinstitut des BMDV, sich mit diesen Reformen des Verkehrsrechts nicht auftragsgemäß wissenschaftlich befasst hat, kann man nur konstatieren, dass sich das BMDV offensichtlich in Fragen der Verkehrssicherheit und des Verkehrsrechts nicht wissenschaftlich beraten lässt. Die Beteiligung der Verbände, die bei jeder Rechtsreform obligatorisch erfolgt, ersetzt jedenfalls keine wissenschaftliche Beratung und führt im Übrigen höchst selten zu einer Veränderung eines Referentenentwurfs, der üblicherweise dem ministeriellen oder gar Ministerwillen entspricht.
Die Frage nach dem „Warum?“ dieses Procedere darf gestattet sein, bleibt aber unbeantwortet.
Fazit
Ein Wissenschaftlicher Beirat eines Bundesverkehrsministeriums, dessen Aufgabe es laut Website ist, „den Bundesminister für Digitales und Verkehr in allen Fragen der Verkehrspolitik zu beraten“ verfehlt seinen Zweck, wenn er sich nicht der Hauptaufgabe des Straßen-, Schiffs- und Luftverkehrs widmen darf, die Verkehrssicherheit auf allen Verkehrswegen zu erhöhen. Auf diese Weise bleibt das immense wissenschaftliche Potenzial dieses besonderen Think-Tanks, die dieser für die Minimierung der Verkehrsunfalltoten und Verkehrsunfallverletzten fraglos hätte, ungenutzt.
Der Minister täte gut daran, die fraglos enorme fachliche Expertise seines Wissenschaftlichen Beirats auch für Fragen der Verkehrssicherheit und des Verkehrsrechts zu nutzen.
Weiterführende Links
Selbstverständnis des Wissenschaftlichen Beirats
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Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats des BMDV
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Bisherige Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMDV
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Grenzwertkommission
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THC-Grenzwerterhöhungskommission
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Müllers Kolumne April 2024
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.
Foto: BMDV