//Jetzt 45 Millionen Fahrlizenzen im Umlauf

Jetzt 45 Millionen Fahrlizenzen im Umlauf

Führerscheinstudie 2022: TÜV-Verband sieht sinkende Verkehrskompetenz in der Gesellschaft

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Zahl der Führerscheinprüfungen aller Klassen – gleich ob bestanden oder nicht – von 2013 bis 2019 um 16 Prozent gestiegen, wie aus der TÜV Führerscheinstudie 2022 hervorgeht. Dann kam die Pandemie-Delle, so Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer TÜV-Verband, bei der hybriden Pressekonferenz in Berlin am Mittwoch (16. November), und drückte die Zahl der Prüfungen auf 1,55 Millionen. Stellt man jedoch die ersten drei Quartale jenes Rekordjahrs 2019 dem entsprechenden Zeitraum des laufenden Jahres 2022 gegenüber, ist das alte Niveau praktisch wieder erreicht (1,31 zu 1,33 Mio.). Ständig nach oben geht dabei allerdings auch die Zahl der nicht bestandenen Prüfungen einschließlich der Durchfallquote bei Wiederholungsprüfungen. Im Sinken dagegen sieht Bühler die allgemeine Verkehrskompetenz der Gesellschaft, bei zunehmend komplexen Verkehrsverhältnissen.

Insgesamt sind heute in Deutschland 44,9 Millionen Führerscheine registriert, immerhin 39 Prozent mehr als in dem bei der Studie immer wieder als Referenz herangezogenem Jahr 2013. Da betrug der Bestand noch 32,3 Millionen Lizenzen aller Klassen. Der eine Grund für den Anstieg der Prüfungen ist der zunehmende Bedarf an Fahrlizenzen. Der Vergleich von Ballungszentren mit dem ländlichen Raum zeigt deutlich, dass abseits der Metropolen das eigene Fahrzeug für die meisten unverzichtbar ist. In Kommunen bis 5.000 Einwohnern beträgt die tägliche Autonutzung 78 Prozent, bis 20.000 Einwohner noch 74 Prozent, hingegen bei Städten über 500.000 nur noch 39 Prozent. Bühler: „Die Bedeutung des Führerscheins steigt, umso kleiner die Städte und Ortschaften werden. Das ist ein klarer Auftrag an die Politik, die Verkehrswende gerade in den ländlichen Regionen mit einem besseren Nahverkehr und mehr Radwegen voranzutreiben.“

Etwa zwei Drittel der Führerscheinbesitzer fahren zur Arbeits- oder Ausbildungsstelle, ebenso setzen sich dabei für Familie etc. ein, und sogar 75 Prozent sind im eigenen Auto unterwegs, weil sie fehlende oder begrenzte Mobilitätsalternativen in der Wohngegend beklagen. Auch viele Jüngere erklären, auf das Auto angewiesen zu sein, und generell gehöre der Führerschein zum Erwachsenwerden hinzu wie etwa Schulabschluss oder die erste eigene Wohnung – sagen immerhin 66 Prozent der (gemeinhin als nicht mehr so autoaffin geltenden Befragten) im Alter von 16 – 29 Jahren. Der Wert bei der Gesamtbevölkerung beträgt 72 Prozent in der repräsentativ in einer Forsa-Umfrage ermittelten Werte.

Der zweite Grund für die steigende Zahl an Prüfterminen ist die kräftige Zunahme nicht bestandener Prüfungen. Bei der theoretischen Prüfung lag nach Angaben des KBA die Durchfallquote im vergangenen Jahr 2021 bei 37 Prozent, 2013 betrug der Wert noch acht Prozentpunkte weniger. Bei der praktischen Prüfung wird die Zahl bestandener Abschlüsse getrennt für alle Klassen beziehungsweise separat für die Klasse B (Pkw) aufgeführt. So waren es 2021 insgesamt 30 Prozent, die beim ersten Anlauf keinen Erfolg hatten, bei der Klasse B sogar satte 43 Prozent. Diese Zahlen bedeuten eine erhebliche Belastung für das Prüfsystem. Vergangenes Jahr mussten 460.000 Wiederholungsprüfungen durchgeführt werden, mit einer erneut hohen Misserfolgsquote.

Die Zunahme der Prüftermine setzten Verband und Fahrschulen bei der Terminplanung in der jüngsten Zeit zusätzlich unter Druck, denn die Fahrprüfungen fanden nach der Corona-Pandemie unter neuen Bedingungen statt. „Wegen der Isolationsregeln fallen immer wieder Prüfer, Fahrlehrer und ebenso Fahrschüler aus. Viele Termine werden kurzfristig abgesagt und können dann nicht neu disponiert werden“, sagte Bühler. Das gelte auch für Prüfungstermine, die von Fahrschulen „auf Vorrat“ gebucht, dann aber nicht wahrgenommen würden. Auf die regionalen Engpässe bei Prüfungsterminen und die nach einer Modernisierung im Jahr 2021 um zehn Minuten verlängerte Prüfungszeit haben die TÜV-Organisationen mit einer kräftigen Aufstockung des Personals, Prüfungen an Samstagen und einer Ausbildungsoffensive reagiert.

Wichtigster Grund für die steigenden Durchfallquoten sei es, dass viele Aspiranten schlecht vorbereitet in die Führerscheinprüfungen kommen. Bühler: „Die Fahrprüfung ist nur das letzte Glied in einer Kette. Die Zahl der Fahrzeuge steigt unablässig, und der Straßenverkehr wird komplexer. Die Verkehrserziehung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf in den Schulen nicht mit der Fahrradprüfung in der vierten Klasse enden.“ Verkehrserziehung sollte umfangreich einsetzen, denn in dem dichten Verkehr in der Bundesrepublik kommen auf alle Verkehrsteilnehmer neue Herausforderungen zu, wie etwa durch den stark gestiegenen Fahrradverkehr in den Städten oder neu hinzugekommene Verkehrsmittel wie die nicht unumstrittenen Scooter.

Der TÜV-Verband fordert, die Fahrausbildung für die junge Generation um digitale Elemente zu ergänzen. Nach Bühler sollten darüber hinaus weitere Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um Prozesse zu optimieren. So müssten die Technischen Prüfstellen besser mit den Fahrerlaubnisbehörden vernetzt und der digitale Führerschein eingeführt werden, um diesen direkt nach bestandener Prüfung ausgeben zu können. Generell sieht Bühler das Fahrerlaubniswesen in Deutschland „als einen Garant für die Verkehrssicherheit“ mit kontinuierlichen Verbesserungen. „Neuerungen wie die Optimierung der praktischen Fahrprüfung oder die Digitalisierung der Theorieprüfung tragen dazu bei, dass die überdurchschnittlich hohen Unfallzahlen gerade von Fahranfängern tendenziell sinken.“

Erich Kupfer

Die TÜV-Präsentation hier als PDF zum Download:TÜV-Verband_PK_Präsentation_Führerschein-3