Neben technischen und regulatorischen Schwierigkeiten ist es das Zusammenspiel von Mensch und Fahrzeugsystem, das für die Entwickler eine harte Nuss darstellt. Es gibt noch viele offene Fragen.
Die ursprüngliche Euphorie ist verflogen. Noch vor wenigen Jahren waren Experten aus der Automobil- und Technologiebranche sicher, dass vollständig autonom fahrende Autos schon bald für mehr Komfort und Sicherheit sowie für weniger Staus sorgen würden. Technische und regulatorische Probleme führen dazu, dass sich die Premiere eines fahrerlosen Autos im Straßenverkehr auf unbestimmte Zeit verzögert. Die Hersteller haben Aufwand und Kosten für die Entwicklung hochautomatisierter Fahrsysteme und ihrer Sensorik unterschätzt. Mindestens für die nächsten dreißig Jahre wird von Roboterautos in der Breite nicht die Rede sein.Durch den von Unternehmen und Medien inszenierten Hype um das fahrerlose Auto als Lösung so ziemlich aller Herausforderungen im Straßenverkehr erwarten jedoch viele Menschen den Start innerhalb eines absehbaren Zeitraums. Das zumindest zeigen jüngste Umfragen.
Automatisierte Mobilität Teil eines integrierten ÖPNV?
Absehbar ist gleichwohl nur, dass vollautomatisiertes Fahren eher gemietet als gekauft wird, man also den zeitlich begrenzten Zugang etwa zu autonomen Taxis erwerben wird, mit denen im öffentlichen Verkehr der USA bereits experimentiert wird. Nicht unwahrscheinlich, dass die automatisierte Mobilität von morgen Bestandteil eines integrierten, intelligent gesteuerten ÖPNV sein wird, der mit Auto, Zug, Flugzeug und vielleicht auch dem Schiff vernetzt sein wird, in diese Richtung gehen Testfahrten in Deutschland mit kleinen, langsam fahrenden Shuttlebussen, die auf wenigen, eng definierten Strecken, zu einem Bahnhof oder einer Haltestelle, ihre Dienste anbieten. Doch bis zu einem umfassenden Angebot ist es noch ein weiter Weg, und die Bevölkerung bleibt zu großen Teilen skeptisch, was die Sicherheit der Systeme betrifft – nicht zu Unrecht, wie der aktuelle Fall von Cruise zeigt.
Strafzahlungen für GM Tochtermarke Cruise für autonomes Fahren
Die Tochtermarke von General Motors für autonomes Fahren wurde in den USA zur Zahlung von 1,5 Millionen Dollar verdonnert, weil sie Informationen zu einem Unfall zurückgehalten hatte. Vor rund einem Jahr hatte ein Cruise Auto eine Frau angefahren und einige Meter mit sich geschleift. Die von Cruise den Behörden vorgelegten Unfallberichte erwiesen sich – trotz verschiedener Mahnungen – als lückenhaft. Ein solches Vorgehen schafft kein Vertrauen.
Viele offene Fragen
Für einen bestimmten sicherheitsrelevanten Bereich des automatisierten Fahrens ist nicht einmal der Ansatz einer Lösung in Sicht. Gemeint sind Handzeichen, Blickkontakt und andere Formen der nonverbalen Kommunikation, die in risikoträchtigen Situationen enorm wichtig sein können, etwa um dem Vorausfahrenden auf der Autobahn beim Einfädeln zu signalisieren, dass man ihn hereinlässt.
DEKRA Tests mit Probanden
Überhaupt erweist sich das sichere Zusammenwirken von Mensch und Maschine als schwer lösbare Aufgabe. Was ist zum Beispiel, wenn die Technik vor einer Fahraufgabe zu versagen droht oder ganz ausfällt und der Mensch das Steuer übernehmen muss? Genau dieses Szenario hat die Sachverständigenorganisation DEKRA in einem Praxistest mit Probanden untersucht. Die Teilnehmer sollten auf einer abgesperrten Strecke einige Runden mit einem automatisierten Fahrzeug drehen, so wurde ihnen gesagt. In Wahrheit wurde ihr Wagen von einem Sicherheitsfahrer auf dem Beifahrersitz mit Hilfe eines Joysticks gesteuert – vom Fahrer abgetrennt durch einen Sichtschutz. Während sich die Probanden mit Lesen beschäftigten, simulierte der Sicherheitsfahrer unterschiedliche Defekte des angeblich autonomen Fahrsystems. Beispielsweise ließ er das Auto langsam auf die Gegenfahrbahn abdriften. Das Ergebnis: Von den 49 Testpersonen gelang es nur sechs, den Wagen auf die Spur zurückführen, und das auch nur in letzter Sekunde. Dagegen reagierten 88 Prozent gar nicht oder gänzlich zu spät. In einer anderen Situation löste der Sicherheitsfahrer heimlich einen Alarm aus, verbunden mit der Aufforderung, der Proband solle das Steuer übernehmen. Dafür benötigten die Testteilnehmer im Durchschnitt 5,1 Sekunden.
Vorreiter automatisierter Fahrfunktionen in Serienwagen: Mercedes-Benz
Der Vorreiter in Sachen automatisierte Fahrfunktionen in Serienwagen, Mercedes-Benz, sieht eine Übergabezeit von zehn Sekunden. Das vom Hersteller „Fahrpilot“ („Drive Pilot“) genannte System für die S-Klasse und den EQS kann im Stau oder bei hohem Verkehrsaufkommen bis 60 km/h auf der Autobahn eingeschaltet werden. Im kommenden Jahr soll eine Erweiterung anstehen, die „bei fließendem Verkehr auf der rechten Autobahnspur unter bestimmten Bedingungen hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug bis Tempo 95 eingesetzt werden könne, so Mercedes. Allerdings ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, wie häufig technische Probleme beim „Fahrpilot“ vorkommen, ob die zehn Sekunden für die Übergabe immer zur Verfügung stehen und ob sie ausreichen.
DEKRA: Es sind noch Zahlreiche Hürden zu überwinden
Bei DEKRA zeigt man sich zurückhaltend. Thomas Wagner, Verkehrspsychologe des Unternehmens, ist der Meinung, dass die Ergebnisse des Probandentests „in jeder Hinsicht“ zu denken gäben. „Auf dem Weg zum hoch- und vollautomatisierten Fahren sind noch viele Hürden nicht nur in Sachen Fahrzeugtechnik zu überwinden“, so Wagners Fazit. Er stellt fest, dass für die Erarbeitung von rechtlichen Vorschriften zur Übergabe des Steuers belastbare Daten fehlen, weshalb weitere vertiefende Forschung notwendig sei, „um mehr darüber zu erfahren, welche Faktoren zu schlechten oder gar ausbleibenden Übernahmen führen“. Die gut 50 Probanden jedenfalls sagten nach dem Ende des DEKRA Versuchs, weniger Vertrauen in die Technik zu haben als zu Beginn ihrer Testfahrten.
Autor: Kristian Glaser (kb), Foto: pixabay