Eines dürfen autonome Autos, wenn sie denn auf den Straßenverkehr losgelassen werden, ganz bestimmt nicht: zusätzliche Unfälle verursachen. Ob das wirklich ausgeschlossen sein wird, davon ist die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) mit Sitz in Bern derzeit alles andere als überzeugt. Sie fordert daher von der Politik, Grundlagen für die Sicherheit von Roboterautos im Straßenverkehr zu schaffen. Zu diesem Zweck hat sie zehn „Handlungsfelder“ definiert, aus denen Forderungen für neue rechtliche Bestimmungen abgeleitet werden. Die BFU ist ein als Stiftung organisiertes Kompetenzzentrum für die Sicherheit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und im öffentlichen Auftrag tätig.
Die Schweizer Expertenorganisation geht davon aus, dass die Übergangsphase bis zum komplett automatisierten Straßenverkehr noch sehr lange dauern wird. Computergestützte Steuerungssysteme würden nur allmählich Verbreitung finden. „Dadurch entstehen neue Risiken, welche die erhofften Sicherheitsgewinne durch das automatisierte Fahren teilweise zunichte machen könnten“, warnt die BFU.
Die größten Herausforderungen für die Zukunft sieht sie im Zusammenspiel von Mensch und Maschine sowie in der technischen Zuverlässigkeit der Systeme. „Keine Technik ist überall einsetzbar und funktioniert immer zuverlässig“, unterstreicht die BFU. Daher müsse im Notfall „der aufmerksame Mensch am Steuer“ eingreifen, wenn es gilt, einen Unfall zu verhüten. Diese Aufgabe könne einen Fahrer aber überfordern, gibt die BFU zu bedenken, beispielsweise wenn das System ihm zu wenig Zeit zum Handeln lässt. Überhaupt vertreten die eidgenössischen Sicherheitsleute mit Blick auf den Stand der Technik die Auffassung, dass zentrale Fragen der Verkehrssicherheit „noch nicht geklärt“ sind. Das muss als Weckruf verstanden werden.
Das erste der von der BFU ausgearbeiteten Handlungsfelder ist auch das wichtigste: Die Politik müsse ein verbindliches Sicherheitsniveau festlegen, das von den automatisierten Systemen in ihrer Gesamtheit nicht unterschritten werden darf, also quasi ein Minimalziel als Auftrag an die Gesellschaft und auch an die Autobranche. In einem zweiten Handlungsfeld verlangt die BFU, dass nur solche Systeme zugelassen werden, welche „die Leistungsgrenzen des Menschen berücksichtigen“. Die Technik müsse daher intuitiv verständlich und zudem verlässlich sein. Fällt sie aus oder ist in einer komplexen Situation überfordert, möchte die BFU gewährleistet sehen, dass der Mensch rechtzeitig zur Übernahme des Steuers aufgefordert und dabei nicht überfordert wird. Drittes Handlungsfeld: Für die im Zusammenhang mit der Automatisierung vorgenommene Vernetzung zwischen den Fahrzeugen untereinander und mit digitaler Infrastruktur sind der BFU zufolge allgemein verbindliche Standards erforderlich, die ebenfalls von der Politik aufzustellen sind.
Der Katalog der von der BFU aufgestellten Handlungsfelder legt einen Schwerpunkt auf die menschlichen Verkehrsteilnehmer – das wird nicht in allen Expertisen zum Thema so gemacht. Die eidgenössischen Fachleute verlangen, dass der Umgang mit autonomen Autos Teil der Fahrausbildung wird und dass Autofahrern, die bereits über einen Führerschein verfügen, Schulungen angeboten werden. Das fünfte Handlungsfeld ist mit „Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer“ überschrieben. Gemeint ist ein Konzept zur allgemeinen Wissensvermittlung, das über die Möglichkeiten und Grenzen der Technik aufklärt.
„Engmaschige technische Überwachung durch unabhängige Aufsicht“
Einen weiteren Schwerpunkt legt die BFU auf die Technik selbst. Für bereits zugelassene Fahrzeuge schlagen die Schweizer Sicherheitsleute eine engmaschige technische Überwachung vor, und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg und von einer unabhängigen Aufsicht durchgeführt. Hersteller, Zulieferer und Dienstleister sollten verantwortlich für ausreichenden Schutz vor Manipulation und Missbrauch sein und die Sicherheit der Daten und der IT-Zugänge sicherstellen. Achtens sollte nach Auffassung der BFU ein unabhängiger Treuhänder eingesetzt werden, der Zugang zu all den Daten erhält, die autonome Autos auf ihren Fahrten sammeln. Der Treuhänder hätte die Aufgabe, relevante Informationen für die Verkehrssicherheitsforschung zur Verfügung zu stellen und bei Bedarf Verantwortlichkeiten klären zu helfen.
Das derzeit geltende Haftungsrecht, wonach bei einem Unfall zunächst der Fahrzeughalter geradestehen muss, hält die BFU nicht für anwendbar auf automatisierte Fahrsysteme. Deren Halter hätten schließlich „kaum Einfluss auf den sicheren Betrieb des Fahrzeugs“. Also muss die Rechtslage modifiziert werden, fordert die BFU. In ihrem zehnten und letzten Handlungsfeld weist die BFU darauf hin, dass die automatisierte Technologie im globalen Rahmen entwickelt wird, weshalb sich die jeweiligen Regierungen für internationale Koordination einsetzen sollten.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Audi