Mit einem juristischen Paukenschlag hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die neue Strafvorschrift des „Verbotenen Kraftfahrzeugrennens“ gemäß Paragraf 315d StGB als verfassungsgemäß erklärt. Die Luft für Einzelraser wird daher dünner. In Zukunft dürften sich deutlich mehr dieser Fahrer nach polizeilich ermittelter Tat auf einer Anklagebank wiederfinden und ihre Fahrerlaubnisse verlieren.
Richtervorlage des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen
Einem Amtsrichter des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen wurde durch die Staatsanwaltschaft Konstanz eine Anklage wegen des Vorwurfs des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit Unfallflucht und Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgelegt. Gegenstand der Straftat war eine drei bis vier Minuten andauernde Fluchtfahrt vor der Polizei, bei der der Angeschuldigte Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h erreicht haben soll, teilweise innerhalb von Ortschaften.
Der Amtsrichter hat im Januar 2020 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht nach Artikel 100 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Vorschrift des Paragrafen 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB verfassungsgemäß ist. Der Richter selbst begründete auf mehr als 100 Seiten ausführlich seine Auffassung, dass die Vorschrift verfassungswidrig sei.
Über diese sogenannte „Richtervorlage“ hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun letztgültig entschieden. Seine Entscheidung hat Gesetzeskraft und ist nun sprichwörtlich „in Stein gemeißelt“.
Der Wortlaut der streitigen Vorschrift lautet wie folgt:
§ 315d StGB
Verbotene Kraftfahrzeugrennen
(1) Wer im Straßenverkehr …
3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Die Argumentation für eine Verfassungswidrigkeit
Der Argumentation des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen schlossen sich der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein an.
Neben deren Argumentation befasste sich der zweite Senat des BVerfG auch ausführlich mit den in der Literatur zahlreich vorgetragenen Gegenargumenten. Damit dieser Beitrag allerdings nicht zu juristisch-fachsprachlich und damit für alle nichtjuristisch vorgebildeten Leserinnen und Leser zu unverständlich wird, seien hier nur kurz einige der zahlreichen Argumente aufgeführt, die volkstümlich gerne als juristische Spitzfindigkeiten vorverurteilt werden – von gewieften „Winkeladvokaten“ erdacht.
Tatsächlich verläuft die Rechtsfindung in einem Rechtsstaat aber genau auf Rede und Gegenrede: Einer Argumentation der Staatsanwaltschaft folgt eine Gegenargumentation der Strafverteidigung. Am Ende steht ein Strafurteil, jedenfalls in dem juristischen Ausnahmefall, dass zu einem polizeilich geführten Ermittlungsverfahren überhaupt von einer Staatsanwaltschaft eine Anklage erhoben worden ist.
Der Regelfall ist seit vielen Jahren die Einstellung des Strafverfahrens oder allenfalls ein Strafbefehl im schriftlichen Verfahren, was an dieser Stelle zwar nicht näher ausgeführt werden kann, aber aus Gründen des Gerechtigkeitsempfindens rechtspolitisch höchst problematisch ist.
Das Hauptargument für eine Verfassungswidrigkeit ist schnell genannt. Die Gegner dieser Vorschrift sehen in dem Wortlaut des Paragrafen 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB einen Verstoß gegen den in Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes verankerten Bestimmtheitsgrundsatz. Die Strafvorschrift richte sich nicht nur an eine mit Spezialwissen ausgestattete Gruppe von Autofahrern, sondern als Allgemeindelikt an jedermann, der am Straßenverkehr teilnehme. Daher müsse die Norm deutlich verständlicher formuliert werden, jedenfalls aber nicht so, wie sie vom Gesetzgeber verfasst worden sei. Insbesondere sei das Merkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ so unbestimmt, weil die Rechtsprechung sich bislang noch nicht auf eine übereinstimmende Auslegung hätte einigen können. Der Gesetzgeber hätte sich einfach am schweizerischen Vorbild orientieren sollen, dass eine Straftat dann annimmt, wenn ein genau bestimmtes Maß einer Geschwindigkeitsüberschreitung bewiesen sei.
Die Argumentation für eine verfassungsgemäße Auslegung der Vorschrift
Auf der Seite der Befürworter einer Verfassungsmäßigkeit der geltenden Regelung finden sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof sowie der Verfassungsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer.
Ihre Argumentation geht in die vom Gesetzgeber gewünschte Richtung, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen vom strafbaren Handeln abzugrenzen, um dem geforderten Renncharakter gerecht zu werden. Die schweizerische Regelung mit ihren konkret bestimmten Höchstgeschwindigkeitsgrenzen als Regelungsalternative sei keine Alternative. Diese Argumentation verkenne die Tatsache, dass dem Gesetzgeber von der Verfassung ein großer Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden wurde. Diese erlaube es dem Bundestag, gerade nicht immer die einfachere und rechtlich unzweideutige Regelungsalternative zu wählen. Er muss eben nur darauf achten, dass die von ihm konkret gewählte Regelung die durch Artikel 103 Abatz 2 GG gezogene verfassungsrechtliche Grenze nicht verletzt. Dies sei durch die neue Vorschrift erfüllt.
Die entscheidende Begründung des BVerfG
Nach der Entscheidung des BVerfG ist Paragraf 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar, insbesondere genügt der Tatbestand den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen aus Artikel 103 Absatz 2 GG. Zudem steht auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gewaltenteilung (Artikel 20 Absatz 3 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) dem Straftatbestand nicht entgegen. Die Gerichte sollen verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Strafrechtsnorm durch eine präzise und konkrete Auslegung nach Möglichkeit ausräumen. Strafrichter dürfen dabei eine Strafbestimmung auch weit auslegen, sodass die Verkehrsteilnehmer, die sich schließlich an die Normen halten sollen, vorhersehen können, in welchen Fällen sie strafbar handeln würden. Ihre absolute Grenze der Auslegung ist jedoch der Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit der Norm verbunden hat und der in den sachlichen Begründungen, die stets in den Drucksachen von Bundestag und Bundesrat allgemein zugänglich veröffentlicht werden, nachzulesen ist.
In seinem Fazit betont das BVerfG, dass die Regelung des Paragrafen 315d Absatz 1 Nr. 3 StGB die legitimen Gemeinwohlzwecke der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie des Schutzes des Lebens, der körperlichen Integrität und des Eigentums fördert. Daher stellt diese Strafnorm grundsätzlich ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen im Straßenverkehr den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern kann. Die Neuregelung ist auch erforderlich, um das legitime Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen. Letztendlich sind auch weniger eingriffsintensive Maßnahmen mit womöglich gleichem Wirkungsgrad, wie zum Beispiel die früheren Regelungen im Ordnungswidrigkeitenrecht, die bei Mehrpersonenrennen nicht zu einer ausreichenden Abschreckung geführt hatten, nicht ersichtlich. Somit können die Strafgerichte ab sofort auch mit dem Segen des höchsten deutschen Gerichts Alleinraser zu empfindlichen Strafen und der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis verurteilen.
Weiterführende Links
Urteil des BVerfG zum § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB
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Bundesratsdrucksache 362/16 (Beschluss) zum Verbotenen Kraftfahrzeugrennen
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.
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