Verkehrsminister beraten sich zweimal jährlich in einer exklusiven Ständigen Konferenz der 16 Länderverkehrsminister gemeinsam mit dem Bundesverkehrsminister (VMK). Sie werden dabei beraten durch deren ständige Arbeitskreise und Unterausschüsse, deren Mitglieder durch Beamte aus der Bundesverwaltung und den Ländern gestellt werden. Das Ziel dieser Treffen liegt zunächst in der Diskussion aktueller verkehrspolitischer Themen und dem Austausch der verschiedenen parteipolitisch geprägten Standpunkte. Teilweise werden auch praktische Prüfaufträge verteilt und der Verwaltung zugewiesen. Viel zu selten werden konkrete Vereinbarungen getroffen, die zu zählbaren Erfolgen für die Verkehrssicherheit oder der in aller Munde geführten „Verkehrswende“ führen. Am 29. November fand eine „Sonderverkehrsministerkonferenz“ statt, die im Mittelpunkt der heutigen Betrachtung stehen soll.
Welche Schwerpunkte setzen aktuell die Verkehrsminister?
In der Novemberkonferenz wurden die folgenden Schwerpunkte erörtert:
• ÖPNV-Rettungsschirm
• Elektromobilität: Die Ziele Deutschlands
• Mobilität und Klimaschutz
• Bahnpolitik und ÖPNV/SPNV
• Reform der StVZO
• Praxisgerechte Anpassung des Straßenverkehrsrechts
• Kinderfreundliche Mobilität
• Luftverkehr
• Wasser- und Schifffahrtsangelegenheiten
Mit anderen Worten versuchten die Verkehrsminister im Rahmen dieser Telefonkonferenz einen Ritt über alle Verkehrswege zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Doch eine Tagesordnung bietet nicht viel mehr als eine Gedächtnisstütze der zu erörternden Themen. Zwar tagt hier nicht ein x-beliebiger Kaninchenzüchterverein (nichts gegen Kaninchenzüchtervereine!), sondern der personell beständig wechselnde Verein der deutschen Verkehrsminister. Dennoch sind auch diese Tagesordnungen an den konkreten Ergebnissen zu messen, und zwar erstens am Ende der Tagung und zweitens im tatsächlichen verkehrspolitischen Output.
Was können Verkehrsminister für die Verkehrssicherheit erreichen?
Hier lohnt sich ein Blick auf die Tätigkeitsbereiche von Verkehrsministern, zum Beispiel am Zuständigkeitszuschnitt des aktuellen Bundesministers für Digitales und Verkehr, Dr. Volker Wissing. Dessen Haus ist in nicht weniger als zehn Abteilungen gegliedert, von denen eine sich dem inhaltlich kaum mehr überschaubaren Bereich des Straßenverkehrs in all seinen fachlichen Facetten widmet. Bemerkenswert ist der letzte Satz der Vorstellung dieser Abteilung auf der hauseigenen Website, wo es plakativ heißt: „Alle Maßnahmen für mehr Straßenverkehrssicherheit stehen unter dem Leitziel: Jeder Verkehrstote ist einer zu viel.“ An einer übergreifenden Vision fehlt es also nicht.
Unter dem Minister arbeiten nicht weniger als sechs beamtete und parlamentarische Staatssekretäre (jeweils drei), die die Leitentscheidungen des Ministers in die tägliche Arbeit der Abteilungen transportieren sollen und die Inhalte der praktischen Arbeit nach außen vermitteln.
Die in Organigramm und auf der Website letztgenannte Abteilung Straßenverkehr gliedert sich in zwei Unterabteilungen, denen jeweils fünf Referate zugeordnet sind und zusätzlich einer Stabsstelle für die beiden Sonderaufgaben Radverkehr und Straßenverkehrssicherheit mit zusätzlichen zwei Referaten. In diesen zwölf Referaten wird also praktisch für den Straßenverkehr und dessen Sicherheit gearbeitet.
Die alleinige politische Verantwortung trägt zwar der Bundesverkehrsminister, aber nimmt man die Vision des Ministeriums als große Klammer an, der alles tägliche Tun untergeordnet wird, muss sich neben dem Minister auch jeder einzelne Mitarbeiter am Ende des Tages die Frage stellen: „Was trage ich selbst durch meine Arbeit zur Verwirklichung der Vision bei?“
Erwartet werden kann auf der Ministerialebene in Bund und Ländern eine konsequente Arbeit in der Steuerung von Entscheidungsprozessen, die mit einem modernen und in sich stimmigen Katalog von Verfahrensnormen und materiellem Recht beginnt und einer kritischen Qualitätskontrolle der Praxisergebnisse endet. Dazwischen aber liegen die Mühen der Ebene, die von Tausenden von Mitarbeitern auf den Arbeitsebenen in Bund und Ländern umgesetzt werden müssen, von denen die wenigsten in Ministerien tätig sind.
Die aktuellen Beschlüsse der VMK zur Straßenverkehrssicherheit
Die Ergebnisse zur beabsichtigten Reform der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung (StVZO) sind ernüchternd, wenn beschlossen wurde:
„Reform der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO)
1. Die Verkehrsministerkonferenz nimmt den Bericht des Bundes über den Sachstand der StVZO-Reform zur Kenntnis.
2. Die Verkehrsministerkonferenz stellt fest, dass es durch eine erneute Änderung der Vorgehensweise (Neufassung statt einer Reformierung in Teilschritten) zu einer zeitlichen Verzögerung von ca. drei Jahren kommen wird. Hierzu wird auf den Beschluss des Bundesrates Drs. 861/11 vom 10. Februar 2012 verwiesen, in der die Länder den Bund um die dringend notwendige Reform und um deren Abschluss bis 2014 bitten.
3. Die Verkehrsministerkonferenz fordert den Bund erneut und nachdrücklich auf, die Reform der betroffenen nationalen Vorschriften (insbesondere der StVZO und der EG-FGV) mit hoher Priorität zu behandeln.“
Der angesprochene Bericht des Bundes über den Sachstand der StVZO-Reform ist im Internet nicht zu finden und kann daher nicht öffentlich diskutiert werden.
Der zweite Beschluss spricht mit seinem Hinweis auf die seit dem Jahr 2012 auf dem politischen Tableau stehende Reform des Katalogs der technischen Bau- und Betriebsvorschriften (Hauptinhalt der Verordnung) Bände für den Stillstand der Reformarbeit in diesem wichtigen Bereich der Straßenverkehrssicherheit und ist im Ergebnis nicht anders als ein politischer Offenbarungseid der beteiligten Ministerien und seines politischen Spitzenpersonals zu bewerten.
Dass die Länderverkehrsminister im dritten Beschluss die alleinige Verantwortung dem Bundesministerium zuschieben, ist berechtigt; denn dessen zuständige Referate haben es in den zehn vergangenen Jahren bis heute nicht geschafft, einen diskussionsfähigen Reformentwurf vorzulegen und den zuständigen Ministern und deren Staatssekretären war das Thema offensichtlich kein konsequentes Durchgreifen wert. So werden wir also, wenn nicht ein verkehrspolitisches Wunder geschieht, bis zum Sankt Nimmerleinstag vertröstet.
Hinsichtlich der unter dem TOP 6.2 erörterten notwendigen Anpassungen des Straßenverkehrsrechts sind die Ergebnisse nicht weniger ernüchternd. Offensichtlich bietet der fließende Verkehr keine großen Unfallgefahren, wenn sich die organisatorisch eingerichtete länderoffene Arbeitsgruppe zur Vorbereitung praxisgerechter Anpassungen des Straßenverkehrsrechts in den nunmehr neun öffentlich vorgestellten Zwischenergebnissen lediglich in den beiden Punkten 6 und 7 mit der Sicherheit des Fußverkehrs beschäftigte, während der ruhende Verkehr nicht weniger als vier Punkte betrifft. Hier werden die in den der Verwaltung zugewiesenen Arbeitsaufträgen deutlich werdenden verkehrspolitischen Prioritäten also weit entfernt von der Straßenverkehrssicherheit gesetzt. Mit keinem Wort ist beispielsweise die Rede von der wichtigen Reform der Bußgeldkatalog-Verordnung und des Fahreignungsrechts, an deren Spitze die seit Jahrzehnten überfällige Anpassung des Bußgeldkataloges und des Punktsystems an die aktuell vorhandenen Unfallgefahren steht.
Bezeichnend ist auch, dass der bereits aus einer früheren Konferenz vertagte Tagesordnungspunkt 6.3 „Kinderfreundliche Mobilität“ weder in den gefassten Beschlüssen, noch in den veröffentlichten Berichten auftaucht, was darauf hindeutet, dass diesem Thema von den führenden Verkehrspolitikern Deutschlands überhaupt keine Beachtung geschenkt wird. Das Statistische Bundesamt berichtete jedoch auf Seite 4 seines Jahresberichts über die im Jahr 2020 im Straßenverkehr verunglückten Kinder: „Im Durchschnitt kam im Jahr 2020 alle 23 Minuten ein Kind im Alter von unter 15 Jahren im Straßenverkehr zu Schaden. Insgesamt waren es 22.462 Kinder, die im Jahr 2020 auf Deutschlands Straßen verunglückten.“
Fazit
Als kritischer Beobachter der verkehrspolitischen Szene bleibt einem bei nüchterner Betrachtung der Arbeitsergebnisse der VMK der Mund offen. Insbesondere gilt dies für den so wichtigen Schulterschluss mit der Innenministerkonferenz, die für die praktische Ausführung der Vorschriften des Straßenverkehrsrechts sowie für die erforderliche Steigerung der Straßenverkehrssicherheit in der Länderpolizei und den Kommunen zuständig zeichnet.
Rechnet man den statistisch durch die Corona-Pandemie und durch die technisch bedingte Steigerung der passiven Fahrzeugsicherheit bewirkten Rückgang der Verunglückten heraus, so verbleiben als Verkehrsunfallursachen auch weiterhin die verhaltensbedingten Fehler der Verkehrsteilnehmer, hauptsächlich aber der Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer. Hier sind keinerlei Bemühungen der Verkehrsminister erkennbar! So ist zu konstatieren, dass dieser erlauchte Kreis von politischen Spezialisten seine politischen Hausaufgaben nicht gemacht hat und dem großen politischen Ziel der „Vision Zero“ nicht die Beachtung schenkt. Dies ist aber zwingend erforderlich, um Leben auf den deutschen Straßen zu retten und Verletzungen zu vermeiden. Ein Ruck sollte durch die Konferenz der Verkehrsminister gehen, denn ihre Impulse für die Steigerung der Verkehrssicherheit sind bislang mehr als dürftig.
Weiterführende Links
Verkehrsministerkonferenz generell
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Sonderverkehrsministerkonferenz November 2022
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Aufgabenstruktur Bundesministerium für Digitales und Verkehr
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Kinderunfälle im Straßenverkehr
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.
Foto: BMDV