//„Print ist nicht tot“

„Print ist nicht tot“

In loser Folge wollen wir mit wichtigen Medienschaffenden über Journalismus, Medien und Märkte sprechen. Unser erstes Interview führte uns zur Motor Presse Stuttgart  

Die Motor Presse Stuttgart ist eines der größten Special Interest Medienhäuser in Europa. Zu den wichtigsten Titeln gehören auto motor und sport, MOTORRAD, promobil, MOUNTAINBIKE, outdoor und Men’s Health. Das Unternehmen feierte letztes Jahr 75jähriges Bestehen. Seit 2019 gehört es wieder den Gründerfamilien Pietsch, Scholten und Dietrich-Troeltsch. Bis dahin war es viele Jahre mehrheitlich in den Händen von Gruner und Jahr bzw. Bertelsmann. Wir sprachen mit Jörg Mannsperger, seit 2019 Geschäftsführer des Medienhauses, über die Automobilpresse, Onlinemedien und Corona.

Motorjournalist: Die Motor Presse Stuttgart ist jetzt wieder ein Familienunternehmen. Was hat sich seit dem Wechsel vom Großkonzern Bertelsmann bzw. Gruner und Jahr geändert?

Jörg Mannsperger: Da müsste man eigentlich meine Vorgänger fragen, aber die sind ja nicht mehr da. Im Ernst: In erster Linie sind natürlich die Wege kürzer geworden. In einem Konzern sind Entscheidungen oftmals viel komplizierter, Hierarchien spielen eine enorme Rolle. Und besonders streng geht es natürlich in einem börsennotierten Unternehmen zu. Von Quartalsberichten bis hin zu Veröffentlichungspflichten. Zweifelsfrei ist das alles notwendig, bestimmt aber oft den Alltag des Managements, Man beschäftigt sich sehr mit dem eigenen Unternehmen und es fehlt dann oft die Zeit für Kunden und Märkte. Und dann ist ein Familienunternehmen nicht so vom Kapitalmarkt getrieben wie eine Aktiengesellschaft. Kurzum: Das entschlackt das Unternehmen.

MJ: Aber Sie arbeiten ja trotzdem nicht im luftleeren Raum?

J.M.: Nein, natürlich nicht. Aber ich habe es mit Gesellschaftern zu tun, die das Geschäft von der Pike auf kennen. Und die damit ein tiefes Verständnis für das Business haben. Natürlich schauen auch sie auf die Ergebnisse. Aber wenn die Rahmenbedingungen wie jetzt schwieriger sind, werden die Herausforderungen sachkundig diskutiert. In Konzernen gibt es dann ganz schnell den klassischen Tschakka-Aktionismus, mit Sparparolen an die Führungsmannschaft und Belegschaft, um der Kapitalseite beherztes Eingreifen zu signalisieren und kurzfristige Erfolge zu erzielen. Davon halten wir nichts. Wir besprechen, was mittel- und langfristig der richtige Weg ist. Und gutes Haushalten liegt ja sowieso in der DNA der Stuttgarter.

MJ: Gerade die jüngste Vergangenheit war ja schon ein wenig schwierig.

J.M.: In der Tat. Zunächst hat uns Corona Kopfzerbrechen bereitet, jetzt die Folgen des Angriffskrieges in der Ukraine. Dank unserer Diversifikation und einer enorm motivierten Mannschaft sind wir gut durch die beiden Jahre 2020 und 2021 gekommen. 2022 und 2023 haben aufgrund der Kostenexplosionen ihre ganz eigenen Herausforderungen

MJ: Probleme hatte vor allem die komplette Automobilpresse…

J.M.: Durch die Lieferkettenproblematik in der Automobilindustrie und den Chipmangel konnten lange Zeit nur vergleichsweise wenige Fahrzeuge produziert werden. Und dieses Problem scheint sich nur sehr langsam zu entschärfen. Wenn man keine Fahrzeuge anbieten kann, heizt man auch nicht die Nachfrage an. Sprich: Man schaltet weniger Anzeigen.

MJ: Und wie ging es dann dieses Jahr weiter?

J.M.: Mit dem Ukrainekrieg kam hinzu, dass keine Kabelbäume produziert werden konnten. Bis zum Einmarsch der Russen startete das Jahr sehr stark. Mit Beginn des Ukraine-Krieges änderte sich das schlagartig. Ein Beispiel: Die hohe Spritpreis führte dazu, dass viele Menschen ihr Geld zusammenhalten. Das spürt das Grosso sehr.

MJ: Bleibt die Lage so angespannt?

J.M.: Sie entspannt sich zum Glück ein wenig, ist aber sehr fragil. Die Anzeigenbuchungen nehmen wieder zu, aber die Verunsicherung ist allerorts stark spürbar. Teile der Automobilindustrie stehen noch sehr auf der Ausgabenbremse. Produziert und verkauft wird momentan weniger, aber dafür sind es oft hochpreisige Fahrzeuge, die eine gute Rendite bringen. Manche meinen, dass dies auch zukünftig ohne nennenswerte Werbung gehen könnte. Das kann sich mit Blick auf den sehr kompetitiven Automarkt schnell rächen.

MJ: Betrifft diese Anzeigenthematik eigentlich die ganze Motor Presse Stuttgart?

J.M.: Zum Glück nicht. Wir sind ja sehr breit aufgestellt. Und beispielsweise im Motorrad- oder auch Flugbereich sieht es deutlich anders aus. Es ist auch kein generelles Problem, sondern es sind einzelne Marken – bzw. deren Agenturen, die momentan eine Einsparstrategie verfolgen oder meinen, auf klassische Medien verzichten zu können. Auf der anderen Seite gewinnen wir gerade im automobilen Sektor auch ganz neue Anzeigenkunden hinzu. Das sind neu auf den Markt drängende Marken oder Marktplayer, wie Anbieter von Wallboxen, Energieunternehmen oder andere nachhaltige Dienstleister. Uns hilft natürlich, dass wir nicht nur thematisch, sondern auch publizistisch weit gefächert sind.

MJ: Was heißt das konkret?

J.M.: Wir investieren in die Ausstattung unserer Printobjekte, verfolgen aber auch eine sehr erfolgreiche Digitalstrategie und bauen unsere Angebote kontinuierlich aus, sodass wir via Online, Social Media und Performance-Vermarktung 2022 ein neues Rekordniveau für die Motor Presse Stuttgart anstreben. Hierzu trägt unser Mobile-Angebot überproportional bei. So konnten wir beispielsweise mit der Benzinpreis-App „mehr-tanken“, die dem User einen Überblick über die aktuellen Spritpreise bietet, sehr große Zuwächse erzielen.

MJ: Haben sich eigentlich auch die Auflagen in der Corona-Pandemie verändert, ist Print also doch tot?

J.M.: Gerade das Grosso spürt natürlich sehr deutlich, wenn viele im Homeoffice arbeiten oder weniger Reisen getätigt werden. Der Verkauf an den Bahnhöfen oder Flughäfen ging in der Pandemie entsprechend zurück. Das erholte sich gerade, als die Teuerungswelle als Folge des Angriffskrieges zu erneuter Kaufzurückhaltung führte. Da wir schon immer über einen sehr hohen Abo-Anteil an unseren Gesamtauflagen verfügen, treffen uns die genannten Rückgänge unterproportional, so dass wir jetzt im Autozeitschriftenbereich auf deutlich steigende Marktanteile blicken können. Und auch wenn es manche noch so oft bekräftigen, aus meiner Sicht ist Print alles andere als tot. Die Wertigkeit des gedruckten Wortes ist eben nicht flüchtig. Allerdings muss sich diese Wertigkeit auch in einer qualitativ hochwertigen journalistischen Qualität wiederfinden, begleitet von einer entsprechenden Heftausstattung – und dann werden auch entsprechende Copypreise akzeptiert. Wir haben aber eine Durststrecke vor uns, weil die mit der Inflation einhergehenden Folgen für eine sinkende Kaufkraft sorgen und bei manchen eine Konsumverweigerung hervorrufen. Entsprechend wählerischer ist der Käufer unterwegs.

MJ: Das heißt, die Inhalte von Print müssen dem auch gerecht werden?

J.M.: Ja, natürlich. Je vielfältiger Online-Angebote sind, desto hintergründiger und breiter muss Print unterwegs sein. Ein Beispiel: Die Rennergebnisse der Formel 1 bekomme ich in Echtzeit überall im Netz. Es ist aber spannend, vom besten Formel-1-Journalisten die Hintergrundgeschichten zu diesem Rennen zu lesen. Das bekomme ich so nur in der auto motor und sport und das macht die Qualität aus.

MJ: Aber dann ist es doch letztlich egal, ob ich das auf Papier oder digital lese?

J.M.: Vom Inhalt, ja, aber eben nicht vom Zugang zu der Information. Eine Zeitschrift nimmt mir die Online-Recherche ab. Sie führt mich durch die Informationen. Das Lesevergnügen ist ein ganz anderes als vor dem Bildschirm oder am Handy. Wenn es um den reinen Informationsgehalt geht, dann ja. Und deshalb muss auch parallel ein qualitativ hochwertiges Onlineportal oder e-Paper im Angebot stehen – für das man Geld bezahlt. Die Kostenlosmentalität wird sich auch hier ändern. Bezahlschranken werden immer häufiger kommen.

MJ: Steht das Medienhaus Motor Presse Stuttgart dann nicht im direkten Wettbewerb zu Bloggern und Influencern, die ihre Dienste oft kostenlos anbieten?

J.M.: Wir arbeiten teilweise eng mit Bloggern und Influencern zusammen und nutzen mögliche Synergien mit unseren Marken. Besonders in unserem Lifestylebereich kommen innovative Konzepte kanalübergreifend zum Einsatz zum Beispiel „Soul Sister“ oder auch „Women’s Health“. Im Autobereich haben wir mit Alex Bloch und dem Format „Bloch erklärt“ einen der reichweitenstärksten YouTuber unter der auto motor und sport-Flagge im Markt. Wir entwickeln unsere Social-Media-Kanäle kontinuierlich weiter und erhöhen damit weiter unsere Reichweite.

MJ: Ein anderer Trend, den die Automobilindustrie seit geraumer Zeit stark befeuert, ist die zunehmend eigene Verbreitung von vorgeblich redaktionellen Inhalten auf Social-Media-Kanälen. Wie beeinflusst das das Geschäftsmodell „Verlag“?

J.M.: Das ist ein Trend, den man nicht aufhalten kann. Ich frage mich nur, wie lange der anhält und gutgeht. Wenn man seine Produkte nur noch über eigene und damit unkritische Kanäle medial verbreitet, verliert man doch auf Dauer seinen Qualitätsanspruch. Denn das ist klar: Nur eine kritische Begleitung, wie unabhängige Medien sie bieten können, geben dem Verbraucher eine neutrale Kaufempfehlung. Hier sehen wir schon unsere Kompetenz gefordert.

MJ: Es liegt also im Eigeninteresse der Industrie, mit Fachmedien zu kooperieren?

J.M. Wir kooperieren auf vielfältiger Ebene. Wichtig ist dabei immer, dass die redaktionelle Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Es nützt doch keiner Marke, wenn sie von Claqueuren gehypt wird und sich dann beim Kunden das Produktversprechen in eine Enttäuschung umschlägt. Ja, es kann schon schmerzen, wenn ein Produkt in unseren Tests durchfällt. Aber am Ende führt das dazu, dass Produkte besser werden. Und das steigert nicht zuletzt auch die Marktposition derer, die ihren Laden im Griff haben.

MJ: Und nun zum Schluss bitte einen Blick in die Glaskugel. Was wird die Motor Presse Stuttgart zukünftig beschäftigen?

J.M.: Nachhaltigkeitsthemen spielen eine immer größere Rolle. Der Informations- und Aufklärungsbedarf ist gerade im aufkommenden E-Auto-Markt besonders groß. Mit auto motor und sport haben wir das Leitmedium im Markt. Und unserer Zeitschrift „MO/OVE“, die sich gezielt um die neuen Formen der Antriebe kümmert, wächst inzwischen zweistellig. Dann wird der Eventbereich weiter zunehmen. Kongresse, Oldtimerrallyes oder auch die Perfektionstrainings erfreuen sich höchster Nachfrage und sind häufig komplett ausgebucht. Wir erarbeiten gerade neue Testformate, bei denen wir Industrie und Kunden zusammenbringen. Wir nennen das „Testivals“. Und dann werden wir natürlich das Onlineangebot auch weiterhin ausbauen.

MJ: Nachhaltigkeit spielt aber doch überall eine Rolle?

J.M.: Nachhaltigkeit ist auch in all den anderen Themenfeldern, in denen wir unterwegs sind, ein zentrales Thema. Ob Motorrad, Freizeitmobile, Sport, Lifestyle, Flug oder Radbereich. Das Interesse, sein Hobby umweltgerecht ausleben zu können ist zunehmend stark ausgeprägt. Wir beschäftigen uns damit und das ohne erhobenen Zeigefinger. Wenn die Industrie tolle und spannende Produkte entwickelt, dann werden die auch gekauft. Wir setzen uns für Technologieoffenheit ein und freuen uns darauf, diese Produkte auch in Zukunft für unsere Leser und User genau unter die Lupe zu nehmen.

Vielen Dank für dieses Gespräch

Das Interview führte Werner Bicker