Radfahrer gehören zu den am meisten gefährdeten Verkehrsteilnehmern. „Anders als Fußgänger bewegen sich Fahrradfahrer, zumal im großstädtischen Milieu, häufig nahe an oder im motorisierten Fließverkehr und sind dabei gleichzeitig wenig geschützt.“ Das stellen Rechtsmediziner der Berliner Charité und Unfallforscher unter anderem von der Sachverständigenorganisation Dekra gemeinsam fest. Sie haben eine ganz bestimmte Risikosituation für Radfahrer ausgemacht: die Türöffnungs- oder auch Dooring-Unfälle. Gemeint sind Zusammenstöße von Radfahrern mit der plötzlich geöffneten Tür eines parkenden Autos. Tückisch sind diese Unfälle, weil den Betroffenen kaum Zeit zu reagieren bleibt.
Die Wissenschaftler analysierten am Beispiel Berlins, wo das Fahrrad im internationalen Vergleich viel genutzt wird, tödlich verlaufende Tür-Crashs der Jahre 2012 bis 2018. In diesem Zeitraum befanden sich unter den insgesamt 271 Verkehrstoten in Berlin 70 Radfahrer. Durch aufwendige Recherchen in medizinischen und polizeilichen Unfallakten – die offizielle Statistik berücksichtigt Dooring-Unfälle nicht gesondert – ermittelten die Forscher fünf tödliche Dooring-Unfälle. Das entspricht sieben Prozent der im Berliner Verkehr ums Leben gekommenen Radfahrer. In ihrer statistischen Untersuchung kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis: Prallt ein Radfahrer auf eine Autotür, sind die Überlebenschancen sehr schlecht.
In allen fünf untersuchten Dooring-Unfällen mit tödlichem Ausgang waren die Verunglückten männlich und nicht mehr die Jüngsten. Ihr Durchschnittsalter betrug 69 Jahre. Ältere Menschen verkraften einen Sturz rein physisch weniger gut als jüngere. Die Wissenschaftler nehmen zudem an, dass eine „aufgrund des Alters verminderte Reaktionszeit auf ein unvorhersehbares Ereignis“ zu der Schwere des Sturzes beitrug.
Einen Einfluss des Wetters oder der Lichtverhältnisse auf die Wahrscheinlichkeit eines Dooring-Unfalls konnten die Forscher nicht feststellen. In den meisten Unglücksfällen war es die Fahrertür, die zum verhängnisvollen Sturz führte. Als Hauptunfallursache auf Seiten der Autoinsassen nennen die Forscher den fehlenden Blick über die Schulter vor dem Öffnen der Tür.
Ungebremster Sturz auf den harten Boden
Alle untersuchten Dooring-Unfälle ereigneten sich auf der Fahrbahn, mit einer Ausnahme, auf welche die Wissenschaftler besonders hinweisen. Dabei kam es zum Zusammenstoß, weil der Autofahrer auf einem Radweg geparkt hatte.
Die Unfallopfer zogen sich die lebensgefährlichen Verletzungen durch den Sturz auf den harten Boden zu, entweder nach einem Aufprall auf die plötzlich geöffnete Tür oder durch Verziehen des Fahrradlenkers im Versuch auszuweichen. Die Radfahrer waren mit einer Geschwindigkeit von unter 20 km/h nicht sehr schnell unterwegs. Keiner trug einen Helm.
Die Todesursache war in allen untersuchten Fällen ein Schädel-Hirn-Trauma. „Unter diesem Aspekt“, resümieren die Forscher, „wären einige der untersuchten Todesfälle mutmaßlich vermeidbar gewesen, da Helme einen relevanten Schutz vor Schädel-Hirn-Traumata bieten.“ Aus einer gut 25 Jahre alten Untersuchung ist bekannt, dass sich das Risiko einer schweren Kopfverletzung durch einen Schutzhelm um bis zu 88 Prozent reduzieren lässt.
Dass ein Helm bei einem Dooring-Unfall besonders wirksam ist, erschließt sich, wenn man einen typischen Sturz näher betrachtet. Vor wenigen Jahren ergab sich bei Experimenten mit Dummys, dass der Radfahrer in eine Rotationsbewegung gerät, weshalb er sich nicht abstützen kann. Er fällt ungebremst auf den Hinterkopf.
Die Autoren der Studie über die Berliner Dooring-Unfälle empfehlen, einen Fahrradhelm zu tragen. Das umso mehr, als sich bei Verkehrsbeobachtungen der Dekra im Jahr 2020 herausstellte, dass der Fahrradhelm bei den Radlern in der Bundeshauptstadt nicht sehr beliebt ist. Im Schnitt war nur ein Viertel der Radfahrer „behelmt“. In London beispielsweise sind es annähernd zwei Drittel.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass zur Unfallprävention ganz maßgeblich auch zusätzliche Radwege gehören, damit die Velofahrer erst gar nicht gezwungen werden, auf die Fahrbahn zu wechseln. Bestehende Radwege sollten daraufhin überprüft werden, ob sie ausreichend groß sind und sich in einem guten Zustand befinden, damit die Radler nicht „freiwillig“ die Fahrbahn vorziehen.
Übrigens: In der Fahrradmetropole Amsterdam setzt nur jeder hundertste „Fiets“-Fahrer einen Helm auf. Das hat mit der besser konzipierten Infrastruktur für Radfahrer zu tun und mit der höheren Selbstverständlichkeit des Radverkehrs, weshalb sich die Velofahrer sicherer fühlen können. Aus den Niederlanden stammt auch die Empfehlung an Autoinsassen, die Tür mit der fahrbahnabgewandten Hand zu öffnen: auf der Fahrerseite also mit der rechten, auf der Beifahrerseite mit der linken Hand. Bei diesem „holländischen Griff“ genannten Trick wirft man automatisch einen Blick über die Schulter.
Beate M. Glaser (kb)
Foto: In einem Forschungsprojekt hatten die Unfallforschung der Versicherer 2020 Empfehlungen erarbeitet, wie Dooring-Unfälle vermieden werden können. Hier die Pressemeldung dazu.