//Sicherheit von Zweirädern: Wachsendes Unfallrisiko drängt zu neuen Lösungsansätzen

Sicherheit von Zweirädern: Wachsendes Unfallrisiko drängt zu neuen Lösungsansätzen

Wer sich mit einem Zweirad im Straßenverkehr bewegt, lebt vergleichsweise gefährlich. In der Bundesrepublik sind nach aktuellen Zahlen 40 Prozent aller Verkehrsopfer mit einem Fahrrad, Motorrad, Moped oder E-Scooter unterwegs gewesen. Vor zwanzig Jahren machte der Anteil nur ein Viertel aus, wie aus einer Studie des Allianz-Zentrums für Technik (AZT) über „Zweiradsicherheit im Überblick“ hervorgeht. Darin werden die wichtigsten Unfallrisiken statistisch identifiziert und Vorschläge zur Verbesserung von Infrastruktur und technischer Fahrzeugausstattung zusammengetragen. Weil diese Ansätze teilweise seit Jahrzehnten ihrer Umsetzung harren, wartet die Studie mit überraschenden Thesen für einen Neuansatz bei der Verkehrssicherheit auf.

983 Zweiradfahrer verloren 2020 bei einem Unfall in Deutschland ihr Leben, 28.460 wurden schwer verletzt. Angeheizt wird diese Entwicklung durch den Trend zu E-Bikes und E-Scootern. Bereits jeder dritte tödlich verunglückte Fahrradfahrer ist mit einem Elektrofahrzeug unterwegs gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem E-Bike-Unfall das Leben zu verlieren, ist um ein Mehrfaches höher als bei normalen Velos.

„Das Sorgenkind des Zweiradverkehrs bleiben jedoch die Motorradfahrer“, wird in der Allianz-Untersuchung betont. Sie stellen die Hälfte aller tödlich verunglückten Zweiradfahrer. Häufigste Ursache sind Alleinunfälle, oft durch zu hohes Tempo oder einen Überholfehler ausgelöst.

Bei den Fahrrädern fällt die falsche Nutzung der Straße als am meisten auftretendes Fehlverhalten auf. Allerdings registriert man eine Zunahme der Unfälle durch zu hohe Geschwindigkeit. Dabei mag eine wichtige Rolle spielen, dass 70 Prozent der jungen Radfahrer mit Ohrstöpseln unterwegs sind, wie das AZT in einer Repräsentativbefragung herausfand. 15 Prozent tippen oder lesen nach eigenen Angaben sogar häufig Textnachrichten auf dem Velo.

Die Hauptleidtragenden von Fahrradunfällen sind Senioren. 60 Prozent der getöteten Radfahrer sind 64 Jahre alt oder älter. Die meisten Unfallgegner von Radfahrern sind Pkw, bei denen in der Mehrzahl auch die Ursache für den Crash zu finden ist.
Das AZT hebt hervor, dass ein Helm geeignet ist, das Risiko einer Kopfverletzung – der häufigsten Todesursache bei Fahrradunfällen – deutlich zu minimieren. Empfohlen wird eine Helmpflicht für Kinder und bei der Nutzung von E-Fahrrädern. Für Motorradfahrer sind laut der Studie Unterfahrschutz an Leitplanken und verbesserte ABS-Systeme am geeignetsten, die Sicherheit zu erhöhen. Darüber hinaus regen die Forscher die Weiterentwicklung von Assistenzsystemen in Autos an, um Kollisionen mit Zweirädern zu verhüten. Jedoch gibt Studienautor Jörg Kubitzki zu bedenken, dass all diese Maßnahmen nicht die „Unerfahrenheit, Unwissenheit, Unachtsamkeit und Rücksichtslosigkeit“ von Verkehrsteilnehmern kompensieren könnten.

Zwei Drittel der befragten Radfahrer schließen nicht aus, den Bürgersteig trotz Verbots zu nutzen, und fast alle kennen zur Genüge die notgedrungene Nutzung der Fahrbahn, weil ein Radweg fehlt. Doch die weithin geforderte Trennung von Auto- und Radverkehr hält Kubitzki nicht für die alleinige Lösung. Die Ergebnisse der Untersuchung deuten Kubitzki zufolge auf eine „trügerische Sicherheit“ von Radwegen hin: „Die Fahrerinnen und Fahrer tragen ihr Sicherheitsgefühl, das ihnen die Radweg- oder Bürgersteigfahrt vermittelt, mit in den Knotenpunkt – psychologisch ein fataler Fehler.“ An diesen Knotenpunkten, wo sich Auto- und Radverkehr treffen, häuten sich die Zusammenstöße. Dagegen müssten Maßnahmen ergriffen werden, welche die „Annäherungsgeschwindigkeit“ reduzieren und die Aufmerksamkeit erhöhen, fordert Kubitzki.

Fehlverhalten der einzelnen im Fokus
Der Forscher sieht im Fehlverhalten der einzelnen Verkehrsteilnehmer ein bislang unterschätztes Problem der Mobilität auf zwei Rädern. In ihrer Untersuchung fällt das Urteil über die Ausbildung und Praxiserfahrung von Fahrern eines Pedelecs, E-Scooters oder Mopeds schlecht aus. Unbefriedigend sei auch, wie unvorbereitet Motorradfahrer sich nach der mehrmonatigen Winterpause wieder auf ihre Maschinen schwingen würden. „Für alle Verkehrsteilnehmer ist ein gravierender Mangel an Regelwissen zu beklagen“, heißt es in der AZT-Untersuchung. Daher wird dort auch gegen Bestrebungen argumentiert, Kindern das E-Scooter-Fahren zu erlauben.
Gleichzeitig warnt das AZT vor Technikgläubigkeit. Autofahrer sollten sich vor der leichtfertigen Haltung hüten, dass das Auto schon für ausreichend Sicherheit sorge. Unabhängig davon fordert das AZT, dass Assistenzsysteme in Autos bezahlbar sind und über das gesamte Fahrzeugleben zuverlässig funktionieren.

Beim Allianz-Zentrum für Technik geht man davon aus, dass die Zunahme des Radverkehrs in der Coronapandemie keine Ausnahme ist, sondern die Beschleunigung eines bereits begonnenen Veränderungsprozesses darstellt. Das macht eine neue Qualität von Verkehrssicherheit erforderlich. Das AZT hält im Prinzip einen Paradigmenwechsel für erforderlich. Der könnte nach Maßgabe des AZT in der Prämisse bestehen, dass die Straße dem gesamten Verkehr zu dienen habe, „nicht dem Vorrecht einzelner Kraftwagen oder Zweiräder oder der eigenen Fahrzeugart, auf der man sich gerade befindet“.

Den Verkehr wie bislang auf Basis von Vorrechtsdenken zwischen den Verkehrsteilnehmern zu denken, führe geradezu zwangsläufig zu Sicherheitsproblemen, ist man beim AZT überzeugt und präferiert kommunikative Lösungsansätze – gespeist aus Zweifeln, ob die Paradebeispiele für eigenständigen Radverkehr, Rotterdam und Kopenhagen, wirklich so erfolgreich sind wie angenommen. Kubitzki sieht dort vielmehr Anzeichen, dass die Radfahrer die Fußgänger verdrängen und der Radverkehr nicht einmal sicherer wurde.

Eine neue Stufe der Verkehrssicherheit, so die Pointe der AZT-Studie, könne in einer Verkehrswelt bestehen, „die von Leitbildern des Respekts und der Akzeptanz getragen ist“.

Kristian Glaser (kb)
Foto: Pixabay