Wer ein neues Auto erwerben möchte, muss sich in Geduld üben; Wartezeiten von zwölf und mehr Monaten sind eher die Regel als die Ausnahme.
Ohne Chip kein Auto. Alles mögliche wird durch diese elektronischen Kleinsteinheiten gesteuert: Der Motor benötigt sie, die Servolenkung, die Fensterheber, das Navi, und auch die Airbags kommen ohne sie nicht aus. Ganz zu schweigen von modernen Assistenzsystemen wie der Notbremse oder automatisierten Fahrfunktionen. Ein Auto ist ohne diese Teile nicht komplett oder funktionstüchtig.
Der vor allem durch den Chipmangel hervorgerufene Produktionsrückgang in den deutschen Automobilwerken betrug nach Angaben des VDA im Oktober 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Bereits im September hatte der Rückgang 44 Prozent betragen. In der Folge kam es im Oktober zu einem Einbruch bei den Pkw-Verkäufen um 35 Prozent gegenüber dem Oktober 2020 (September minus 28 Prozent).
Nach der Corona-bedingten Geschäftsflaute im vergangenen Jahr werden nun die Hoffnungen der Autokonzerne auf eine Kompensation durch einen erheblich besseren Absatz im laufenden Jahr zunichte gemacht. So gut wie alle großen Autokonzerne verzeichnen globale Absatzrückgänge im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Einzig Toyota, Hyundai, BMW und Tesla kommen gut durch die Halbleiter-Krise und sind stabil oder verbessern ihre Verkaufszahlen.
Dennoch herrscht alles andere als Panik in den Konzernzentralen und bei den Aktionären. Im Gegenteil. Nach einer Analyse des Center of automotive Management in Bergisch Gladbach wird 2021 wirtschaftlich das voraussichtlich erfolgreichste Jahr in der Automobilgeschichte. Prognostiziert wird ein Branchengewinn von mehr als 120 Milliarden Euro. Das wären zehn Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2017. Die Ebit-Marge, das Verhältnis von Gewinn zu Konzernumsatz, liegt nach drei Quartalen für nahezu alle Autokonzerne bei sechs Prozent und darüber, in der Mehrheit sogar bei über zehn Prozent.
Diese paradox anmutende Situation von massiven Absatzrückgängen und Rekordgewinnen hat mehrere Ursachen. Während des Lockdowns wurde ein großes Lager an unverkauften Neuwagen aufgebaut, die nun zu guten Teilen an den Mann und die Frau gebracht wurden. Wichtiger ist aber, dass sich die Konzerne mit den verbliebenen Chips auf die Herstellung von margenträchtigen Premium- und Elektroautos konzentrieren. So übernahmen im Oktober Modelle von BMW, Mercedes-Benz und Porsche in fast allen Pkw-Segmenten oberhalb der Kompaktwagenklasse die Marktführerschaft. Ein Blick in die Verkaufsstatistik zeigt außerdem: Die reinen E-Auto-Hersteller Tesla, Polestar und Smart realisieren auf dem deutschen Markt als einzige positive Verkaufszahlen von zehn Prozent und erheblich mehr.
Weitere Gründe für die erfolgreichen Zwischenbilanzen der Autohersteller sind wirksam werdende Kostenreduzierungen der vergangenen Jahre und dass die Preise für Neuwagen deutlich angehoben wurden. Gleichzeitig werden weniger Rabatte gewährt. Ferner können die Unternehmen auch ihre Gebrauchtwagen teurer anbieten. Die Stockung in der Autoproduktion hat auch zur Folge, dass die Autobesitzer ihren Altwagen länger nutzen und (noch) nicht in Zahlung geben, so dass auch hier das Angebot zurückgeht und die Preise steigen. Im Oktober schrumpfte der Markt mit Gebraucht-Pkw um 16 Prozent.
Die nächsten Probleme
Dennoch: Die Erwartung in den Konzernzentralen, die Absatzverluste des Corona-Jahrs 2020 durch einen nachholenden Boom 2021 auszugleichen, werden sich nicht erfüllen. Die Chip-Misere wird dadurch noch verstärkt, dass auch die Produzenten von Smartphones, Computern und medizintechnischen Geräten Halbleiter benötigen. Experten gehen davon aus, dass ein Ende des Mangels erst Mitte des kommenden Jahres in Sicht sein wird.
Dabei steht bereits die nächste Krise bevor: Die Wirtschaftsvereinigung Metalle warnt vor einer Magnesium-Knappheit in Europa, die Vorräte könnten Ende November aufgebraucht sein. Der Stoff wird für die Herstellung von Aluminium benötigt, das für die Automobilherstellung unverzichtbar ist.
China, ein wesentlicher Lieferant des Rohstoffs, hat mit Energieschwierigkeiten zu kämpfen, weshalb es zu einer Stilllegung von Magnesiumwerken kommen kann. In der Automobilwirtschaft sind daher weitere Produktionsausfälle über die Chip-Krise hinaus nicht unwahrscheinlich.
Olaf Walther/Kristian Glaser (kb)
Foto: ProMotor/T.Volz