//Fussverkehr: Sicherheit durch Rücksichtnahme und Kooperation

Fussverkehr: Sicherheit durch Rücksichtnahme und Kooperation

Der Weg zu Fuß wird für viele Menschen immer wichtiger, doch er ist „immer noch zu wenig sicher“, sagte Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR). Pro Tag sterben in Deutschland durchschnittlich ein bis zwei Menschen im Fußverkehr. Seit Jahren sind hier keine nennenswerten Verbesserungen zu verzeichnen. Der DVR fordert die „Schaffung zusammenhängender, barrierefreier Fußwege mit sicheren Übergängen“, erklärte Eichendorf zum Auftakt des digital abgehaltenen DVR-Kolloquiums „Sichere Mobilität beginnt zu Fuß“ Anfang März, bei dem Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen ihre Analysen, Vorhaben und Empfehlungen für einen sicheren Fußverkehr vorstellen.

Die Sache ist so komplex wie der Straßenverkehr insgesamt. Längst fordern Fachleute wie Uta Bauer vom Deutschen Institut für Urbanistik, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut zu kommunalen Fragestellungen, dass das Gehen integraler Bestandteil der Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik wird. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Unfallschwerpunkte beispielsweise dann entstehen, wenn Fußgänger gezwungen sind, einen Umweg zu machen – was absehbarerweise nicht immer gemacht wird. „Dann ist der schnellste Weg nicht unbedingt auch der sicherste“, stellt Bauer fest.

Jürgen Gerlach, Professor für Straßenverkehrsplanung der Universität Wuppertal, ging in seinem Vortrag vor dem DVR-Kolloquium davon aus, dass „irre Herausforderungen“ auf den Fuß- und Radverkehr zukommen. Es kämen fünfmal so viele Menschen zu Fuß oder auf dem Rad ums Leben wie im Pkw (Stand vor Corona), wenn man eine Million gefahrene Kilometer pro Tag zugrunde lege. Diese Situation könne sich nach Einschätzung von Gerlach noch verschärfen, wenn der Verkehr, wie von Politik und Gesellschaft gewollt, in Richtung Fußgänger und Radfahrer verlagert wird.

Für außerordentlich gefährlich hält der Verkehrsexperte den Knotenpunkt, weil abgestellte Autos immer wieder die Sicht versperren. Gerlachs Empfehlung: Der Mindestabstand beim Parken an Einmündungen und Kreuzungen mit Radweg solle nicht wie derzeit acht Meter betragen, sondern zwanzig Meter. Außerdem müssten Gehwege verbreitert und die „Sichtbeziehungen“ an Überwegen verbessert werden, fordert der Wuppertaler Professor.

Der Fußverkehr ist essentiell, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das wird jedoch dann schwierig, wenn man körperlich oder geistig eingeschränkt ist. „Die Teilhabe und das Mitgestalten in allen gesellschaftlichen Bereichen setzt den gleichberechtigten Zugang zu Mobilität voraus“, hebt Melanie Knaup vom Institut für Förderpädagogik und inklusive Bildung der Universität Gießen hervor, und leitet daraus das Recht auf Mobilitätsunterstützung ab. „Bereiche, die zu Fuß erreichbar sind“, so fasst sie den Forschungsstand zusammen, „müssen stufenfrei und ohne fremde Hilfe rollend erreichbar sein“. Das gelte für Toiletten und Rettungswege wie für Eingänge und Aufzüge. Knaup betont, dass die Überquerung einer schnellen Straße eine besondere Herausforderung darstelle.

Zum Beispiel Sehbehinderte

Zum Beispiel die Schwierigkeiten von Sehbehinderten und Blinden. Sie stoßen bei der Fortbewegung im öffentlichen Raum auf schlechte Beleuchtung oder kontrastarme Gegenstände wie graue Poller oder Masten. Zur Verbesserung der Orientierung entwickelten die Gießener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das „Zwei-Sinne-System“. Für seheingeschränkte Menschen bedeutet das: Es werden optische Informationen durch akustische oder taktile Hinweise ergänzt. Zu denken wäre an Lautsprecherdurchsagen generell an Haltestellen oder an Gehwegplatten in auffälligem Weiß und mit Rillen, die den Verlauf markieren und um Hindernisse herumführen. Analog sollten Hörgeschädigte ergänzende optische oder taktile Informationen erhalten. Lichtsignale oder schriftliche Informationen ermöglichten es ihnen, sich besser zurechtzufinden.

Zwei Probleme sieht Melanie Knaup bei der Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse: Neben den zu geringen finanziellen Mitteln für den barrierefreien Umbau ist das vor allem das mangelnde Bewusstsein für die Schwierigkeiten eingeschränkter Menschen. „Das ist eine wenig sichtbare Barriere“, sagt sie und erinnert daran: „Jeder kann kurzfristig mobilitätsbehindert werden, etwa durch schwere Einkaufstaschen oder an einem fremden Ort.“ Was eingeschränkten Menschen hilft, so Knaups Credo, hilft allen.

Kooperation ist das Stichwort. Volkswagen unterhält eine eigene Abteilung für kooperative Sicherheit und elektrische Systeme. Ihr Leiter, Thomas Biehle, berichtete beim DVR-Kolloquium, dass sich aktuelle VW-Modelle bereits gegenseitig warnen könnten, etwa vor einem Stauende, einer Unfallstelle oder einem liegengebliebenen Fahrzeug. Solche Gefahrensituationen werden von den Sensoren der Autos registriert und mittels Vernetzung an andere Fahrzeuge in der Nähe gemeldet. Das System funktioniert aber nur zwischen den Fahrzeugen des Wolfsburger Unternehmens. Einen Schritt weiter geht das aktuelle VW-Projekt „Sicherheit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer“. Dabei werden Verkehrsdaten von Sensoren in Autos und an Ampeln genutzt, um abbiegende Autofahrer etwa auf einen Fußgänger hinzuweisen, der die Straße überquert und schlecht erkennbar ist.

Der VW-Ansatz der vernetzten Datennutzung, erklärt Biehle, sei besser als die Nutzung von Handydaten, um Fußgänger zu orten. Denn nicht alle Menschen verfügten über ein Smartphone, argumentiert der VW-Experte, außerdem gebe es bei Smartphones Probleme mit der Datenqualität, der Reichweite und dem Datenschutz. Volkswagens Methode erlaubt nach Biehles Worten eine höhere Genauigkeit und die Erfassbarkeit wirklich aller Personen. Darüber hinaus ermögliche die Technologie die Übersicht aus der Vogelperspektive, und damit über das gesamte Kreuzungsgeschehen, wie man es auch von Rundumsichtsystemen in Autos kennt. Auf diese Weise könnten gezielt Unfallschwerpunkte sicherer gemacht werden, meint Biehle.

Aus den Vorträgen des DVR-Kolloquiums zeigt sich, dass die wirkungsvollste Art, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, in der Verbesserung des verkehrspartnerschaftlichen Miteinanders besteht.

Kristian Glaser (kb)
Foto: ADAC