//Müllers Kolumne: E-Scooter im Rausch

Müllers Kolumne: E-Scooter im Rausch

Das Münchener Amtsgericht hat einen Fahrer, der seinen E-Scooter während des Oktoberfestes im vergangenen Jahr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,35 Promille von der Wiesn über eine Strecke von nur 300 Metern zu seinem Hotel bewegte, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis entzogen.
So weit so gut beziehungsweise aus Sicht des E-Scooter-Fahrers „schlecht“. Was diesen Fall bemerkenswert macht, sind das vom Amtsrichter neben dem siebenmonatigen Entzug der Fahrerlaubnis zusätzlich ausgesprochene dreimonatige Fahrverbot und die vom Bayerischen Obersten Landesgericht Ende Juli abgeschmetterte Sprungrevision. Damit ist das Strafurteil des fachlich bestens beschlagenen Amtsrichters rechtskräftig.

Leider kein Einzelfall

Bekanntlich ist das Fahren mit geliehenen E-Scootern seit dem Juni 2019 in zahlreichen deutschen Städten legitim, wenn dabei von den Kraftfahrzeugführern (ja, Sie lesen richtig, der Verordnungsgeber hat sich dafür entschieden, Elektrokleinstfahrzeuge als Kraftfahrzeuge einzustufen) die Vorschriften des Verkehrsrechts eingehalten werden. Im Hau-Ruck-Verfahren hatte das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) in einem guten halben Jahr die neue Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) zu diesem Zweck durch den Bundesrat geboxt, -sicherlich auch der Tatsache geschuldet, weil dem Verkehrsminister „diese Fahrzeuge“ nach eigener Aussage beim Parlamentarischen Abend des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) und der Deutschen Verkehrswacht (DVW) im Frühjahr 2019 „persönlich so gut gefallen haben“. Zudem sah er besonders in den E-Scootern noch das Geheimrezept der Micromobilität und die Patentlösung für die „letzte Meile“. Allerdings wurde schon in den ersten Monaten klar, dass diese Kraftfahrzeuge vorwiegend von Touristen als Spaßmobile genutzt wurden. Nichts war es mit dem Patentrezept für die letzte Meile zum und vom ÖPNV…
Aus Spaß wurde Ernst für inzwischen Tausende Fahrer, als die Polizei bundesweit begann, alkoholisierten oder anders berauschten E-Scooter-Fahrern den Führerschein abzunehmen, weil sie sich des Vergehens einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB strafbar gemacht haben. Diese Prämisse galt insbesondere bei typischerweise alkoholschwangeren Volksfesten. Nicht wenige dieser zumeist männlichen Fahrer hatten deutlich mehr als 1,1 Promille Alkohol im Blut, sodass ein Polizist sich nicht einmal die Mühe machen musste, nach Beweisanzeichen für eine Fahrunsicherheit zu suchen. Bekanntlich gilt nach einem Obiter Dictum (= Letztentscheid) des Bundesgerichtshofes jeder Kraftfahrzeugführer ab Erreichen dieser Promillegrenze als Straftäter und ein anwaltlicher Entlastungsbeweis nach dem Motto: „Mein Mandant fährt erst bei dieser Promillezahl richtig geradeaus!“ ist nicht gestattet.

Amtsrichter mit Weitsicht

Was den Fall so besonders macht, ist die Weitsicht des Amtsrichters, weil er neben dem Führerscheinentzug auch ein Fahrverbot auferlegt hat. Ein E-Scooter ist nämlich ein Kraftfahrzeug, für dessen Führen nach der Entscheidung des BMVI keine Fahrerlaubnis benötigt wird. Der aktuelle Entzug seiner Fahrerlaubnis hätte also für den Delinquenten ohne das Fahrverbot die widersinnige Folge gehabt, dass er zwar sieben Monate nicht mit seinem Auto, wohl aber weiterhin mit einem E-Scooter legal hätte fahren dürfen. Dieser Vorzug ist nun passé: Ein Fahrverbot nach § 44 StGB bedeutet nämlich, für diese Zeitdauer überhaupt kein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr mehr führen zu dürfen. Der Richter hätte dieses Verbot sogar auf sechs Monate ausdehnen dürfen, hoffte aber sicherlich auf die heilsame Wirkung des von ihm geschnürten und auch in der Revision für rechtmäßig befundenen Gesamtpakets.

Aufklärung tut not

Tatsächlich kann diese Hoffnung sich im entschiedenen Fall sicherlich erfüllen, an eine abschreckende Wirkung vermag man aber dennoch nicht zu glauben. Es ist doch zu verführerisch, wenn in nahezu jeder Innenstadt direkt gegenüber der Kneipentür ein jederzeit fahrbereiter Untersatz bereitsteht, der mittels App auf dem Smartphone in Minuten aktiviert und für schmales Geld zur spaßigen Heimfahrt genutzt werden kann. Die staatliche Aufklärungspflicht von Bund und Ländern über die geltenden Promillegrenzen ist jedenfalls aus diversen Gründen nicht effizient umgesetzt worden und so werden auch weiterhin an den Wochenenden landauf landab fleißig Führerscheine einkassiert, als ob Polizisten keine anderen Aufgaben zu bewältigen haben, als sich mit betrunkenen E-Scooter-Fahrern herumzuplagen. Vom Prinzip der Eigenverantwortung der nur dem Alter im Personaldokument nach erwachsenen Fahrern mal ganz zu schweigen …

Quellen:

https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA200803003&wt_mc=pushservice&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

Aufsatz von Eiserle, Christine/Müller, Dieter, „Fahren ohne Fahrerlaubnis mit Elektrokleinstfahrzeugen?“, im Internet auf der Seite der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im kostenfreien Download abrufbar unter:https://www.dpolg.de/fileadmin/user_upload/www_dpolg_de/pdf/polizeispiegel/polizeispiegel_20_06.pdf 

https://www.gesetze-im-internet.de/ekfv/BJNR075610019.html

Foto: Pixabay/Christian Bueltemann

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.