Jeder dritte schwere Verkehrsunfall in der Schweiz wird durch Ablenkung am Steuer eines Autos verursacht, vor allem durch das notorisch die Aufmerksamkeit auf sich ziehende Smartphone. Das stellte die eidgenössische Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) in ihrem aktuellen Sicherheitsdossier fest.
Die BFU untersuchte, was für eine „beeinträchtigte Fahrfähigkeit“ vor allem verantwortlich ist. „Neben Ablenkung und Unaufmerksamkeit sind dies Alkohol, Müdigkeit und Drogen beziehungsweise Medikamente“, fand die BFU heraus. „Am gefährlichsten“, hebt Expertin Patrizia Hertach hervor, „sind Tätigkeiten, bei denen die Augen von der Straße weggerichtet sind.“ Zum Beispiel kann die Beschäftigung mit einer Nachricht auf dem Handy fatale Folgen haben. Oder der rasche Griff zur Sonnenbrille im Handschuhfach, die kurze Betrachtung eines schönen Panoramas oder das Hantieren mit dem Navi. Auch die über mehrere Untermenüs führende Einstellung der Klimaanlage auf dem Touchscreen kann die entscheidende Sekunden zu lange dauern.
Wie gefährlich das alles ist, zeigen Schweizer Statistiken. Je nach Berechnungsmethode sind der BFU zufolge 14 bis 33 Prozent der Crashs auf Unaufmerksamkeit zurückzuführen. Gleich danach folgen, mit jeweils ähnlichen Anteilen, Alkohol (11 bis 15 Prozent), Müdigkeit (10 Prozent) und Drogen/Medikamente (5 bis 10 Prozent). Allein diese vier Faktoren zusammen sind für knapp 40 Prozent der Opfer schwerer Fahrzeugunfälle in der Schweiz mitverantwortlich – und damit für jährlich 1.200 Schwerverletzte und 85 Todesopfer.
Keine Schablonen!
Nach Erkenntnisse der BFU sind es vor allem die „Junglenker“, welche die Gefahr des Abgelenktseins unterschätzen. Anders als ihre Altersgenossinnen und anders als ältere Verkehrsteilnehmer sind sie häufiger abgelenkt unterwegs. Zudem fallen sie öfter durch Übermüdung und Drogenkonsum am Steuer auf. Darüber hinaus stellte sich heraus: „Männer aller Altersgruppen lenken außerdem häufiger alkoholisiert ein Fahrzeug und gehen häufiger ablenkenden Tätigkeiten nach als Frauen.“
Offenbar führt die Unerfahrenheit der Fahranfänger dazu, dass sie durch das Gespräch mit anderen leichter die Aufmerksamkeit für das Verkehrsgeschehen verlieren. Ältere Menschen sind hingegen mit den Nebenwirkungen von Medikamenten konfrontiert. Bei der Betrachtung der Unfallursachen sollte man jedoch tunlichst keine Schablonen anlegen. Denn in Sachen Müdigkeit fallen nicht nur die Jüngeren auf, sondern auch Berufskraftfahrer, Schichtarbeiter und Menschen mit Schlafstörungen, wie die eidgenössische Untersuchung lehrt.
Folglich denkt die BFU an ein ganzes Bündel an Präventivmaßnahmen, um die Verkehrssicherheit auf den Straßen zu verbessern. Den Autofahrern empfehlen die Sicherheitsexperten, auf „Multitasking“ zu verzichten, das Handy stets in der Tasche zu lassen und dem Verkehr immer die volle Konzentration zu widmen. Alkohol oder Drogen am Steuer sollten von vornherein tabu sein.
Wer müde wird, dem kann eine kurze Pause mit einem „Turboschlaf“ von zehn bis 15 Minuten reichen, wieder auf die Beine zu kommen, verbunden mit einem kleinen Spaziergang oder einigen Gymnastikübungen. Und wer ein neues Medikament einnimmt, der sollte sich nicht scheuen, den Arzt oder Apotheker nach dessen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit zu fragen.
An die Adresse des Staates gerichtet, fordert die BFU die Installierung eine Fehler verzeihende Infrastruktur. Gemeint sind beispielsweise Rüttelstreifen oder ein Fahrbahnrand ohne Bäume, Mauern oder andere feste Gegenstände, gegen die man prallt, wenn man von der Fahrbahn abkommt. Und die Automobilwirtschaft könnte unterstützende Techniken wie Müdigkeits- oder Toter-Winkel-Warner, Notbrems- oder Spurhalteassistent anbieten, günstig und für jedes Auto.
Beate M. Glaser (kb)
Titelfoto DVR: Mit drastischen Plakaten an deutschen Autobahnen zeigt der DVR die Folgen durch Handy-Ablenkung