• Aus der Ordnungswidrigkeit wurde eine „gemeingefährliche Straftat“
• „Verkehrsphänomen illegale Kraftfahrzeugrennen/Rasen“ beim DVR-Medienseminar
Man muss nur schnell genug sein, dann wird man mittlerweile auch hierzulande das Auto schnell los, die Fahrerlaubnis ebenso, was nicht mit einem Fahrverbot gleichzusetzen ist. Extreme Tempoverstöße sowie illegale Rennen gelten nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern können als Straftat verfolgt werden. So regelt es das Strafgesetzbuch mit dem noch jungen und vergleichsweise wenig bekannten Paragraphen 315 d, neben Geldstrafen droht Freiheitsentzug.
Und § 315 f ermöglicht es, Autos als Tatwerkzeuge einzuziehen. Wer dem mit einem geliehenen Fahrzeug vorzubeugen glaubt, hätte besser vorher unter Paragraph 74 a nachgesehen „Gemeingefährliche Straftaten“ ist die Reihe der Paragraphen im StGB definiert, die im Oktober 2017 entsprechend ergänzt worden ist. Es gilt als gesetzgeberische Reaktion auf den Fall der „Kudamm-Raser“, die 2016 bei einem Rennen über mehrere rote Ampeln hinweg einen 69-jährigen Autofahrer zu Tode brachten. Den nicht unumstrittenen Mordvorwurf, der im ersten Verfahren gegen die beiden Täter erhoben worden ist, hat der Bundesgerichtshof mittlerweile kassiert, der Fall ist an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zur Neuverhandlung zurückgewiesen worden. Dass erneut wegen Mordes angeklagt wird, kann man allerdings nicht ausschließen.
Generell jedoch ist festzuhalten: In Fällen wie diesen können Täter nicht mehr wie bisher mit vergleichsweise milden Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung rechnen.
„… höchstmögliche Geschwindigkeit…“
Auszugsweise liest sich der erweiterte Gesetzestext so: Wer im Straßenverkehr ein nicht erlaubtes Kfz-Rennen ausrichtet oder veranstaltet, als Kfz-Führer an einem nicht erlaubten Kfz-Rennen teilnimmt, sich als Kfz-Führer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren droht, werden Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Bis zehn Jahre Haft stehen auf Tod oder schwere Gesundheitsschädigung (Details siehe Kasten).
Die markante Präsenz solchen Geschehens in den Medien fördert den Eindruck, es handele sich um bedauerliche Einzelfälle. Dem widerspricht vehement – Kommentar „Außer Rand und Band“ – Rainer Fuchs von der Polizei Köln. Der Leiter Projekt Rennen, Direktion Verkehr, berichtet beim jüngsten Presseseminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Lüdenscheid vielmehr von der Alltäglichkeit des „Verkehrsphänomens illegale Kraftfahrzeugrennen/Rasen“ – drei Tote, neun Schwerverletzte die Bilanz der jüngeren Zeit. Den Archetyp der Szene skizziert Fuchs als ausnahmslos männlich, 18 bis 25 Jahre alt, häufig deutsch mit Migrationshintergrund, auffallend oft arbeitslos oder Geringverdiener, meist wohnhaft noch im Verbund der Herkunftsfamilie. Die Fahrzeuge seien finanziert, ausgeliehen oder auf Verwandte zugelassen, teilweise auch angemietet – und in der Regel getunt.
18 Jahre, 3 Wochen Führerschein, 750 PS
Fuchs weiß von einem Jugendlichen, gerade 18 und seit drei Wochen im Besitz der Fahrerlaubnis, der die 750 PS eines geliehenen Audi R8 beherrschen wollte. Papa kann in einem Fall dieser Art nicht Sohn und Auto gleichzeitig abholen, denn Kraftfahrzeuge, auf die sich eine Tat nach mehreren in Paragraph 315 d festgehaltenen Sachverhalten bezieht, „können eingezogen werden“ – und zwar nach Paragraph 74a StGB selbst dann, wenn sie Dritten gehören. Das droht dann Onkel oder Tante, wenn leichtfertiges Handeln oder Unterlassen zum Ausborgen des Wagens geführt haben. Ob die Beschlagnahme auch der erste Schritt zur Enteignung ist, hängt dann von den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft beziehungsweise des zuständigen Gerichts fest.
Um schlagkräftig gegen die Szene gerüstet zu sein, findet in Köln eine Form von konzertierter Aktion statt. Am Amtsgericht wurde die Stelle eines fest zugewiesenen Staatsanwalts eingerichtet, der in enger Abstimmung mit der Polizei bevorzugt spezifische Sachbearbeitung leisten kann. Mit im Bund sind u.a. Bußgeld- und Führerscheinstelle, Kassen- und Steueramt, TÜV sowie Behörden der Stadt Köln. Die Szene ist freilich nicht auf das Rheinland begrenzt. In der Hauptstadt etwa wurden seit der Gültigkeit der Gesetze Dutzende Fahrzeuge eingezogen, in einem Fall in Berlin-Spandau gleich drei auf einmal: ein Audi R8, ein Audi S7 und ein Porsche 911 Carrera. Die Fahrer, zwei Deutsche mit arabischen Wurzeln und ein Deutsch-Libanese im Alter von 25, 32 beziehungsweise 27 Jahren, waren nach einem Bericht des Tagesspiegel mit zwei Firmen beziehungsweise einem Mietwagen unterwegs, alle über 400 PS stark.
Verhältnismäßigkeitsprinzip: elementar im Rechtsstaat
Es gibt einen Ermessensspielraum bei der Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat. Wenn etwa der Hessische Rundfunk auf seiner Videotext-Seite „Raser über 100 km/h zu schnell“ meldet („Mit satten 201 km/h ist am Sonntag ein SUV durch einen Baustellenbereich auf der A5 bei Weiterstadt gerast“), erwartet der paragraphenkundige Leser nicht, dass „dem Fahrer 600 Euro Bußgeld und ein dreimonatiges Fahrverbot drohen“, also – nur – eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist. Bernd Hochstädter, Sprecher des Polizeipräsidiums Südhessen, weiß von den beiden beteiligten zivilen Verkehrsfahndern, dass sie sehr wohl die Paragraphen 315 d und 315 f StGB kennen und durchaus in Erwägung ziehen, Anzeige zu erstatten. In dem Fall entschieden sie jedoch „unter Würdigung der gesamten Umstände“ für die Ahndung als Ordnungswidrigkeit. Damit kommt die Verhältnismäßigkeit ins Spiel, die Beamte bei der Feststellung von Verstößen wahren müssen. Denn zur Erlangung gerichtsfester Beweise gibt es oft zu einer Verfolgung im fließenden Verkehr keine Alternative. Mitunter endet sie für Beteiligte, nicht selten aber wiederum für Unbeteiligte fatal.
In Hannover wurde im Sommer ein 82-jähriger Mann tödlich verletzt, als ein flüchtender Fahrer mit einem gestohlenen Auto in die Fußgängerzone gerast war. Spektakulärer beinahe noch etwa zur gleichen Zeit der Fall einer jungen Frau in Berlin. Sie schob ihr Fahrrad auf dem Bürgersteig, als sie von einem außer Kontrolle geratenen Auto, in dem drei Kriminelle der Polizei entkommen wollten, erfasst und tödlich verletzt wurde. „Eine Blaupause für das angemessene Verhalten gibt es nicht“, heißt es aus dem Polizeipräsidium. Aber wenn der Einsatz nicht mehr verhältnismäßig sei, müsse man die zu risikoreich gewordene Jagd beenden.
Auch eine Straftat: Wen man trotz Sperre fährt
Nicht mehr nur „Fahrverbot“: Der ebenfalls ergänzte Paragraph 69 unterstellt jetzt, nach illegalen Rennen „den Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen“ anzusehen. So wird die Fahrerlaubnis kassiert, auf der der Führerschein basiert. Die Täter müssen also nach Ablauf der Sperre die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) – vulgo: Idiotentest – absolvieren und dann den Führerschein neu erwerben, falls bestanden worden ist. Wer sich vorher ans Steuer setzt, begeht automatisch eine weitere Straftat.
Erich Kupfer
(Foto:Fotolia/Gerhard Seybert)
Im Wortlaut
§ 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen (Auszug)
(1) Wer im Straßenverkehr
1. ein nicht erlaubtes Kfz.-Rennen ausrichtet oder veranstaltet,
2. als Kfz.-führer an einem nicht erlaubten Kfz.-Rennen teilnimmt,
3. sich als Kfz.-Führer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
2) Wer in den Fällen des Abs. 1 Nr.2 oder 3 Leib oder Leben eines anderen Menschen
oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft,
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 strafbar.
(5) Verursacht der Täter … den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
§ 315 f StGB Einziehung
Kraftfahrzeuge, auf die sich eine Tat nach §315 d Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3, Absatz 2,4 oder 5 bezieht, können eingezogen werden
§ 74a Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei anderen
Verweist ein Gesetz auf diese Vorschrift, können Gegenstände abweichend von § 74 Absatz 3 auch dann eingezogen werden, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören oder zustehen, 1. mindestens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass sie als Tatmittel verwendet worden oder Tatobjekt gewesen sind, oder 2. sie in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat.
§ 69 Entziehung der Fahrerlaubnis (Auszug)
(1) 1Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat… entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.
(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen … (1a) des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d), so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.