Aktuell findet auf und an den deutschen Straßen wieder einmal ein medienwirksam begleiteter politischer Kampf statt. Es geht um Motorgeräusche, die hauptsächlich von Motorrädern, aber auch von bestimmten Autos verursacht werden. Spezieller: Es geht um Motorradfahrer, die an Wochenende und Feiertagen ganz bestimmte und allgemein von ihnen als „schön“ empfundene Fahrstrecken zu Hunderten nutzen und sich dadurch die Anwohner in ihrem Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung belästigt fühlen. Diese Strecken führen in der Regel durch Erholungs- und Landschaftsschutzgebiete wie den Schwarzwald, den Taunus oder das Erzgebirge. Das ist so lange unproblematisch, wie Straßen außerhalb von Ortschaften befahren werden. Es wird aber dann zum Ärgernis, wenn Anwohner sich durch die multiplen Fahrgeräusche belästigt fühlen und an den betreffenden Tagen keine Ruhe mehr finden.
Was steckt sachlich dahinter?
Am 15. Mai 2020 schaffte es diese Diskussion sogar bis in die Länderkammer. Der Bundesrat fasste eine Entschließung, die Bundesregierung solle sich bei der Kommission für eine Rechtsänderung einsetzen, die zulässigen Geräuschemissionen aller neu zugelassenen Motorräder auf maximal 80 dB(A) zu begrenzen. Die zuständige Institution dafür ist die Wirtschaftskommission für Europa, die United Nations Economic Commission for Europe (UN/ECE). Aber dort hatten sich die Ingenieure in der UN/ECE-R 41.04 bereits auf neue, wirksamere Prüfzyklen und Werte unter anderem für Motorräder geeinigt. Seit dem 1. Januar 2016 gelten nämlich in ganz Europa die technischen Bestimmungen der EU-Verordnung Nr. 168/2013, wonach eine EU-Typgenehmigung für neue Motorräder nur bei Einhaltung von strengeren Lärmschutzkriterien als bisher erlaubt erteilt wird.
Sie haben die Lücke erkannt?
Die Lärmschutzregelungen gelten nur für neue Motorräder, die Motorräder älterer Bauart dürfen weiterhin unbeeinflusst durch die neuen technischen Normen deutlich lauter sein.
Zudem ist durch die technischen Normen noch keineswegs der praktische Lärmschutz für die Bürger garantiert. Die technische Manipulation von Motorrädern, zum Beispiel durch den Ausbau des Schallschutzes (der sog. „dB-Eater“) oder durch besonders laute Klappen-Auspuffanlagen, ist weiterhin möglich und wird von einer bestimmten Klientel gerne praktiziert.
Was von einem Motorradfahrer als unverwechselbarer „Sound“ seiner Maschine erlebt wird, hat für die Anwohner die Kehrseite, diese Geräuschkulisse schlicht als „Lärm“ zu empfinden. Zumal viele Motorradfahrer in kleineren und größeren Gruppen unterwegs sind und daher die gesteigerte Geräuschkulisse für einen längeren Zeitraum und in einem stärkeren Ausmaß besteht. Eine besondere Belastung erfahren zudem Anwohner, die am Ortsausgang leben, also genau dort, wo Motorradfahrer aus Ortsgeschwindigkeit auf Außerortsgeschwindigkeit beschleunigen.
Des einen Freud ist auch hier des anderen Leid
Alle Seiten befriedigende Problemlösungen sind nicht in Sicht. Auf Streckensperrungen, wenn auch testweise wie am Feldberg im Hochtaunus, folgen Bikerdemos mit Hunderten und manchmal Tausenden erbosten Teilnehmern. Juristisch stehen sich die beiden Grundrechte auf Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gegenüber. Medizinisch unbestritten ist, dass hohe Schallpegel sowie chronischer Lärmstress nicht nur das Wohlbefinden von Menschen beeinträchtigen, sondern auch krank machen können, während das Bedürfnis, in der Freizeit Motorrad zu fahren, nicht ortsgebunden ist.
Eine allgemeine Regelung zum Schutz vor Straßenverkehrslärm existiert im Verkehrsrecht nicht. Lediglich für den Neubau oder wesentliche Änderungen einer Straße müssen Immissionsgrenzwerte beachtet werden. Und auch § 30 StVO bietet nur eine geringe Schutzwirkung zum Beiepiel beim unnützen Hin- und Herfahren (dem „Posen“).
Das Verkehrsrecht kann also derartige Probleme nicht generell lösen, sondern nur im Einzelfall. Strecken dürfen daher von einer Straßenverkehrsbehörde grundsätzlich nur dann gesperrt werden, wenn eine konkrete, das heißt persönlich spürbare Gefahr gegeben ist. Das kann man messen. Lärmmessungen mit geeichten Geräten müssten einen realistischen Vorher-/Nachher-Vergleich zulassen und eine gesundheitsgefährdende Lärmbelastung für die Anwohner ergeben.
Lärmbelastungen durch technisch manipulierte Fahrzeuge können jedoch allein durch polizeiliche Verkehrsüberwachung erkannt und nachfolgend geahndet werden. Doch die Polizei ist bundesweit personell unterbesetzt und nicht alle Polizisten befinden sich auf dem Kenntnisstand, derartige technische Manipulationen erkennen zu können.
Einfach Rücksicht aufeinander nehmen
Was bleibt, ist der Appell an die Vernunft, nämlich zu erkennen, dass jedes Grundrecht durch die Grundrechte anderer begrenzt wird. Anwohner können schlicht dem Lärm nicht entfliehen. Natürlich müssen sie den „normalen Straßenlärm“ ertragen – denn schließlich wohnen sie an einer Straße. Nicht ertragen müssen sie allerdings eine durch Manipulationen oder extreme Beschleunigung künstlich gesteigerte Geräuschkulisse. Ein solches Fahrverhalten ist rücksichtslos und schon durch § 1 Abs. 1 der StVO verboten, wo zu lesen ist: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“ und das Gebot zur Rücksichtnahme gilt auch gegenüber Anwohnern.
Quellen:
https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/20/989/989-pk.html?nn=4352766#top-10
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0101-0200/125-20(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0168
https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/verkehrslaerm/strassenverkehrslaerm#was-ist-strassenverkehrslarm
Foto: DVR
Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.