//TUM Prof. Stein: „Batterieforschung nicht einfrieren“

TUM Prof. Stein: „Batterieforschung nicht einfrieren“

Ein klares “Ja” zur E-Mobilität, jedoch mehr Agilität in der Batterieforschung – für den 36jährigen Professor für Digitale Katalyse an der TUM, Helge Stein, muss jetzt dringend ein Ruck durchs Land gehen. Nur dann könne die Kreativität aller Forschenden für neue Innovationen entfesselt werden. Deutschland, das fast alle modernen Techniken erfunden habe, dürfe sich nicht zu einem Technikmuseum erklären. Zudem könne es nicht sein, dass die Batterieforschung eingefroren werde, wenngleich alle mehr förderten. Mehr dazu im Gespräch mit Prof. Dr. Helge Stein, Batterieforscher der Technischen Universität München (TUM).

Der Motorjournalist: Sie machen Grundlagenforschung für Batterien und Katalyse. Wann wird es eine ‘vernünftige’ Batterie für E-Autos geben, so dass die Menschen der neuen Antriebsart vertrauen können?

Prof. Dr. Helge Stein: Die Batteriequalität und Quantität von E-Autos ist bereits heute extrem gut. So verfügen wir aktuell über sehr gute und ‚vernünftige‘ Batterien, die lange halten und eine hohe Performance haben. Jede der modernen Zellchemien, ob Lithium-Eisenphosphat (LFP) oder Nickel-Mangan-Kobalt (NMC), hält bei normaler Nutzung locker 1.000 Vollzyklen durch, das entspricht rund 300.000 Kilometern. Batterien, die in den vergangenen zehn Jahren produziert wurden, halten damit länger als die meisten Menschen ihr Auto überhaupt fahren wollen. Daher gibt es nun viel Forschungsbedarf für neue Anwendungen im Bereich des Second Life, wenn Batterien nach ihrem ‚ersten Leben‘ im Auto als Heimspeicher genutzt werden.

Dennoch wird immer wieder Kritik an Batterien für E-Autos laut …

Das stimmt, ich kann es aber zunehmend weniger verstehen. Beispielsweise wird angeführt, dass E-Autos leichter brennen. Fakt ist, dass es pro gefahrene Kilometer weniger Batteriebrände bei E-Autos als bei Verbrennern gibt. Dann wird seit Jahren über das Kobalt in NMC Batterien diskutiert. Davon sind wir jedoch mittlerweile weg. Batterien aus LFP, dem sogenanntem ‚günstigen‘ Kathodenmaterial, hat genau 0% Kobalt und besteht aus Lithium, Eisen, Phosphor und Sauerstoff – alles eher unkritische Materialien. Mein Kollege Prof. Fichtner vom Helmholtz-Institut Ulm hat übrigens errechnet, dass in einem modernen Verbrennungsmotor – genauer gesagt dem Motorblock – mehr Kobalt als in einer NMC-Batterie steckt. Ein weiterer Punkt betrifft den vermeintlich hohen CO2-Rucksack von Elektroautos: Die viel zitierte ‚Schwedenstudie‘ über den angeblich hohen CO2-Rucksack wurde mittlerweile deutlich nach unten korrigiert. Ein normal genutztes E-Auto ist auch beim deutschen Strommix nach spätestens drei Jahren ökologisch besser als ein Verbrenner – kostentechnisch hängt das stark vom Modell und der Nutzung ab.

In den Köpfen der Menschen werden E-Autos immer noch mit Lithium-Ionen-Batterien und Seltenen Erden gleichgesetzt. Wie viel Wahrheit bzw. Unwahrheit steckt in diesem Thema?

Zuerst: Seltene Erden, oder besser Lanthanoide, sind nicht zwangsweise selten. Sie heißen nur so, weil damals, als man angefangen hatte, das Periodensystem der Elemente aufzubauen, diese Elemente in selteneren Mineralien gefunden wurden. In den allermeisten Batterien sind übrigens keine seltenen Erden drin. Richtig ist aber, dass Lithium und Kobalt stark ungleich über den Globus verteilt sind. Wir verfügen jedoch beispielsweise auch in Deutschland über Lithium- und sogar Kobaltvorkommen. Derzeit wird viel in China und Südamerika abgebaut. Zudem gibt es tatsächlich gigantische Lithium- und Kobaltvorkommen in Afghanistan. In neuen Batteriechemien ist übrigens kein Kobalt mehr enthalten. Vielmehr nutzen beispielsweise Firmen wie BYD oder CATL LFP-Batterien, die komplett kobaltfrei sind. Klar, in den Batterien steckt immer noch Lithium drin, aber wir haben genug davon, um noch eine Menge Batterien zu bauen. Eisenphosphat ist übrigens so ein bisschen der Liebling der Batterieforscher, weil es sich verdammt einfach herstellen lässt. Ich würde mir tatsächlich mal eine nüchterne Debatte über die Zukunft des Bergbaus in Deutschland und Europa jenseits von Kohle wünschen. Wir könnten die komplette Wertschöpfungskette von der Mine bis zum Auto in Europa abbilden – wie genial und wirtschaftsfördernd das wäre, sollte offensichtlich sein!

Wie steht es um die Kosten der Batterieherstellung?

Bis vor drei, vier Jahren wurde lange davon ausgegangen, dass bei der Batterieherstellung immer das beste Anoden- und Kathodenmaterial verwendet werden muss. Vergleicht man jedoch ein Batterie-Pack aus den besten Materialien mit einem aus dem günstigeren Batterie-Pack, so unterscheiden sich diese gerade einmal um 3 bis 5 Prozent Reichweite. Es stellt sich heraus, da Zellformate gepaart mit der passenden Zellchemie einen viel größeren Hebel mit Hinblick auf Reichweite und Sicherheit bieten. In der Folge wurden die Batterien immer größer, weil so beispielsweise weniger Verpackungsmaterial pro kWh gebraucht wird. Gleichzeitig kann ich in bestimmten Geometrien die Wärme besser abführen und bei bestimmten Bauformen sogar eine Folie statt einem Blech als Hülle verwenden. Hier kann man sehr viel Kreativität für Gewichts- und Volumeneinsparungen nutzen. Tesla setzt auf ihre gigantischen Rundzellen als Strukturelement, CATL dagegen auf Blade-Batterien, die nahezu einen Meter lang und ungefähr handbreit sind, um Wärme besser abzuführen und bei den Produktionskosten zu sparen. Dadurch werden weniger, dafür aber wesentlich größere Batterien gebaut. Das wird dann insgesamt günstiger in der Herstellung, da wir eine hohe Intensivierung des Bauraums und der Produktion haben. Auch an unserem Lehrstuhl forschen wir in diesem Bereich und bauen entsprechende Roboter, die individualisierte Zellformate bauen können.

Eine steile Lernkurve also…

Exakt. Eine Lernkurve in der Produktion großer Mengen zeigt in der Regel einen logarithmischen Abfall der Preise nach produzierter Menge. Das ist vergleichbar mit der Produktion von Solarzellen, bei der wir gegenüber von vor 30 Jahren heute bei einem Bruchteil der Kosten pro kW liegen. Meine Fixkosten verteilen sich einfach auf höhere Stückzahlen, so daß ich irgendwann bei den Grenzkosten lande. Auf dem Weg dahin benötigen wir freilich noch mehr Forschung, vor allem Prozessforschung an neuen Materialien. Derzeit geht es in erster Linie um Automobilspeicher. Die große Welle erwarten wir jedoch noch bei den Heimspeicherungen, die wir für die Energiewende benötigen werden. Tesla investiert bereits gesamthaft in diesen Bereich, denn, so viel ist klar, der Heimspeichermarkt wird in 20 oder 30 Jahren größer als der der Automobile sein. Viele deutsche Hersteller wie auch VW bieten schon in gewissen Maßen bidirektionales Laden an. Bidirektionales Laden in Verbindung mit einem flexiblen Strompreis könnte so sogar völlig neue Einkommensmöglichkeiten bieten – dafür braucht es aber noch neue Regulierungen.

Sie sind davon überzeugt, dass die Batterieproduktion und -forschung agiler werden müssen. Was heißt das?

Agilität in diesem Kontext heißt, in sehr kurzer Zeit neue Richtungen einschlagen zu können. Das bedeutet, neue Chemien, neue Zellformate, neue Konzepte müssen schnell erprobt werden können. Mögliche neue Konzepte wären beispielsweise ‘Hybrid’-Batterien. Also die LFP-Batterie für die Langstrecke und die Natrium-Ionen-Batterien für eine schnellere Ladung. Auch bei Kälte und niedrigen Temperaturen ließen sich Natrium-Ionen-Batterien besser nutzen kann. Zudem wäre auch eine Regionalisierung von Batteriechemien denkbar.

Mit Ihren Forschungen an Ihrem Lehrstuhl sind Sie für mich nicht nur ein Tausendsassa. Vielmehr sind Sie am Puls der Zeit, denn Sie bilden alles ab, wonach vor allem die Autoindustrie derzeit lechzt, nämlich dem Know-how rund um Batterien für E-Autos. Inwieweit konnte die Industrie bereits von Ihren Ideen profitieren oder ist alles noch in der Forschung?

Zunächst: Die Bezeichnung meines Lehrstuhles ‘Digitale Katalyse’ versuche ich so zu erklären, dass wir mit digitalen Methoden schwere Dinge leichter machen und langsame schneller – das ist Katalyse; das macht ein Katalysator. Es kann also sein, dass ein Prozess auf der atomaren Skala ‚besser‘ gemacht wird – das wäre die klassische Katalyse. Es kann aber auch sein, dass wir einen makroskopischen Prozess, wie das Zusammenbauen einer Batterie oder eines Katalysators betrachten und hier das Investment verringern, um neue Konzepte auszuprobieren. Meine Gruppe ist dementsprechend breit aufgestellt – wir haben Leute aus dem Maschinenbau, der Physik, der Chemie oder auch aus der Betriebswirtschaftslehre. Mit Blick auf die Industrie und inwieweit unsere Forschungsergebnisse hier bereits einfließen, lautet die Antwort: Teils, teils, denn wir sind dabei, unsere Patente an die Industrie zu verkaufen. machen aber auch viel Auftragsforschung. Bei unserem jüngsten Patent, geht es um die Beschleunigung der Formierung um Faktor 2 und 3, denn dies ist tatsächlich der langsamste Schritt in der Produktion. Durch unsere Technik können die Hersteller künftig einige 10 Millionen Euro pro Gigafactory und Jahr einsparen.

Sie betonen immer, ‚uns läuft die Zeit davon‘, es würden neue Chemien auf großen Skalen gebraucht – eine Mammutaufgabe also. An Welcher Stelle des Prozesses stehen Sie jetzt?

Meine kleine Gruppe von 20 Leuten kann und will das alles nicht alleine tun – wir sprechen hier von einer Kraftanstrengung für die gesamte deutsche Industrie. Jetzt hatten wir vor kurzem einen de-facto Förderstopp für Batterieforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (vgl. https://www.zvei.org/presse-medien/pressebereich/bmbf-kappt-die-basis-der-forschungs-und-innovationspipeline-batterie).Das ist eine absolute Vollbremsung. Wir alle haben in Sachen Batterieforschung und-produktion gerade aufs Gas gedrückt, weil wir hier dringend sowohl in die Forschung als auch in die Produktionskapazitäten investieren müssen. Und jetzt das Förderaus. Wir an den Universitäten haben ja den Auftrag und die Freiheit neue Dinge auszuprobieren und können dabei ein Risiko eingehen, was die Industrie nicht unbedingt kann. Die Handvoll Trümpfe, die wir finden, müssen wir dann schnell in die Industrie bringen. Das setzt aber voraus, daß wir überhaupt mit am Tisch sitzen und die Teilnahme am internationalen Wettbewerb benötigt nun einmal staatliche und private Investitionen.

Was ist also Ihrer Meinung nach zu tun?

Wissen Sie, ich glaube es gibt so etwas wie Bremsschulden. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Rennen um die beste Technik. Alle starten, manche mit toller Ausstattung, manche mit viel Geld, manche mit ungewöhnlichem Stil. Dann setzen die Favoriten zum Sprint an. Sie hingegen halten an und beschweren sich, daß nicht alle konstant schnell sind wie zu Anfang und fangen an, die Trainer der anderen Wettbewerber zu beschimpfen. Die einzige Strategie, die meiner Meinung nach solch einem Fauxpas funktionieren kann ist, jetzt viel schneller und mit Unterstützung zu laufen, um noch zu gewinnen. Jede Sekunde, die wir weiter auf der Bremse stehen, erhöht unsere Bremsschulden und wird von uns noch größere Anstrengungen in der Zukunft abverlangen. Wir brauchen sofort eine Investitions- und Kraftanstrengung in Forschung, Produktion und Industrie. Deutsche Technik in Energieproduktion, Speicherung und Nutzung muss so führend sein, daß es uns alle Kunden wie warme Semmeln aus der Hand reißen! Das bedeutet hunderte Milliarden an Investitionen, die uns sonst viel mehr kosten.

Ist Deutschland einfach zu risikoavers?

Ja, in Deutschland hapert es heute oftmals an Risikobereitschaft. Gleichwohl muss jetzt etwas passieren. Und das kostet Kraft und braucht Geld. Als Forschende können wir lediglich die Entscheidungsträger beraten. Die Medien wiederum sollten sehr genau bei ihren Berichten über Innovation und Transformation formulieren und wegkommen von populistischen Aussagen. Schließlich verbreitet sich in der Öffentlichkeit Bullshit wesentlich schneller als die Wahrheit. Auf den Punkt gebracht: Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Dabei müssen Forschung, Industrie und Politik eng verzahnt agieren. Zudem gilt es, die Kreativität unserer Ingenieure und Ingenieurinnen sowie Forscher und Forscherinnen möglichst umfassend und schnell zu nutzen. Wir verfügen hier über eine Menge guter Talente auf die alle stolz sein können. Ich wünsche mir daher im Übrigen wieder eine Kultur der Forschungsaffinität, schließlich wurden nahezu alle Techniken der Neuzeit in Deutschland und Europa erfunden.

Als Vorständin im Verband der Motorjournalisten – ‘Die Experten für Mobilität erlauben Sie mir abschließend die Frage nach Ihrer persönlichen Vision der Mobilität der Zukunft: Wie lautet diese?

Meine Vision der Mobilität von morgen ist neben Null Verkehrstoten eine, die alle Menschen mitnimmt, also auch vulnerable Gruppen. Bei dieser Art von Mobilität gilt es auch, die dabei entstehenden Kosten zu analysieren. Alle müssten dann einen gerechten Beitrag zahlen, wenngleich hier die Emotionen sicher hoch kochen würden. Überdies brauchen wir die richtigen baulichen Maßnahmen – Farbe allein ist keine Infrastruktur. Kurzum: Gerade angesichts einer älter werdenden Gesellschaft müssen wir Mobilität als Gesamtsystem denken und nicht Interessensgruppen, wie Fahrradfahrer gegen Automobilisten, Fahrradfahrer gegen Fußgänger oder Kinder gegen den Rest ausspielen. Die Einführung des Deutschland-Tickets mit anfangs 49 Euro und jetzt 58 Euro jährlich ist meiner Überzeugung nach ein richtiger Impuls in die richtige Richtung.

Autorin: Isabella Finsterwalder; Abbildung:privat

Vita Prof. Stein

Der 1988 geborene Prof. Dr. Helge Sören Stein entwickelt experimentelle und computergestützte Methoden zur beschleunigten Entdeckung, Charakterisierung und Hochskalierung neuer verbesserter Materialien in der Katalyse und für Sekundärbatterien. Experimentelle Daten werden mittels selbstentwickelter Roboter gesammelt, mit Algorithmen und maschinellem Lernen geplant sowie ausgewertet und über Datenmanagement semantisch durchsuchbar abgelegt. Ziel ist es, eine globale dezentrale Materialbeschleunigungsplattform (MAP) aufzubauen. Prof. Stein studierte von 2008 bis 2013 an der Georg-August-Universität Göttingen Physik und promovierte 2017 zu Hochdurchsatzmethoden an der Ruhr-Universität Bochum mit Maschinenbau mit summa cum laude. Von 2017 bis zum Antritt seiner Tenure-Track-Professur für Angewandte Elektrochemie am Karlsruher Institut für Technologie 2020 forschte er am California Institute of Technology (Caltech). 2023 wurde Prof. Stein auf die Professur für Digitale Katalyse an die TUM berufen.