//Müllers Kolumne: Ferngelenkte Autos – die Fallstricke

Müllers Kolumne: Ferngelenkte Autos – die Fallstricke

Im Frühjahr 2024 wurde der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) für eine Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zur Erprobung von Kraftfahrzeugen mit ferngelenkter Fahrfunktion (StVFernLV) bekannt und zunächst den vom BMDV anerkannten Verbänden zur üblichen fachlichen Stellungnahme zugeleitet.
Die StVFernLV soll einen Rechtsrahmen zum befristeten Regelbetrieb von ferngelenkten Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Straßen schaffen. Mit anderen Worten: Auf deutschen Straßen sollen nach Auffassung des BMDV zukünftig Autos ohne Fahrer am Lenkrad unterwegs sein. In der VO ist zu diesem Zweck unter anderem  vorgesehen, den Einbau geeigneter technischer Ausrüstung zum Fernlenken in bereits genehmigte Kraftfahrzeuge mit assistierten Fahrfunktionen der Stufe 2 (der Kategorisierung nach SAE J3016) zu erlauben.
Das verkehrspolitische Fernziel des BMDV ist es, den Weg zu einem Regelbetrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion durch alternative Technologien wie das Fernlenken von Kraftfahrzeugen auf der Rechtsgrundlage des StVFernLV für die Zukunft zu ebnen.

Die Bundesländer, auf deren Straßen diese Autos fahren sollen, sind allerdings, so der Wille des Bundesverkehrsministers, mit Ausnahme der erfolgten Beteiligung der obersten Straßenverkehrsbehörden nicht nochmals an der Willensbildung zu diesen Vorschriften zu beteiligen. Der Bundesrat ist daher lediglich zum Zuschauen eingeladen.

Erklärung des BMDV an die Verkehrsministerkonferenz zur StVFernLV

Nach Auffassung des BMDV basiert die StVFernLV juristisch auf einer Experimentierermächtigung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG).
Die Vorschrift lautet wie folgt:
§ 6 StVG – Verordnungsermächtigungen
(7) Keiner Zustimmung des Bundesrates bedürfen Rechtsverordnungen
2. über allgemeine Ausnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 18, auch in Verbindung mit den Absätzen 3 bis 6.
Vor ihrem Erlass sind die zuständigen obersten Landesbehörden zu hören.

Das BMDV stützt sich auf die folgende Begründung des Gesetzgebers:
Zitat BTagDrucks. 19/28684, S. 44:
Solche Ausnahmeverordnungen dienen etwa der Erprobung oder enthalten ein Angebot zur Wahl durch die Länder (sog. Öffnungsklauseln). Nach erfolgreicher Bewährung kann zur Beendigung des Ausnahmecharakters eine Bestätigung im regulären Rechtsetzungsverfahren mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen.

Aufgrund einer Pressemeldung des Tagesspiegels vom 14.6.2024 erfolgten nach einer Anhörung der Ressorts, oberster Länderverkehrsbehörden und Verbände lediglich noch eine Rechtsförmlichkeitsprüfung durch das Bundesjustizministerium sowie das Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Kommission.

Widerstand aus der Verkehrsministerkonferenz

Die strikte Auffassung des BMDV stieß auf den Widerstand der Bundesländer, geäußert durch die Länderverkehrsminister in deren zweimal jährlich tagender Verkehrsministerkonferenz (VMK). Die VMK hatte in ihrer Sitzung am 9./10.10.2024 zum vom BMDV vortragenden TOP 4.2 „Verordnung für teleoperiertes Fahren“ beschlossen, dass die Experimentierklausel des StVG für die Einführung der StVFernLV nicht herangezogen werden kann und den Bund dazu aufgefordert, ein reguläres Verordnungsverfahren unter Einbeziehung des Bundesrates durchzuführen. Diese Aufforderung blieb seitens des BMDV offiziell unbeantwortet. Laut Stellungnahme des BMDV zum TOP 4.2 bedarf die StVFernLV nicht der Zustimmung des Bundesrates, sondern lediglich einer Anhörung der zuständigen obersten Landesbehörden. Das BMDV versprach in seiner Stellungnahme gegenüber den Länderverkehrsministern, „die Länder weiterhin eng in die Finalisierung der Verordnung“ einzubinden. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Es stellt sich dabei die grundsätzliche Frage, warum das BMDV eine offene verkehrspolitische Diskussion im Bundesrat scheut.
Ein Grund dafür könnte ein fachlich unausgegorenes Konzept der StVFernLV sein und der politische Wunsch des Ministers, sich mittels dieser Verordnung ein politisches Denkmal zu schaffen.

Passt die neue Verordnung zur StVO?

Mit dieser Zielrichtung, die inhaltlicher Schwachpunkte offenzulegen, stellte in der zu Ende gehenden Legislaturperiode der Abgeordnet Dr. Jonas Geissler (CDU) zur Straßenverkehrs-Fernlenkverordnung die Anfrage, ob Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr, die einen anwesenden Fahrer betreffen, beispielsweise das Aufstellen eines Warndreiecks oder die Aushändigung eines Fahrzeugscheins an einen Polizeibeamten, für teleoperiertes Fahren ohne physisch anwesenden Fahrer rechtssicher anzupassen sind. Der frühere Staatssekretär im BMDV, Oliver Luksic (FDP), antwortete für die Bundesregierung auf die kritische Anfrage schlicht und knapp, indem seiner Ansicht nach für das Fernlenken von Kraftfahrzeugen keine Anpassung der Straßenverkehrs-Ordnung geplant sei (Bundestags-Drucksache 20/12734, S. 105).
Aber stimmt dies tatsächlich?
Tatsächlich muss man sich als Betrachter dieses Projektes erst einmal klarmachen, was beim Konstrukt eines ferngelenkten Kraftfahrzeugs praktisch passiert und wer die Nutznießer solcher Angebote sein könnten.

Nutznießer ferngelenkter Kraftfahrzeuge

Das Konzept ferngelenkter Kraftfahrzeuge wird bereits in den USA praktiziert. Carsharing-Firmen möchten ihren Kunden die Autos mittels vor einem Bildschirm sitzenden Fahrern (sog. „Telefahrern“) an den jeweiligen Ort bringen, wo die Fahrt beginnen soll. Diese Fahrzeuge sind mit Fahrerassistenzsystemen sowie einer 360-Grad-Kamera ausgestattet, die den Telefahrern, ähnlich einem analog im Auto sitzenden Fahrer, einen Rundumblick ohne toten Winkel gewährleisten sollen. Die Telefahrer sitzen zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger weit entfernt vom Einsatzort eines Kraftfahrzeugs mit Automatikgetriebe an einem Online-Arbeitsplatz in einer Zentrale, der mit Lenkrad oder Joystick, Gaspedal, Bremse und großen Bildschirmen ausgestattet ist, die die Kamerabilder live übertragen. Zusätzlich sollen Mikrofone, die im und am Auto verbaut sind, die Geräusche aus dem Straßenverkehr 1:1 auf die Kopfhörer der Telefahrer übermitteln, damit diese sich auch akustisch in der Verkehrsumgebung des betreffenden Autos orientieren können.
Dieses Szenario ist entfernt vergleichbar mit den Piloten von Drohnen, die irgendwo auf der Welt vor einem Bildschirm sitzen, der ihnen ein Live-Satellitenbild des Einsatzortes der betreffenden Drohne zeigt, nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass den Piloten in der Luft keine anderen Verkehrsteilnehmer begegnen können und Umgebungsgeräusche irrelevant sind.
Ein weiteres Anwendungsfeld sollen Lkw und Omnibusse sein, vorausgesetzt, der zuvor erprobte praktische Betrieb mit Pkw zeigt keine grundsätzlichen Probleme auf.
Die erhofften Vorteile liegen auf der Hand. Es werden weniger Fahrer benötigt, die im Berufsfeld der Berufskraftfahrer tatsächlich Mangelware sind.

Die Person des Telefahrers

Überhaupt muss zur Person eines Telefahrers grundsätzlich gesagt werden, dass diese Person rechtlich gesehen der Fahrzeugführer ist, das heiß, dass sämtliche Pflichten eines analogen Fahrzeugführers von einem solchen Telefahrer erfüllt werden müssten. Hier wird ein neues Berufsbild kreiert, bei dem die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs von entscheidender Bedeutung für das störungsfreie Gelingen eines solchen Projektes ist.
Laut Entwurf muss ein Telefahrer zu dieser speziellen Tätigkeit körperlich, geistig und charakterlich geeignet sein. Das BMDV hat jedoch die für Berufskraftfahrer obligatorische Eignungsuntersuchung nach der Anlage 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), also der Rechtsnorm für die Eignungsuntersuchungen für Bewerber und Inhaber der Klassen C, C1, D, D1 und der zugehörigen Anhängerklassen E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, zwar vom betreffenden Fahrzeughalter eingefordert, aber die Verpflichtung zur Untersuchung in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht für notwendig erachtet.

Gefordert wird lediglich ein Führungszeugnis, das der Genehmigungsbehörde vorgelegt werden muss. Alle anderen Voraussetzungen an einen Telefahrer sind ausschließlich intern von den Fahrzeughaltern zu prüfen. Das BMDV gibt den marktwirtschaftlich arbeitenden Anbietern also per se einen großen Vertrauensvorschuss.
Ob ein Telefahrer sich in einem fahrtüchtigen körperlichen Zustand befindet, kann ein Polizeibeamter, auf dessen Haltzeichen gemäß § 36 Abs. 1, 5 StVO auch ein teleoperiertes Fahrzeug unverzüglich anhalten müsste, ebenfalls nicht überprüfen, weil er den betreffenden Fahrzeugführer nicht vor sich sieht. Von dieser Pflicht, anzuhalten und die Fahrer- und Fahrzeugpapiere nach den Regeln der FeV und Fahrzeugzulassungs-Verordnung (FZV) einem Polizeibeamten zur Prüfung auszuhändigen kann übrigens auch keine Ausnahmegenehmigung befreien. Auch in dieser Hinsicht ist der Vertrauensvorschuss des BMDV enorm:  Die Fahrtüchtigkeit müsste in der Zentrale vor dem jeweiligen Dienstantritt verpflichtend beispielsweise mittels eines Alkolocks überprüft werden.

Mögliche Probleme mit den Regeln der StVO

Die Fragen des Abgeordneten Dr. Geissler gingen genau in die richtige Richtung. Für welche Pflichten der StVO und anderer Verordnungen werden physisch anwesende Fahrer benötigt?
Die konkrete Frage des Abgeordneten nach dem Erfüllen der Sicherungspflicht aus § 15 Satz 2 StVO, bei einem liegengebliebenen mehrspurigen Fahrzeug ein Warndreieck in ausreichender Entfernung aufzustellen, wurde jedenfalls vom früheren Staatssekretär beziehungsweise demjenigen Ministerialbeamten, der ihm die Antwort geschrieben hat, fehlerhaft beantwortet; denn sehr wohl kann kein Telefahrer ein Warndreieck aufstellen, weil er den Kofferraum nicht öffnen und das Warndreieck an einem passenden Ort vor der entstandenen Gefahrenstelle platzieren kann. Der Telefahrer kann lediglich das Warnblinklicht einschalten und die Pflicht aus § 15 Satz 1 StVO erfüllen. Von der durch ihn unerfüllbaren Pflicht aus Satz 2 der Vorschrift benötigt der Antragsteller, sprich: der entsprechende Carsharinganbieter, eine Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 2 StVO, die ihm kaum erteilt werden dürfte, weil es sich um eine nicht kompensierbare Pflicht handelt. Man stelle sich nur einmal vor, das Fahrzeug bliebe in einer Kurve liegen.

Ähnlich kann auch die Pflicht aus § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO, nach einem Verkehrsunfall den Verkehr zu sichern, nicht von einem Telefahrer erfüllt werden und benötigte ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung. Die Verpflichtung, nach einem Verkehrsunfall Verletzten zu helfen aus § 34 Abs. 1 Nr. 4 StVO ist sogar mit der Strafvorschrift des § 323c StGB verknüpft und würde zu einem Straftatverdacht gegenüber dem Telefahrer führen und vom Strafrecht kann niemand mittels Ausnahmegenehmigung befreit werden.

Fraglich ist auch, ob die Fahrzeugsensoren die Beschaffenheit einer Fahrbahn, die nicht immer problemlos ist, insbesondere bei wechselnden Witterungsverhältnissen, einwandfrei erfassen können, sodass die Pflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 1, 2 StVO, stets nur mit einer angepassten Geschwindigkeit zu fahren, auch durch einen Telefahrer erfüllt werden kann.
Eine direkte Kommunikation mit anderen Fahrzeugführern – wie sie von § 1 Abs. 1 StVO grundsätzlich gefordert und oft mittels direkten Blickkontakts praktisch umgesetzt wird – kann ein Telefahrer überhaupt nicht leisten.

Fazit

Alles, was bisher gesagt wurde, ist nur kursorisch und soll keineswegs im Sinne einer Fundamentalopposition gegenüber technischen Innovationen missverstanden werden. Eine verbesserte Verkehrs- und Fahrzeugtechnik wird zukünftig irgendwann einmal mit großer Sicherheit besser Leben retten und die Gesundheit schützen können, als dies menschliche Fahrer jemals umzusetzen vermögen. Aber bei dem hier zu betrachtenden Projekt sitzt weiterhin ein menschlicher Fahrer am Steuer, und zwar mit allen Nachteilen, die auch ein analoger Fahrer in sich trägt. Nur kann er nicht vor Ort des Geschehens kontrolliert werden und seine höchstpersönlichen Pflichten nach StVO, FeV und FZV nicht erfüllen.

Als Verfasser dieser Kolumne bin ich ein Advocatus diaboli und damit eine Person, die im BMDV offensichtlich beim Abfassen des Referentenentwurfs gefehlt hat. Auf diese Weise bleiben zahlreiche Fragen offen, wie zum Beispiel:
1. Warum ignoriert das BMDV den übereinstimmenden Beschluss der 16 Bundesländer aus der VMK, die dem BMDV allesamt eine fehlerhafte Rechtsgrundlage vorwerfen?
2. Von welchen allgemeinen Verkehrsvorschriften stellt die StVFernLV als Experimentalvorschrift eine Ausnahme dar?
3. Welche einschlägigen Evaluationsergebnisse der praktischen Erprobung des teleoperierten Fahrens wurden vom BMDV in die Konstruktion der Verordnung einbezogen?
4. Welche Institutionen sollen die geplante praktische Anwendung der Experimentierklausel wissenschaftlich begleiten?
5. Wie werden die Belange des Datenschutzes gewährleistet, wenn die Fahrer ferngelenkter Fahrzeuge an ihrem Monitor zwangsläufig die Gesichter und Kfz-Kennzeichen anderer Verkehrsteilnehmer sehen können und die Fahrten der ferngelenkten Fahrzeuge aufgezeichnet werden?
6. In welchem Umfang und in welcher fachlichen Tiefe haben die zuständigen obersten Landesbehörden der Länder zum Entwurf der StVFernLV Stellung bezogen?
7. Warum sollen für ein fahrerloses, ferngelenktes Fahrzeug andere juristische Anforderungen gelten als für ein hochautomatisiertes oder autonomes Fahrzeug?
8. Wie soll das praktische Problem für die Verkehrssicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gelöst werden, wenn ein ferngelenktes Fahrzeug bei Abbruch der Funkverbindung auf der Stelle stehenbleiben muss?
9. Wie sollen andere Verkehrsteilnehmer erkennen können, dass sie einem ferngelenkten Fahrzeug begegnen?
10. Wie soll ein Telefahrer mit anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren?
11. Wie sollen die sogenannten schwächeren Verkehrsteilnehmer (Kinder, betagte Senioren) bei Begegnungen mit Fahrzeugen ohne anwesenden Fahrer vor den zu erwartenden Schreckreaktionen geschützt werden?
12. Wie sollen Telefahrer in ihrer Eignung und Tüchtigkeit zum Führen von Fahrzeugen geprüft werden?

Fragen über Fragen, die in erster Linie vom BMDV ernstgenommen und zeitnah und transparent beantwortet werden müssen. Ein geschäftsführender Minister auf Abruf kann dies nicht und macht sich nicht nur politisch mitschuldig, wenn sein Experiment misslingen würde.

Weiterführende Links
Bericht des BMDV an die VMK unter TOP 4.2 der VMK
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Stellungnahme der VMK auf S. 5 der Empfehlungen
hier klicken
Änderungsgesetz zum StVG
hier klicken

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik

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