Im Februar stand auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages die dritte Lesung des Cannabisgesetzes. Voller Hoffnung auf Zustimmung für das auf die Wählerklientel der Cannabis konsumierenden Erwachsenen maßgeschneiderte Gesetz präsentierte die Regierungskoalition eine vom Gesundheitsausschuss massiv beeinflusste Neufassung des Gesetzes und erhielt von den Abgeordneten eine überwältigende Zustimmung von zwei Dritteln der Abstimmenden. Aller Voraussicht nach überweist jedoch der Bundesrat Ende März das Gesetz in den Vermittlungsausschuss, um das Verfahren zu verzögern; denn aufhalten kann er das nicht zustimmungspflichtige Gesetz am Ende nicht.
Ziele des Gesetzes
Das wesentliche Ziel des Gesetzes ist eine Entkriminalisierung der Konsumenten von Cannabis, also der Besitz der Droge und deren Anbau; denn der Konsum war schon immer straffrei. Als sehr problematisch sieht die Justiz in den Ländern die geplante rückwirkende Amnestie, die die Justiz vor die große Aufgabe stellt, Zehntausende Verfahren nochmals zu überprüfen und ggf. einzustellen bzw. verurteilte Straftäter nachträglich freizusprechen. Dazu finden Sie unter den weiterführenden Links einen Artikel aus dem Ärzteblatt.
Wer diese Zeche in punkto Personalkosten bezahlt? Natürlich die Bundesländer! Daher werden sie das Gesetz vermutlich im Bundesrat aufhalten, um ihre Gerichte auf diese ungewollte Mammutaufgabe vorzubereiten. Die Konsequenz: Andere, vielleicht bedeutend wichtigere Verfahren bleiben erst einmal zugunsten der Rauschgiftkonsumenten liegen.
Die Macher des Gesetzes, allen voran der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, wollen mit diesem Gesetz aber auch den Gesundheitsschutz verbessern und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Droge erleichtern. Das ist zwar ein ehrenwerter Ansatz, aber leider werden sie auch der als Konsumenten ungewollten Gruppe der Kinder und Jugendlichen den Zugang zur Rauschdroge erleichtern, indem die Verfügbarkeit der Droge durch erlaubten Privatanbau und privaten Besitz von 50 Gramm der Droge je erwachsener Person deutlich erhöht werden wird.
Das weitere Ziel des Gesetzes, den illegalen Markt mit Cannabis einzudämmen und die Qualität des gehandelten Cannabis durch Druck auf den illegalen Markt zu verbessern, dürfte – gelinde gesagt – utopisch sein: Die Mafia wird ihr über Jahrzehnte tradiertes und Milliardengewinne abwerfendes Geschäft nicht kampflos hergeben, sondern die illegale Droge auch in konkurrenzfähiger biologisch gewachsener und nicht manipulierter Sorte zu Kampfpreisen anbieten, um das deutlich teurer angebaute legale Cannabis wieder vom Markt zu verdrängen.
Ein weiterer, wissenschaftlich allerdings nicht belegbarer Grund der Reform ist die Beseitigung einer angeblichen Ungleichbehandlung zwischen Konsumenten von Alkohol und Cannabis. Der gesellschaftlich akzeptierte, eher lockere Umgang mit den Risiken durch alkoholisierte Verkehrsteilnehmer soll nun aus einem Wunsch nach Gleichbehandlung auch auf Cannabiskonsumenten übertragen werden. Man will also sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben – unlogischer geht´s kaum und gefährlicher auch nicht.
Die potenziellen Wirkungen auf die Verkehrssicherheit
In dieser Kolumne geht es hauptsächlich um die Verkehrssicherheit, aber immer auch ein wenig um die aktuelle Verkehrspolitik, die maßgeblich von parteipolitischem Kalkül gesteuert wird. Dabei stehen die parteipolitischen Gründe für Rechtsänderungen natürlich in keiner amtlichen Begründung eines Gesetzes oder einer Verordnung. Dort sind die fachlichen Gründe von in der Regel juristischen Referenten in den Ministerien verfasst worden, die mit der parteipolitischen Linie mangels Parteizugehörigkeit nicht befasst sind, sondern einfach den ministeriellen Auftrag erhalten haben, einen Referentenentwurf nach Maßgabe des (politischen) Willens des Fachministers zu erarbeiten und zu begründen.
Aktuell werden zwei verkehrsrechtliche Problemkreise diskutiert. Im Gespräch ist die Anhebung des THC-Grenzwertes für das Vorliegen der Ordnungswidrigkeit des § 24a Abs. 2 StVG. Tetrahydrocannabinol (THC) ist der berauschende Wirkstoff der Cannabispflanze und der aktuelle Grenzwert beträgt 1 Nanogramm (ng) THC je ml Blutserum.
Den zweiten Problemkreis bildet eine deutliche Veränderung des Fahreignungsrechts, wobei die Systematik der Begutachtung neu aufgestellt werden soll.
Die beabsichtigte Anhebung des THC-Grenzwertes
Es gibt Bestrebungen verschiedener Akteure, den aktuellen Grenzwert auf 3 ng/ml Blutserum anzuheben. Begründet wird dieser Vorschlag im Wesentlichen damit, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen einer Studie aus dem Jahr 2006 erst ab dem Erreichen dieses Wertes überhaupt negative Abweichungen im Fahrverhalten (sog. Ausfallerscheinungen) messbar sein sollen.
Die Gegenmeinung des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) stützt sich auf die Rechtsprechung, die sich wiederum auf dieselbe „Maastricht-Studie“ stützt wie die Befürworter einer Anhebung. Das verstehe, wer will. Jedenfalls existiert bislang aus ethischen Gründen keine deutsche Studie und die Anhebung des Grenzwertes entspricht einem „Versuch am offenen Herzen“ der Verkehrssicherheit. Die sogenannte Grenzwertkommission, die ehemals von einem Bundesverkehrsminister zur Empfehlung von Drogengrenzwerten eingesetzt worden war, konnte sich nicht auf eine Anhebung einigen, weil ihrer Ansicht nach die eindeutige Evidenz fehlte. Aus diesem Grund eines wissenschaftlichen Patts setzte Bundesverkehrsminister Volker Wissing eilends eine neue Expertenkommission ein, die Ende März die politisch erwünschte Anhebung empfehlen dürfte.
Die beabsichtigten Änderungen der Begutachtungspraxis im Fahreignungsrecht
Die wichtigste die Verkehrssicherheit betreffende Vorschrift soll so aussehen:
§ 13a Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)
Klärung von Eignungszweifeln bei Cannabisproblematik
Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass
1. ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Cannabisabhängigkeit begründen, oder
2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Cannabisabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Cannabismissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen,
b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss begangen wurden,
c) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a und b genannten Gründen entzogen war oder
d) sonst zu klären ist, ob Cannabismissbrauch oder Cannabisabhängigkeit nicht mehr bestehen.“
Die Änderungen werden erst durch einen Vergleich mit der existierenden Vorschrift des § 14 FeV deutlich, der aktuell noch so aussieht:
§ 14 FeV
Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel
(1) Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass
1. Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 11. Mai 2011 (BGBl. I S. 821) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen,
2. Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder
3. missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen
vorliegt. Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens kann angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.
(2) Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn
1. die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war,
2. zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt, oder
3. wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden. § 13 Nummer 2 Buchstabe b bleibt unberührt.
Demnach soll eine ärztliche Begutachtung künftig nur auf den Verdacht der Abhängigkeit von Cannabis beschränkt sein und eine MPU erst nach der zweiten Fahrt unter Cannabiseinfluss. Aktuell führt schon der bewiesene regelmäßige Konsum (definiert als täglich oder nahezu täglich) zum Verlust der Fahreignung und der Fahrerlaubnis. Gelegentliche Konsumenten (definiert als zweimaliger Konsum in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang) haben aktuell eine MPU zu absolvieren, wenn sie bereits das erste Mal unter dem Einfluss von Cannabis erwischt worden sind.
Das Fahreignungsrecht soll also liberalisiert werden, indem die Liberalisierung als eine Verschiebung der Grenzen einer Begutachtung verstanden wird. Auch dieser Versuch wird ohne wissenschaftliche Evidenz deutscher Forschungen vorgenommen werden – ein gefährliches Experiment.
Fazit
Das (auch) verkehrspolitische Projekt der Legalisierung von Cannabis beruht aus Sicht der vier befürwortenden Parteien (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linke) auf dem Wunsch, als Konsumenten von Cannabisprodukten mit Rauschwirkung nicht mehr kriminalisiert zu werden.
Der Probierkonsum dürfte ansteigen, auch deshalb, weil jeder Erwachsene drei Pflänzchen aufziehen und sich dadurch selbst mit Rauschgift versorgen darf. Weil der Wirkstoffgehalt der zarten Pflänzchen mit THC allerdings ebenso wenig berechenbar ist wie die Wirkungen auf den Organismus dürfte es künftig mehr Fahrten unter dem Einfluss von THC geben, weil die Neukonsumenten sich mit der Nachweisdauer des Stoffes THC im Blut verrechnen werden. Ebenso könnten Verkehrsunfälle unter dem Einfluss von THC ansteigen und deren Verletzungsfolgen ebenfalls.
Uns allen bleibt nichts anderes als das Prinzip Hoffnung, dass alles schon nicht so schlimm wird, sondern gechillt von Statten geht.
Weiterführende Links
Deutscher Bundestag verabschiedet Cannabisgesetz
hier klicken
Anhörung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages
hier klicken
Artikel aus dem Ärzteblatt
hier klicken
Stellungnahme von DGVM und DGVP
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.
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