//Müllers Kolumne: Achtung lernen

Müllers Kolumne: Achtung lernen

Achtsamkeit im Straßenverkehr – was ist das und gibt es diese? Das hat sich unser Kolumnist auch gefragt und gibt hier die Antwort.

I. Achtsamkeit
Die bekannteste und wichtigste Vorschrift des Straßenverkehrsrechts umschreibt den Begriff der Achtsamkeit mit den folgenden Worten:

§ 1 StVO – Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

Diese zentrale Vorschrift des Verkehrsrechts gilt für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, ob sie nun zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit einem Kraftfahrzeug auf den öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen in Deutschland unterwegs sind. Jede und jeder muss sich daranhalten, aber kennen auch alle Menschen deren Inhalte und wissen sie, was diese Regeln in der Praxis bedeuten?

1. Bekanntheitsgrad der Achtsamkeitsregeln

Wo und wie lernt man diese Regeln kennen?

Sicher, wer eine Fahrerlaubnis erwirbt, erlernt diese über viele Jahrzehnte inhaltlich gleich gebliebenen Regeln im Rahmen des Theorieunterrichts, aber wie erfahren andere Verkehrsteilnehmer davon? Das ist eine Aufgabe des Verkehrsunterrichts für Kinder, also der Pädagoginnen und Pädagogen in Kindertagesstätten und Grundschulen. Unsere Kinder erfahren das besonders im Rahmen ihrer Vorbereitung zum Fahrradführerschein, der deutschlandweit in der vierten Klassenstufe der Grundschulen regelmäßig durch eine Zusammenarbeit der örtlichen Polizei mit Unterstützung der örtlichen Verkehrswacht erworben wird.
Leider wird in weiterführenden Schulen für die älteren Kinder und Jugendlichen nur sehr selten ein Verkehrsunterricht angeboten, weil dieses lebenswichtige Fach aus den Lehrplänen gestrichen wurde.

Erwachsene sollten nach § 48 StVO an einem Verkehrsunterricht teilnehmen, wenn die Straßenverkehrsbehörde sie nach einem festgestellten Fehlverhalten dazu verpflichtet. Diese Vorschrift läuft jedoch leider seit Jahrzehnten ins Leere, weil es den Straßenverkehrsbehörden in Deutschland zu mühsam ist, diese Pflicht in die Praxis umzusetzen. Dabei wäre es so einfach, diese verkehrspädagogische Norm wieder anzuwenden, und zwar bundesweit.

§ 48 StVO – Verkehrsunterricht
Wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, ist auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde oder der von ihr beauftragten Beamten verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.

2. Inhaltliche Bedeutung der Achtsamkeitsregeln

Beide Regeln sollen das eigene Verkehrsverhalten leiten. Die „ständige Vorsicht“ hat eine zeitliche Komponente, weil „ständig“ bedeutet, dass man sich immer und in jeder Verkehrssituation vorsichtig verhalten muss. Vorsichtig zu sein hat aber auch eine inhaltliche Bedeutung; denn Vorsicht setzt voraus, dass man sich der Gefahren im Straßenverkehr bewusst ist und diesen durch vorsichtiges Handeln vorbeugen kann. Vorsichtiges Verkehrsverhalten erlernt man durch gute Vorbilder, die sich beispielhaft im Straßenverkehr benehmen. Somit sind es zuerst die Eltern, Großeltern und nahen Verwandten, die diesen pädagogischen Auftrag erfüllen müssen.

Mit der „gegenseitigen Rücksicht“ geraten die anderen Verkehrsteilnehmer ins Blickfeld und dabei zuallererst die schwächeren Verkehrsteilnehmer, also die Kinder, hilfsbedürftige sowie auch ältere Menschen, denen die StVO sogar eine eigene Schutzvorschrift widmet, nämlich den § 3 Abs. 2a StVO:

§ 3 StVO – Geschwindigkeit
(2a) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Fahrzeugführer wie Radfahrer oder Autofahrer tragen in einem gelingenden Straßenverkehr also eine gesteigerte Mitverantwortung und so bedeutet das Gebot der Rücksichtnahme für uns alle zuerst, dass wir die nach dem Verkehrsrecht erlaubten Bedürfnisse der anderen Verkehrsteilnehmer erkennen, ernst nehmen und uns danach richten.
Vorsicht und Rücksicht stehen also inhaltlich in einer Wechselbeziehung und müssen gelebt werden, wenn Schäden vermieden werden sollen.

Fazit

Es wäre so einfach, den Straßenverkehr wieder sicherer zu gestalten, wenn wir alle uns ein wenig bemühen würden, mehr miteinander zu kommunizieren, uns mehr Zeit zu nehmen, auch einmal von seinem Recht zurückzutreten und aufeinander zu achten. Besonders die drei am meisten schutzbedürftigen Gruppen der Kinder, hilfsbedürftigen und älteren Menschen würden es uns danken, wenn ihre Risiken sinken würden.

Weiterführende Links
StVO
hier klicken

Kinderunfälle im Straßenverkehr 2022
hier klicken

Unfälle von 15-bis-17jährigen im Straßenverkehr
hier klicken

Unfälle von 18-bis-24jährigen im Straßenverkehr 2020
hier klicken

Unfälle von Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr 2021
hier klicken

Aufsatz zum Verkehrsunterricht
hier klicken

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.

Foto: Deutsche Verkehrswacht DVW