//Comeback nach 30 Jahren: Die „Blackbox“ wird zur Pflicht

Comeback nach 30 Jahren: Die „Blackbox“ wird zur Pflicht

Anders als in den 90er Jahren haben sich heute viele an das stetige Datensammeln gewöhnt * Umso mehr sollten Autofahrer beim „Event Data Recorder“ auf der Hut sein, meint die DEKRA.

Als Mannesmann-Kienzle, ein Automobilzulieferer, der heute Teil des Continental-Konzerns ist, 1992 den „Unfalldatenschreiber“ (UDS) zum Patent anmeldete, war die Ablehnung unter den Autofahrern und in der Öffentlichkeit groß. Man befürchtete, dass der „Spion an Bord“, der Informationen zum Fahrverhalten festhalten sollte, bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung nach einem Unfall zu Lasten der Frau oder des Mannes am Steuer eingesetzt werden könnte. Da halfen alle Beteuerungen des Herstellers und von Fachleuten, dass nur einige wenige Daten vor und nach dem Crash gespeichert würden, nicht, um das Misstrauen zu zerstreuen. Darüber hinaus sollten sich die von der Politik geäußerten Erwartungen nicht erfüllen, dass sich Autofahrer allein durch das Wissen um eine Blackbox an Bord stärker an die Verkehrsregeln halten würden. Die „Blackbox“ hatte keine Chance.

Event Data Recorder (EDR) jetzt Pflicht

Jetzt, gut dreißig Jahre später, feiert der Unfalldatenschreiber als „Event Data Recorder“ (EDR) seine Wiederauferstehung. Inzwischen werden alle möglichen Nutzerdaten von Apps und allerlei Geräten wie selbstverständlich gesammelt. Bei den Autos sind es die Daten von Fahrer und Fahrzeug, aber auch aus der Umgebung und von anderen Verkehrsteilnehmern. Dabei hat die Mehrzahl der Fahrzeuginsassen auch nur die leiseste Ahnung von der Dimension, mit der sie von verschiedenen Unternehmen, deren Namen sie in den allermeisten Fällen noch nie gehört haben, ausspioniert werden. Viele wollen es auch nicht wissen.

Kein Wunder, denn wer den Datenkraken die Zustimmung verweigert, der bekommt die versprochene Leistung des Geräts, des Programms oder der App eben nicht – ganz einfach. Durch diese Praxis von Apple, Google und all den „sozialen Netzwerken“ haben sich viele Menschen längst daran gewöhnt, stets von irgend Jemandem beobachtet zu werden. Oder sie haben längst aufgegeben, sich darüber aufzuregen.

Nun macht die Europäische Union also den EDR zur Pflicht. Die Begründung lautet gestern wie heute: Der EDR soll bei schweren Unfällen mit anschließendem Gerichtsverfahren helfen, den genauen Hergang zu ermitteln und den Schuldigen herauszufinden. Seit dem 7. Juli ist dieser „elektronische Zeuge“ in allen neuen Personenwagen EU-weit vorgeschrieben – kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen, denn gleichzeitig wird eine Reihe von Fahrerassistenzsystemen, die zur Unfallverhütung beitragen sollen, zum Muss in neuen Pkw

„Bei der ‚Blackbox’“, klärt der Unfallanalytiker Pavlos Triantafyllidis von der Sachverständigenorganisation DEKRA auf, „handelt es sich nicht um ein Gerät, also eine Hardware, sondern um eine ‚Softwarefunktion’ eines Steuergerätes“. Das erhalte die verlangten Daten über die am Fahrzeug angebrachten Sensoren und speichere sie im Ablauf einer Verkehrskollision. Durch seine Einbauposition sei das Airbag-Steuergerät für diese Aufgabe „bestens geeignet“; erläutert Triantafyllidis.

Der EDR ist vom Anfang bis zum Ende der Fahrt aktiv. Er speichert nur jene Daten dauerhaft, die circa fünf Sekunden vor und eine halbe Sekunde nach einem Crash anfallen; ansonsten müssen sie gleich wieder gelöscht werden. Registriert wird, ob sich eine Frontal-, Heck- oder Seitenkollision ereignet hat oder der Wagen mit einem Fußgänger zusammengestoßen ist. Es werden die Lenkbewegungen des Fahrers aufgezeichnet, ob er gebremst oder beschleunigt hat und wie schnell er zum Zeitpunkt der Kollision gefahren ist. Ergänzt werden diese Angaben durch die Motordrehzahl und die Stärke der Verzögerung, nachdem es gekracht hatte. Außerdem werden die Daten des Antiblockiersystems beim Bremsen und des Schleuderverhinderers ESP herangezogen, der die Räder abbremst, um ihr Durchdrehen zu verhindern.

Wird das Auto zum Spion?

Autofahrer sollten wissen, dass das EDR-System genauso lange aktiv ist, wie der Motor läuft. Ein Eingriff durch den Fahrer ist „nicht möglich“, unterstreicht die DEKRA. Das Stuttgarter Unternehmen räumt zwar ein, dass die Unfallaufklärung durch die Einführung des Ergebnisdatenspeichers verbessert werde, gleichzeitig richtet es an Autofahrer die Empfehlung, nach einem Unfall einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, wenn im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen die DER Daten ausgelesen und ausgewertet werden. Dann sollte man die Datenanalyse durch einen Sachverständigen verlangen oder ihn selbst damit beauftragen, meint die DEKRA. Der könne zusätzlich die reale Situation am Unfallort mit samt der Spuren in seine Berechnungen einfließen lassen.

Die Schwierigkeit sei nämlich, dass die DER Daten allein zu ungenau seien, um den Unfall realitätsgemäß zu rekonstruieren. Die Daten gäben „immer nur einen Hinweis, wie sich ein Fahrzeug angenähert und wie sich der Fahrer verhalten haben könnte“, merkt Unfallanalytiker Pavlos Triantafyllidis an. So könnten Zeitdifferenzen zwischen dem realen Ablauf und der Aufzeichnung auftreten, wodurch die Gefahr bestehe, dass Angaben im zeitlichen Ablauf „fehlinterpretiert werden“. Deshalb mache die Auswertung der DER Daten nur in Verbindung mit einem unfallanalytischen Gutachten Sinn, hebt der  DEKRA Fachmann hervor.

Beate M. Glaser (kb)

Bildquelle: Pixabay/geralt