//Der individuelle Sicherheitsgurt für jeden Insassen

Der individuelle Sicherheitsgurt für jeden Insassen

Als 1958 das erste Auto mit Sicherheitsgurt auf den Markt kam, ein Volvo PV 544, auch „Buckelvolvo“ genannt, glich das einer Sensation. Rund fünf Jahre später wurde mit dem Mercedes-Roadster 300 SL die Erfolgsgeschichte in Sachen Fahrzeugsicherheit und Insassenschutz weitergeschrieben, so dass es schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen durch den Aufprall auf die Windschutzscheibe heute praktisch nicht mehr gibt. Und auch das Risiko für die Autoinsassen, bei einem Unfall schwer oder tödlich verletzt zu werden, sank drastisch. Um 60 Prozent ging in den Folgejahren die Zahl der Schwer- und sogar um 70 Prozent die Zahl der tödlich Verletzten zurück. Den Anstoß für den Sicherheitsgurt im Auto gab der US-amerikanische Baker Torpedo, ein elektrisch angetriebener Geschwindigkeitsrekord-Wagen von 1902, der über 120 km/h schnell wurde und mit Gurten ausgestattet war.

Heute ist das Anschnallen, das in der Bundesrepublik seit 1976 auf den Vordersitzen und seit 1984 auf den Rücksitzen Pflicht ist, recht komfortabel. Die Gurtbänder sind weicher und angenehmer geworden, sie folgen der Bewegung des Körpers und rollen sich nach dem Abschnallen automatisch auf. Einen Wimpernschlag vor eine Kollision werden sie automatisch und blitzschnell gestrafft. Dadurch wird der Körper in den Sitz gedrückt, was die sogenannte Gurtlose minimiert und den schützenden Effekt des Rückhaltesystems voll zur Geltung bringt. Kaum, dass der Zusammenstoß vorüber ist, wird die Gurtkraft gezielt reduziert, damit der Airbag übernehmen kann. Trotz Neuerungen wie ESP oder Notbremsassistent gilt der Sicherheitsgurt bis heute als „Lebensretter Nr. 1“ und als Basis für die Wirksamkeit vieler moderner Sicherheitssysteme.

Einen nächsten Entwicklungsschritt ist den Entwicklungsingenieuren des Autozulieferers ZF mit einem intelligenten Gurtsystem gelungen, das sich den angeschnallten Passagieren individuell anpasst und sie dadurch besser vor Verletzungen schützt.

Herzstück des intelligenten Gurtsystems von ZF ist die „Multi-Stage-Load-Limiter“-Technolo­gie, kurz MSLL. Die englische Bezeichnung bedeutet soviel wie „Mehrstufiger Lastbegrenzer“, was sich darauf bezieht, dass sich die Rückhaltekraft des Gurts individuell an Statur und Größe des jeweiligen Insassen anpasst, erläutert ZF.

Das neuartige Gurtsystem unterscheidet sich von den bisherigen Konzepten nicht nur durch die auf den einzelnen Passagier ausgerichtete Steuerung, es erweitert darüber hinaus das Zusammenspiel mit anderen Sicherheitssystemen des Fahrzeugs, wodurch es laut ZF „zu einer intelligenten, flexibel steuerbaren Komponente im Sicherheitskonzept eines Fahrzeugs“ wird.

Viele aktuelle Gurtsysteme reduzieren bereits die starken Gurtkräfte, die bei einem Unfall auf den Körper einwirken, durch eine zweistufig Kraftbegrenzung. ZFs neuartige Technologie verfügt hingegen über einen in mehreren Stufen wirksamen Kraftbegrenzer, der die Rückhaltekräfte über die gesamte Dauer des Unfalls hinweg verteilt. Da sich das System individuell auf die Statur des Fahrzeugpassagiers einstellt, können die Rückhaltekräfte passgenau gesteuert werden, wodurch sich die Belastung für den Körper enorm reduzieren lässt.

Ein Gurt, der leichte von schweren Insassen unterscheiden kann

Zur optimalen Nutzung dieser Variabilität werden, so ZFs Blick in die Zukunft, Sensoren zur Erfassung des Innenraums zum Einsatz kommen, mit denen sich bestimmen lässt, wo jemand sitzt und wie stark die Gurtkräfte individuell zur größtmöglichen Sicherheit zu gestalten sind. Und das sogar je nach Situation und Verhalten der Person. Beispielsweise könnten Innenraumkameras bemerken, dass der Fahrer mit der rechten Hand das Infotainment bedient oder seinen Kopf nach hinten zu den Fondpassagieren dreht. Durch diese Information könnte die Gurtlänge so angepasst werden, dass der Schutz erhöht wird.

Ferner ließen sich aus dem von der Kamera ermittelten Körperumfang Rückschlüsse auf Statur und Gewicht einer Person ziehen, die relevant für die Einstellung des Rückhaltemechanismus sind. Wenn dann noch, so ZFs Vision, das Gurtsystem mit den Sensoren der aktiven Sicherheitssysteme des Fahrzeugs vernetzt ist, kann es rechtzeitig erfahren, aus welcher Richtung ein Aufprall erfolgt – um den Schutz weiter zu optimieren.

ZF hebt hervor, daß die MSLL-Technologie der mehrstufigen Lastbegrenzung besonders für kleine und leichte Personen einen besser abgestimmten und individuellen Schutz biete, etwa für Kinder auf den Rücksitzen oder für ältere Menschen mit erhöhtem Verletzungsrisiko. Eine weitere Personengruppe, auf die nicht allzu oft eingegangen wird, könnte von dem adaptiven Rückhaltesystem profitieren: gemeint sind schwergewichtige Fahrzeugpassagiere. Derzeit tragen sie bei Unfällen mit einer Aufprallgeschwindigkeit von über 55 km/h besonders schwere Verletzungen davon. Das könnte sich in der Zukunft ändern.

Beate M. Glaser (kb)
Foto: ZF