Seit gut vier Jahren gehören die elektrisch betriebenen Stehroller zum Straßenbild deutscher und europäischer Innenstädte, doch die Hoffnungen, die mit den kleinen, kippligen Flitzern, die ihren Siegeszug von Kalifornien aus begannen und von kommerziellen Verleihern in nahezu jeder europäischen Großstadt angeboten werden, haben sich nicht erfüllt. Verkehrsexperten, Stadtplaner und Klimaschützer waren sich selten so einig, als sie meinten, die E-Scooter könnten die Mobilitätslücke auf der sogenanntem letzten Meile schließen, etwa für den Weg zur Arbeit oder zur nächsten Haltestelle. Auf dass Autofahrer ihre Karosse zu Hause stehenlassen. Man versprach sich davon einen entspannteren Verkehr in den Citys, entlastete Innenstädte und eine geringere Umwelt- und Klimabelastung. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Wie unabhängige Studien belegen, werden E-Scooter in der Hauptsache nicht als Ersatz für eine Autofahrt genutzt, sondern für die ohnehin ökologisch unbedenkliche Fortbewegung im ÖPNV, auf dem Fahrrad oder zu Fuß. Auch die Einsicht, dass sich besonders viele Touristen und Menschen in Feierlaune am Wochenende auf die Stehroller schwingen, mehrt den Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit. Schließlich werden bei der Herstellung der Elektroroller große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt, vor allem für die Lithium-Ionen-Batterien. Neben der negativen Ökobilanz gibt es jedoch zwei weitere Aspekte, welche die Kritik lauter werden lassen.
Sicherheit und genervte Fußgänger
Da ist zum einen die Verkehrssicherheit. Die Zahl der Unfälle mit E-Scootern nehmen mit ihrer Verbreitung dramatisch zu, von 2020 auf 2022 ist eine Verfünffachung auf über 440 Crashs festzustellen. Laut der offiziellen Statistik kommt es zu einem solchen Unfall in der Regel dadurch, dass der Fahrer die Kontrolle über das Gefährt verliert. Das geschieht vergleichsweise häufig in der Nacht oder weil Alkohol im Spiel ist oder unerlaubt auf dem Bürgersteig gefahren wird. Zu hohes Tempo wird als die dritthäufigste Unfallursache verzeichnet.
Zur negativen Klimabilanz und den Problemen mit der Verkehrssicherheit kommt, drittens, hinzu, dass die E-Stehroller vielen Fußgängern mächtig auf die Nerven gehen. Rücksichtsloses „Surfen“ selbst in dichtem Gedränge auf dem Bürgersteig müssen sie oft mit einem schnellen Ausweichschritt beantworten, um einen Zusammenstoß mit den wackligen Fahrzeugen zu verhindern. Darüber hinaus werden die Fahrgeräte rücksichtslos auf Geh- und Fahrradwegen abgestellt. Dadurch werden sie nicht nur allgemein zu einer Stolperfalle, sondern speziell für seheingeschränkte und blinde Menschen, denn die fipsigen Roller mit ihrer schmalen Silhouette sind bei schwachem Sehvermögen nur schwer auszumachen und mit dem Blindenstock kaum zu ertasten, bevor man über sie gefallen ist. Auch für Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollator und Eltern mit Kinderwagen stellen achtlos auf dem Fußgängerweg abgestellte oder umgefallene E-Roller ein tückisches Hindernis dar. Es sind jedoch nicht nur eingeschränkte Personen, die ihre liebe Müh’ haben. Vor wenigen Tagen erst erlag ein Fahrradfahrer seinen Verletzungen in einem Duisburger Krankenhaus, nachdem er über einen auf dem Radweg liegenden Elektroroller gestürzt war.
Der Ärger über ist so groß, dass Paris kürzlich beschloss, den kommerziellen Verleih der modischen Stehroller komplett aus der Stadt zu verbannen. Die französische Hauptstadt hat in Europa die längste Erfahrung mit diesem neuen Fortbewegungsmittel. Aber auch in anderen Großstädten wächst die Kritik und werden die Regelungen verschärft. In Helsinki reduzierte man die Höchstgeschwindigkeit der E-Roller für die Nachtstunden, und in Oslo wurde gleich ein komplettes Nachtfahrverbot für E-Scooter verhängt, nachdem festgestellt worden war, dass viele Betrunkene und jugendliche Erwachsene Unfälle mit E-Stehrollern verursachen.
Andernorts geht man dazu über, dass E-Scooter nur noch auf festgelegten Abstellflächen geparkt werden dürfen. Dies wird auch in Deutschland diskutiert und nicht zuletzt von Behindertenverbänden gefordert. Eine solche Maßnahme führte sehr wahrscheinlich dazu, dass deutlich weniger Menschen zu einem E-Scooter greifen, denn der Weg zum Gefährt wäre im Zweifel kaum weniger weit als die eigentliche Strecke, die man zurücklegen möchte.
Erwogen wird außerdem, die technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit von derzeit 20 km/h abzusenken und die Anzahl der Leih-Scooter im Stadtgebiet zu begrenzen. Ernüchternd wirkte wahrscheinlich auch, wenn die Forderung von Verkehrssicherheitsexperten umgesetzt und eine Helmpflicht eingeführt würde. Denn zum coolen Image, das die Verleiher von ihren Elektrorollern zeichnen, mag eine solch rustikale Kopfbedeckung so gar nicht passen.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Mircea/Pixabay