//Krach beim europäischem Autoherstellerverband: Stellantis kehrt Acea den Rücken

Krach beim europäischem Autoherstellerverband: Stellantis kehrt Acea den Rücken

Der italienisch- französische Automobilkonzern Stellantis verlässt Knall auf Fall den Verband der europäischen Automobilhersteller (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles, Acea). Unternehmenschef Carlos Tavares teilte die Entscheidung wie nebenbei am Ende einer schriftlichen Erklärung mit, deren Gegenstand eigentlich die Gründung eines „Forums für die Freiheit der Mobilität“ ist.

Der europäische Lobbyverband Acea wurde 1991 gegründet, die Vorgängerorganisation bestand seit 1972. Die Vereinigung hat ihren Sitz in Brüssel und versammelt die 16 größten Hersteller von Pkw und Nutzfahrzeugen in Europa. Zu den Mitgliedern gehören die deutschen Konzerne BMW, Daimler, Mercedes-Benz und Volkswagen, aber auch Ford, Honda, Hyundai und Toyota, deren Zentralen sich außerhalb des Kontinents befinden, die hier aber relevante Produktions- und Forschungsanlagen betreiben. Mit dem Acea assoziiert sind die nationalen Lobbyorganisationen wie der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA). Den Acea-Vorsitz bekleidet aktuell Oliver Zipse, der auch Chef bei BMW ist. Carlos Tavares von Stellantis leitete den Acea von 2018 bis 2019.

Tavares erklärte jetzt, dass sein Konzern den Verband zum Ende des Jahres verlassen werde. Die Entscheidung fiel wenige Tage nach dem Beschluss des EU-Parlaments, Autos mit Verbrennungsmotor bereits 2035 zu verbieten. Der Schritt erfolgt überraschend früh und umfassend. denn es sind auch Plug-in-Hybrid-Pkw betroffen und mit synthetischem Kraftstoff betriebene Fahrzeuge. Auf sie hatte die Autoindustrie große Hoffnungen gesetzt, die offiziellen CO2-Vorgaben erfüllen und gleichzeitig die bisherigen Motorenkonzepte möglichst lange einsetzen zu können.

Die Reaktionen der Branche auf den Beschluss der EU fielen teilweise drastisch aus. Der Acea hatte sich, wie auch der VDA, strikt ablehnend geäußert. Doch es gibt auch andere Stimmen. Von Volkswagen war zu hören, es handele sich um ein „ambitioniertes, aber erreichbares Ziel“, und bei Mercedes wird die Entscheidung „im Prinzip“ begrüßt.

Auch bei Stellantis ist man gelassen, verfolgt man dort doch ehrgeizigere Ziele, als sie im EU-Beschluss zum Ausdruck kommen. Europas zweitgrößter Autokonzern, vor einem Jahr aus der Fusion von PSA Peugeot-Citroën und Fiat-Chrysler gebildet, will auf dem Heimatkontinent bereits ab 2030 nur noch elektrisch betriebene Fahrzeuge anbieten. Für die Stellantis-Tochtermarken Fiat und Opel soll diese Vorgabe sogar zwei Jahre früher gelten.

Was stimmt?

Aus der Acea-Zentrale heißt es, dass die unterschiedlichen Orientierungen in Sachen Verbrennerausstieg nichts mit der geplanten Loslösung von Stellantis aus dem europäischen Verband zu tun habe. Auch Spannungen zwischen Carlos Tavares und Oliver Zipse werden dementiert.

Ob das stimmt, ist genauso fraglich, wie es naheliegend wäre, dass bei einem tatsächlichen Dissens die Streitparteien nach außen um Einigkeit bemüht wären – allemal in der angespannten Lage durch die Lieferengpässe, den Ukrainekrieg und die wachsende Konkurrenz aus Fernost. Nicht zu verkennen ist ferner, dass hinter den unterschiedlichen Auffassungen zur Antriebsfrage knallharte wirtschaftliche Interessen stehen. Schließlich stellt ein hinsichtlich der Verkaufszahlen eher kleiner und zudem auf verbrauchsstarke Premiumautos orientierter Autobauer wie BMW vor relativ größeren Herausforderungen, sich die teure Batterietechnologie und -produktion zu sichern, als ein absatzstarker und auf das Volumensegment mit leichteren und PS-schwächeren Modellen konzentrierter Wettbewerber, wie es Stellantis ist. Jedenfalls verlangt Tavares seit längerem, dass die E-Auto-Preise sinken, damit sich die Verbraucher aus der Mittelschicht auch künftig ein Auto leisten können.

Überhaupt hält Stellantis stramm Kurs in Richtung E-Mobilität. Ab 2038 will der Konzern komplett CO2-neutral produzieren, ohne dabei Gewinneinbußen in Kauf nehmen zu müssen. Im Gegenteil, Tavares’ Ziel ist es sogar, den Jahresumsatz bis spätestens 2030 auf 300 Milliarden Euro zu verdoppeln und eine stabile operative Rendite von mindestens zehn Prozent auszuweisen. Damit macht sich der Autobauer daran, Volkswagen die dominierende Rolle in Europa abspenstig zu machen.

Tavares’ offizielle Begründung für den Ausstieg aus dem Acea – der erste Austritt eines großen Mitgliedsunternehmens überhaupt – ist das beabsichtigte Ende der konventionellen Lobbyarbeit. Stattdessen verfolge man eine „direktere Interaktion mit Bürgerinnen und Bürgern“, wozu das neue „Forum für die Freiheit der Mobilität“ maßgeblich beitragen soll. Dabei handelt es sich um ein jährlich stattfindendes offenes Treffen von Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, deren Aufgabe es sein soll, wie, so Tavares wörtlich, der „Zugang zu sauberer, sicherer und erschwinglicher Mobilität für die Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt“ und unter den Bedingungen der Erderwärmung bewerkstelligt werden kann. Das „Forum“ soll einer ganzheitlichen Betrachtungsweise verpflichtet und öffentlich zugänglich sein.

Auffällig an der über eine Seite langen Ankündigung ist, dass allgemein nur von „Mobilität“ die Rede ist und das Wort „Automobil“ kein einziges Mal fällt. Auch hier könnte sich eine Divergenz von strategischer Tragweite gegenüber den Vorstellungen anderer Autohersteller im Acea zeigen. Unabhängig davon: Zum Ende der Stellantis-Pressemitteilung zur Gründung des „Forums für die Freiheit der Mobilität“, die ursprünglich erst für Anfang nächsten Jahres geplant war, wird der Austritt aus dem Acea quasi in einem Nebensatz bekanntgegeben.

Olaf Walther (kb)