Unter dem Titel „Deutscher Motorjournalismus 2021“ hat taz-Autor und E-Auto-Tester Martin Unfried die Arbeit der Motorjournalisten unter die Lupe genommen – als Test der Autotester. In seinem gleich vorweg genommen Fazit schreibt Unfried, dass der Zustand des deutschen Motojournalismus alles andere als in Ordnung sei. Er macht das an fünf Beispielen fest, wo gestandene Motorjournalisten der FAZ, des Spiegel, der Autobild, des ADAC und der Süddeutschen Zeitung die seiner Meinung nach viel zu hohen Verbräuche aktuell getesteter Fahrzeuge nicht ausreichend genug geißeln. In keinem dieser Tests stünde, dass die Autos hinsichtlich „Linderung der Klimakrise in keinem Fall empfehlenswert seien“ und „der Verbrauch des Autos an fossilen Treibstoffen eine Unverschämtheit sei.“ Unfried teilt aus: „Anscheinend leben viele Autotester immer noch in einer journalistischen Blase, in der die Erkenntnisse der Klimawissenschaft nicht angekommen sind.“ Selbst den „als Qualitätszeitungen bezeichneten Medien“ gesteht er das nicht zu. Es interessiere Motorjournalisten wenig, ob man 2021 überhaupt noch ein Auto mit Verbrenner empfehlen könne, weil das ja neben ökologischen auch finanzielle Risiken berge: Fossiler Brennstoff würde teurer werden und der Wiederverkaufspries sinke dramatisch.
Kollegenschelte auf breiter Front
Aber die Kollegenschelte geht noch weiter. Er wirft der Journaille „emotionale Vorbehalte und Ahnungslosigkeit der E-Mobilität“ vor. Die Ignoranz habe Tradition. Das am Ende der Jahrtausendwende vorgestellte Drei-Liter-Auto von VW sei als „rollende Verzichtserklärung“ diffamiert und der Trend zu schweren SUV sei durchgewinkt worden. Mehr noch: Die Medien hätten die geschönten Verbrauchswerte der Industrie nicht angeprangert und auch der Dieselskandal sei nicht durch die Motorpresse publik gemacht worden. Aber genau an dieser Stelle soll einmal eine Lanze gebrochen werden. Gerade bei den beiden letztgenannten Punkten hat zum Beispiel die Motor Presse Stuttgart mit ihren Objekten auto, motor und sport und AUTO Straßenverkehr für jede Menge Aufklärung gesorgt. Gerade die ausführlichen Verbrauchstests der Zeitschriften machen deutlich, wo der sogenannte Normverbrauch vom tatsächlich erfahrenen Verbrauch abweicht. Und in Sachen Dieselskandal hatte auto, motor und sport über Monate hinweg alle Details aufgezeigt, die es rund um das Thema zu wissen galt.
Unfried gesteht allerdings auch ein, dass heute sehr wohl E-Autos getestet werden. Aber er wirft den Testern „Ahnungslosigkeit und fehlendes Hintergrundwissen“ vor. Man habe die fallenden Batteriepreise nicht im Bewusstsein, nicht die Digitalisierung und nicht die grundlegenden Probleme des Verbrenners in Zeichen des Klimaschutzes. Ebenso würden bei E-Auto-Tests viele spezifische Fragen nicht beantwortet werden, wie die Reichweite, Ladedauer, Verbrauchswerte oder Akkugrößen. Diese Antworten würden heute vor allem YouTuber geben. Tageszeitungen oder Autozeitschriften bräuchte man dafür nicht mehr, resümiert Unfried.
Reaktionen in der Netzwelt
Der Bericht hat natürlich Reaktionen im Netz hervorgerufen. Die meisten Kommentatoren werfen Unfried Oberflächlichkeit vor. Auf der Facebook-Seite des VdM beispielsweis merkt Frank Börnard an, dass der Ausblick der taz auf BEV (battery electric vehicle) kurz gesprungen sei und er fragt, ob neben dem Technologiewandel nicht auch eine kultureller und struktureller Wandel kommen wird, mit einer anderen Rolle des Individualverkehrs, des ÖPNV und der Mobilität insgesamt, wo beispielsweise Homeoffice, Digitalisierung und Sharing eine Rolle spielen? Er fragt darüber hinaus, ob es nicht unterschiedliche Technologien für unterschiedliche Fahrzeuggattung geben wird und wie die Ressourcenverteilung auf Logistik, Massentransport und Individualverkehr aussehen wird?
„Wenig Substanz in der Kritik“ wirft auch Pat Lang der taz vor. Er bringt das Thema Gebrauchtwagen ins Spiel: Dem Autor Unfried schien es keine Option gewesen zu sein, einmal die Energiebilanz eines bereits produzierten Autos mit langem Nutzungszyklus zu berechnen.
Dem Thema SUV widmet sich Michael Schmidt in einem Facebook-Kommentar: „Die zitierten Testergebnisse basieren auf einer vom Autor offenbar ausgeblendeten Alltagsrealität, in der Fahrzeuge eben keine Dogmen oder Ideologien transportieren, sondern Menschen. Statt diesen Leuten Predigten zu halten und ihnen eine Verantwortung für die Einhaltung von Klimazielen zuzuschieben, sollte er eher die Politik ins Visier nehmen, beispielsweise mit dezidierten Forderungen, was die genannten Medien übrigens tun. Nur eben technologieoffen und nicht in der Rolle von Mobilitäts-Moraltheologen.“
Auch Werner Müller bringt es auf Facebook auf den Punkt: „Sein (Unfrieds) Kommentar und angeblicher Test ist eine pauschale Schelte über alles und jeden, der sich erdreistet, in Zeiten der von ihm gepriesenen E-Mobilität noch überhaupt über Verbrenner zu schreiben. Beim Fahrzeugbestand von über 50 Millionen Autos hat er mal eben die fast vier Millionen Lkw vergessen“. Müller vermutet gar, dass Unfried die zitierten Automedien nur oberflächlich gelesen habe, weil dort sehr wohl über Alltagstauglichkeit, Ladezeiten und andere Themen zum E-Auto berichtet werden würde.
Martin Vogt, ebenfalls auf Facebook, will differenzieren. Unfrieds Fundamentalkritik sei absurd, denn wenn ein Autotester ein Öl-getriebenes Auto im Grundsatz in Frage stellt, dürfe er es natürlich auch nicht testen. Grundsätzliche Fragen stellten dann den eigenen Job grundsätzlich in Frage: „Natürlich trocknen die Frösche nicht den Teich aus, in dem sie sitzen, und das kann vernünftigerweise auch kein Journalist erwarten, verlangen schon gar nicht.“ Das gelte übrigens für die ganze Journaille. Allerdings schont auch Vogt nicht die Kollegenschaft. Es gäbe zu wenig Produkt- und Herstellerkritik. Der Motorjournalist sei zu oft ein „hinterherhechelnder und begeistert dem Marketing-Frame der Hersteller nacherzählender Autofreak“ und ein zu wenig distanzierter Journalist mit erkennbar eigenem Verstand. „Es bräuchte manchmal weniger Motor- und mehr Journalist.“
Die Diskussion zeigt: Wer heute als Motorjournalist oder -journalistin Erfolg haben will, muss als Mobilitätsjournalist oder -journalistin arbeiten. Sich nur auf das Automobil zu beschränken, ob konventionell als Verbrenner oder elektrisch angetrieben, greift zu kurz. Zukünftig müssen wir die gesamte Mobilität recherchieren, betrachten, einordnen, dokumentieren und kommentieren. Dass das funktionieren kann zeigen Mediengründungen der jüngeren Vergangenheit wie beispielsweise „moove“ der Motor Presse Stuttgart oder „edison.media“.
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(bic)
Foto: DayronV/Pixabay