//Sehbehinderte und Blinde: Verkehrssicherheit bedeutet Inklusion

Sehbehinderte und Blinde: Verkehrssicherheit bedeutet Inklusion

Die Belange mobilitätseingeschränkter Menschen werden in der Verkehrsplanung nicht ausreichend berücksichtigt.

Wie viele sehbehinderte und blinde Menschen in Deutschland leben, weiß man nicht genau, denn ihre Zahl wird in offiziellen Statistiken – erstaunlicherweise – nicht erhoben. Nach Schätzungen gibt es bis zu 1,5 Millionen Betroffene. So viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sind in besonderer Weise darauf angewiesen, dass der Straßenverkehr sicher ist.

Der moderne Straßenverkehr ist vor allem in der Stadt dicht gedrängt und hektisch. Er stellt eine Herausforderung für alle dar. Jedoch sind kontrastarme Wegmarkierungen und Kanten, kurze Ampelschaltungen sowie enge, zugeparkte Gehwege speziell für mobilitätseingeschränkte Menschen so anstrengend wie ein stressiger Parcours. Dabei benötigen gerade sie den Fußverkehr, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, denn ein Zweirad oder ein eigenes Auto kommen für sie nicht in Frage. Verkehrssicherheit bedeutet Inklusion.

Von allen unseren Sinnen gilt der optische gemeinhin als der wichtigste. Er ist am schwierigsten durch Hilfsmittel zu kompensieren. Doch im heutigen Verkehrstrubel ist es auch für gut sehende Menschen nicht immer so einfach, die Straße bei einer schnell umschaltenden Ampel oder bei forsch fahrenden Autos entspannt zu überqueren, den spät gesetzten Blinker zu bemerken oder das schlecht aufgestellte Hinweisschild wahrzunehmen. Wie soll der schlecht Sehende dem mausgrauen Poller oder Bügel ausweichen, die scheinbar ohne Grund auf dem Weg auftauchen und immer genau bis zur Schienbein- oder Schritthöhe ragen? Für reflektierende Manschetten oder helle „Mützen“, die im Autoverkehr ein absolutes Minimum sind, scheint in dieser Hinsicht das Geld überall im Land partout zu fehlen.

Als wahre Stolperfallen entpuppen sich auch die niedrigen Betonfüße für Baustellenabsperrungen oder Schilder, wenn sie tückisch weit in den Gehweg ragen. Nicht zu schweigen von verblassten Bodenmarkierungen oder ungenügenden Begrenzungen, von Straßen, Unterführungen und Haltestellen mit dunklem Boden, der zwar schick aussieht, dafür aber kontrastarm ist und wichtiges Licht schluckt.

Dabei wurde in den letzten Jahren durchaus einiges erreicht, um den Weg zu Fuß für Menschen mit Sehproblemen sicherer zu machen und zu erleichtern. Eine große Hilfe sind die akustischen Ampelsignale oder die in den Gehweg eingelassenen hellen Platten, die sogenannten Bodenindikatoren, die den Weg weisen und vor Übergängen und gefährlichen Stellen warnen. Mit ihrem einfachen, aus Noppen und Rillen bestehenden Informationssystem können sie auch von Blinden mit Langstock ertastet werden. Doch leider müssen Betroffene immer wieder die Erfahrung machen, dass diese taktilen und optischen „Verkehrszeichen“ von Autos wie von Fahrrädern zugeparkt sind. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) weist darauf hin, dass mit dem Langstock pendelnde Blinde Platz zur Seite benötigen. Daher sollte zu den Bodenindikatoren stets ein Abstand von mindestens sechzig Zentimetern freigehalten werden.

Strikte Trennung der Wege

Für Sehbehinderte und Blinde wird es extrem schwierig, wenn sich ihr Weg mit dem von Fahrrad oder Auto kreuzt, „da sie keine Lücke im Verkehrsfluss aushorchen können und der Radverkehr zu leise ist“, hebt der DBSV hervor. Kaum hörbar im lauten Verkehr sind auch E-Scooter und Autos mit Elektro- oder modernem Verbrennungsmotor. Also fordert der DBSV die klare Trennung von Fußgänger- und anderem Verkehr. Außerdem empfiehlt er die konsequente Anwendung des Prinzips: Grün für Fußgänger heißt Rot für alle anderen. Damit Kollisionen von abbiegenden Fahrzeugen mit Fußgängern generell vorgebeugt wird.

Zur Verbesserung der Mobilität eingeschränkter Menschen haben Wissenschaftler der Universität Gießen das „Zwei-Sinne-System“ entwickelt. Für Seheingeschränkte sollten demnach optische Informationen durch akustische oder taktile Hinweise ergänzt werden. Beispielsweise könnten die Informationen an einer Haltestelle nicht allein durch schriftlichen Aushang erfolgen, die Abfahrtszeiten und Routen von Bussen und Bahnen ließen sich auch per Lautsprecherdurchsage mitteilen.

Die Gießener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler merken allerdings an, dass die Belange eingeschränkter Menschen in der Straßen- und Verkehrsplanung zuwenig berücksichtigt würden, weil sie im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht ausreichend präsent seien. In der Tat ist viele Menschen beispielsweise die Funktion der Bodenindikatoren nicht bekannt. Wie sollen sie sie dann beachten? Öffentliche Aufklärung tut also not.

Vorsicht und Rücksicht sollten ganz grundsätzlich stärker in den Vordergrund gerückt werden. Sei es beim ungeduldig mit dem Gaspedal spielenden Autofahrer, der beim Abbiegen auf den sehr langsam querenden Fußgänger warten muss. Sei es bei den hektisch in die Straßenbahn einsteigenden Fahrgästen, die den unsicher aussteigenden Mitmenschen fast umstoßen. Sie alle wären bestimmt verständnisvoller, wenn sie den weißen Stock oder das Blindenabzeichen gleich sähen. Diese Signale sind gewiss nicht immer gut zu erkennen. Doch wie aufmerksam ist man wirklich?

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband macht darauf aufmerksam, dass Betroffene eine „Hilfe“ nicht gebrauchen können, mit der sie hierhin oder dorthin gesetzt, gestellt oder gezogen werden. Wer förderlich sein möchte, so der DBSV weiter, solle Respekt entgegenbringen und Eingeschränkte in ihrer Selbständigkeit unterstützen. Damit sie ihr Leben aktiv gestalten können oder, um bei unserem Thema zu bleiben, damit sie ihre Wege sicher gehen können. 

Vorsicht und Rücksicht haben etwas mit sehen können und sehen wollen zu tun – von allen für alle.

Beate M. Glaser/Kristian Glaser (kb)
Foto: DBSV/Oliver Ziebe