Bei einem Unfall ist für Motorradfahrer die Gefahr, schwer oder sogar tödlich verletzt zu werden, um ein Vielfaches größer als für Autofahrer. Denn sie haben keine schützende Karosserie und keinen Sicherheitsgurt. Mehr als 600 Biker fanden im vergangenen Jahr auf Deutschlands Straßen den Tod. Das waren zwar 15 Prozent weniger als 2010, doch bei den Pkw-Insassen ist die Sicherheit im selben Zeitraum um gut das Doppelte gewachsen.
Im Auto ist der Airbag nach dem Sicherheitsgurt der wichtigste Lebensretter. „Inzwischen können auch Motorradfahrer bei einem Unfall von einem Airbag in Form einer Weste oder Jacke profitieren“, hebt der ADAC hervor. Solch ein Luftsack soll lebensgefährliche Verletzungen an Brust und Rücken verhindern. Ob das Versprechen bei einem Zusammenprall mit einem Auto eingehalten wird und wie komfortabel die Airbag-Westen zu tragen und zu bedienen sind, haben die Mobilitätsklubs ADAC (Deutschland) und ÖAMTC (Österreich) bei gemeinsamen Crashtests erkundet.
Im Prüfprogramm hatten sie drei Westen der neuesten Generation: das Tech-Air Street e-System von Alpinestars, die Weste D-Street Smart JKT von Dainese und das Modell eVest von Held. Alle drei Produkte verfügen über eine eigenständige Sensorik, die erkennt, wenn der Fahrer sich ruckartig von der Maschine wegbewegt, und den Airbag blitzschnell auslöst. Anders als ältere Versionen müssen sie nicht mit der Maschine verkabelt und es müssen keine zusätzlichen Komponenten an das Motorrad montiert werden. Das vereinfacht die Sache und hat zudem den Vorteil, dass sich der Airbag auf jedem beliebigen Bike nutzen lässt.
Die Testergebnisse überzeugten die Prüfer durchweg: Alle drei Systeme erhielten das Prädikat „gut“. Am wichtigsten ist, dass die Prallsäcke schnell genug ausgelöst werden und sich rechtzeitig aufgeblasen haben, bevor der Fahrer auf das Auto knallt. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h muss das ungefähr 80 Millisekunden nach dem ersten Anstoß erfolgt sein, haben die Test-Ingenieur des ADAC ausgerechnet – das ist weniger Zeit, als der Mensch für einen Wimpernschlag braucht. Resultat: „Das schaffen alle drei getesteten Modelle deutlich schneller“, stellt der ÖAMTC fest, und der ADAC urteilt: „Sie bieten im Falle eines Unfalls mit bis zu 50 km/h zusätzlichen Schutz im Brust- und Rückenbereich.“
Nur bis 50 km/h und nur zusätzlich zum Helm
Beide Klubs machen zwei Einräumungen: Der schützende Effekt der Airbag-Westen besteht nur bei geringen Geschwindigkeiten bis höchstens 50 km/h. Und man darf sie nur als zusätzliche Sicherheit zu Schutzkleidung und Helm ansehen – genau wie der Airbag im Pkw nicht ohne den Sicherheitsgurt wirkt.
Beim Gebrauch unterscheiden sich die Testkandidaten teils erheblich – da sollte sich jeder Kaufinteressent vorab gut erkundigen, was er bevorzugt und womit er gut klarkommt. Die Modelle von Alpinestars und Dainese haben den Nachteil, dass sie nach dem Auslösen aufwendig beim Händler oder Hersteller instandgesetzt werden müssen (Kostenpunkt bei Alpinestars: 300 Euro). Hingegen kann man die Airbag-Weste von Held durch Austausch des Gasgenerators selbst wieder funktionstüchtig machen.
Beachten sollte man außerdem, dass zu den Airbag-Westen von Alpinestars und Held eine spezielle Jacke angeschafft werden muss. Nur das System von Dainese kann mit der eigenen Lederkombi oder Schutzkleidung getragen werden.
An die Airbag-Westen muss man sich erst ein wenig gewöhnen, dann lässt der Tragekomfort „wenig zu wünschen übrig“, konstatiert der ÖAMTC. Allerdings sollte man abwägen, ob man eine schwere Weste in Kauf nimmt, die dafür mit Rückenprotektoren ausgestattet ist, oder ob man auf den zusätzlichen Schutz verzichten und dafür ein leichtes und platzsparendes System haben möchte.
Entscheidend ist, dass der Nutzer die Bedienungsanleitung studiert und sich vor Gebrauch eingehend mit dem Produkt beschäftigt. „Die richtige Einstellung und Wartung der Schutzwesten ist wichtig“, mahnt der ADAC. Die Hinweise in der Bedienungsanleitung solle man „unbedingt“ befolgen. Nur dann könnten die Airbag-Westen „ihr volles Schutzpotential erreichen“. Daher ist vor dem Kauf eine ausführliche Probefahrt angesagt.
Der Haken an der Sache: Der zusätzliche Unfallschutz ist nicht so preiswert zu haben wie beim Pkw, wo Airbags seit langem zur Basisausstattung gehören. Die getesteten Modelle liegen zwischen 600 und 850 Euro. Doch die Anschaffung lohnt sich, wie die Crashtests von ADAC und ÖAMTC bewiesen.
Beate M. Glaser (kb)
Foto: ADAC