//Lkw werden sicherer und sauberer

Lkw werden sicherer und sauberer

Beim 3. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge letzte Woche in Berlin diskutierten Experten und Praktiker aus Politik, Industrie, Forschung und Transportgewerbe die Potenziale innovativer Technologien rund um das Nutzfahrzeug. Im Mittelpunkt der Vorträge und Podiumsgespräche standen insbesondere Themen wie aktive Sicherheit, automatisiertes Fahren, intelligente Vernetzung, E-Mobilität, CO2-Reduktion und Digitalisierung.
Die rasante technologische Entwicklung der Nutzfahrzeugbranche in den letzten Jahren zeigt deutlich: Der Lkw hat sein Negativimage vom Fahrzeug, das die Luft verpestet, laut ist und schwere Unfälle verursacht, weit hinter sich gelassen. Dazu beigetragen haben Hersteller und Zulieferer durch eine Vielzahl an Innovationen. Doch bei allen Fortschritten steht die Nutzfahrzeugindustrie vor großen Herausforderungen, die in den kommenden Jahren die Prozessabläufe und Investitionsentscheidungen in Transportunternehmen und Speditionen bestimmen werden – etwa im Blick auf automatisiertes Fahren, Digitalisierung, Vernetzung oder alternative Antriebe.

Ehrgeizige CO2-Reduktionsziele

In Sachen Klimaschutz waren sich die Kongressteilnehmer darin einig, dass alle Player an einem Strang ziehen müssen, um die ehrgeizigen Ziele der EU zu erreichen. Nach den Beschlüssen der Kommission müssen Lkw bis 2025 ihre CO2-Emissionen um 15 Prozent mindern, bis 2030 dann sogar um 30 Prozent. „Wir hätten uns realistischere Ziele gewünscht, doch die Vorgaben sind geltendes Recht, an das wir uns halten müssen“, erklärte Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA). An die Politik richtete er die Forderung, die Fördermöglichkeiten für alternativ angetriebene Nutzfahrzeuge zu verbessern und außerdem massiv in eine entsprechende Ladeinfrastruktur zu investieren.
Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bekräftigte seinerseits, dass die Bundesregierung zu den Klimazielen stehe, die seiner Ansicht nach auch erreichbar seien. Der Staat werde auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft in den nächsten Jahren noch zahlreiche Förderprogramme auflegen. „Aktuell sind wir außerdem dabei, eine nationale Wasserstoffstrategie zu entwickeln, die im Dezember 2019 ins Kabinett eingebacht werden soll.“

Rund um den Klimaschutz und die Reduktion der CO2-Emissionen präsentierten die Referenten auf dem Zukunftskongress zahlreiche Strategien. So ging unter anderem Winfried Gründler, Senior Vice President der ZF Friedrichshafen AG, auf die Elektrifizierung im Nutzfahrzeug ein. Andreas Wimmer, Vice President Systems/Vehicle Technologies bei der Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge, thematisierte in seinem Vortrag neben der E-Mobilität auch den Leichtbau. Auf der Agenda in Berlin standen außerdem die Potenziale gasbetriebener Lkw sowie kraftstoffsparender Trailertechnologien.

Effizienter Schutz bei Rechtsabbiegeunfällen

Seitens der Politik beschäftigte sich Steffen Bilger in seiner Keynote auch mit der Verkehrssicherheit von Nutzfahrzeugen und richtete im Zusammenhang mit dem Abbiegeassistenten kritische Worte in Richtung EU. Hintergrund: Für neue Lkw-Fahrzeugtypen wird der Abbiegeassistent erst ab 2022 und für alle neuen Lkw ab 2024 verpflichtend. „Wir hätten uns einen deutlich früheren Zeitpunkt gewünscht, freuen uns aber über jeden Transportunternehmer, der dieses System heute schon für seine Fahrzeuge bestellt und so vor allem beim Rechtsabbiegen zum Schutz von Radfahrern und Fußgängern beiträgt“, so der Parlamentarische Staatssekretär. Die Bunfesregierung, so betonte er, habe bereits zum Jahr 2020 eine verbindliche europaweite Einführung vorgeschlagen.

Dass der Abbiegeassistent die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer deutlich erhöhen kann, untermauerten die Ausführungen zur Herstellerlösung von Mercedes-Benz Lkw sowie zu den Nachrüstlösungen etwa von Luis Technology oder von Wüllhorst Fahrzeugbau und Edeka Südbayern. Bei dieser Gelegenheit verkündete Dieter Schoch von der Daimler AG, dass Mercedes-Benz den seit 2016 ab Werk erhältlichen Abbiege-Assistenten seit Neuestem für zahlreiche Modelle der Baureihen Actros, Arocs oder Econic auch als Nachrüstlösung anbietet. Ebenso, versprach Schoch, wird der Notbremsassistent Aktive Brake Assist der fünften Generation mit Fußgängererkennung ab Januar 2020 in allen neuen Actros und Arocs in Europa serienmäßig verbaut sein.

Praxisversuch in Baden-Württemberg

Angesichts der Tatsache, dass fast 90 Prozent aller Straßenverkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurückgehen, bieten Fahrerassistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen ein großes Sicherheitspotenzial, indem sie Fehler des Menschen verhindern oder deren Folgen vermindern, betonte auch DEKRA Geschäftsführer Jann Fehlauer.
Besonders beachtenswert ist deshalb auch der Praxistest des Verbandes Spedition und Logistik in Baden-Württemberg, der sieben gängige Nachrüstlösungen für Abbiegeassistenten unter die Lupe nimmt. Im Detail: 84 Transportunternehmen haben in rund 500 Fahrzeuge verschiedene Systeme eingebaut. Das Land habe dafür 500.000 Euro Zuschuss beigesteuert. Bei den Abbiegeassistenten handelt es sich um Radar-, Ultraschall- oder kamerabasierte Systeme. Im Frühjahr des kommenden Jahres will der Verband dann veröffentlichen, welches System sich als das effektivste erwiesen hat. Bereits jetzt scheint sich aber schon herauszukristallisieren, dass Ultraschall zu anfällig für Fehlfunktionen und der Einbau zu aufwändig sei. Favorisiert würden von den Fahrern jetzt schon jene Systeme, die mit Kameras arbeiten und so dem Fahrer eine Art Echtbild vermitteln.

Sicherheitsgewinn durch automoms Fahren?

Großes Sicherheitspotenzial sehen viele Fachleute auch im automatisierten Fahren. Doch wann diese Systeme in Level drei, vier oder gar fünf auf der Straße sind, darauf wollte sich kein Redner so richtig festlegen. Erste Versuche laufen in Speditionshöfen, in Häfen und im sogenannten Platooning, bei dem zwei oder drei Lkw zu einem Zug „zusammengekoppelt“ werden. Versuche, die die Firmen Schenker und MAN seit diesem Jahr fahren, seien ermutigend. Die Fahrer kämen damit gut zurecht, ihre Beanspruchung sei nicht höher und technische Probleme habe es bisher ebenfalls noch keine gegeben. Schenker und MAN sehen das als ersten Weg zum autonomen Fahren.
Wie lang der Weg dorthin sein kann, zeigte ganz speziell unser Dieselringträger Professor Dr. Dieter Müller, der sehr detailiert aufzeigte, wo die Systeme heute noch ihre Grenzen in der rechtlichen und ethischen Bewertung haben. Müller hält es beispielsweise für absurd, dass der Fahrer im „Ernstfall“ die Herrschaft über das Fahrzeug übernehmen müsse. Bis die Warnstufe ihm das signalisiere und er sich dann auf den Verkehr konzentrieren könne, vergingen Sekunden. Das reiche selten für die Vermeidung eines Unfalls. Der Gesetzgeber habe hier eine „Mensch-Maschine-Schnittstelle“ definiert, die so gar nicht funktionieren könne. Mehr dazu in einem späteren Beitrag.

(DEKRA/bic)
Foto: Daimler Trucks

Kommentar: Sicherheit muss Pflicht werden

Digitalisierung, automatisiertes Fahren, CO2-Reduktion – das sind die großen Herausforderungen, der sich die gesamte Transportwirtschaft gegenübersieht. Auf dem Zukunftskongress Nutzfahrzeuge prallten die Meinungen auch aufeinander. CO2-Reduzierung um 15 Prozent bis 2025 bzw. 30 Prozent bis 2030 sind ambitionierte Ziele, die die Industrie stemmen muss. Dass das so mancher Hersteller wie auch Transportunternehmer kritisch sieht, ist logisch. Denn der Aufwand, der dafür getroffen werden muss, wird immens sein. Preissteigerungen bei Fahrzeugen werden nicht vermeidbar sein. Ob die Transportwirtschaft diese weitergeben kann, steht in den Sternen. Letztlich wird sich der Verbraucher auf kurz oder lang auf höhere Preise einstellen müssen. Alternativ: wir vermeiden Transporte. Solange aber der Onlinehandel wächst und die Zustellung kostenlos bleibt, wird sich am Verkehrsaufkommen nichts ändern.

Doch neben den Umweltbetrachtungen spielt in der Transportwelt auch das Thema Sicherheit eine große Rolle. Und das ist gut so. Denn solange Bilder von verheerenden Unfall-Lkw an Stauenden oder von durch Lkw überrollten Radfahrern fast täglich die Runde in den Medien machen, muss der Lkw-Sicherheit noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dass ein Lkw heute sicher sein kann, zeigen die jüngsten Entwicklungen. Stichwort Notbremsassistent: Viele Fahrzeughersteller rüsten ihre Lkw so aus, dass er im Notfall aus 80 km/h zum Stillstand gebracht werden kann. Dass das leider noch kein EU-Gesetz ist, das bisher auch nur eine Teilbremsung zulässt, darf nicht länger hingenommen werden. Denn was heute technisch möglich ist und eindeutig Leben rettet, muss in jedem neuen Lkw verbaut werden. Mehr noch: die Ausrüstung muss sogar zur Pflicht werden. 

Ein weiteres Sicherheitsdetail, über das immer wieder heftig diskutiert wird, ist der Abbiegeassistent. Für ihn gilt im Prinzip das gleiche: Ausrüstungspflicht für alle Lkw! Und das vor allem vor dem Hintergrund, dass es zahlreiche Nachrüstsysteme gibt, die ihre Aufgabe ebenso erfüllen. Dass er letztlich Leben retten kann, hat der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft GDV schon vor drei Jahren dokumentiert: Rund 60 Prozent aller Lkw-Radfahrer-Unfälle könnten diese Systeme vermeiden – eine beträchtliche Zahl! Auch wenn so mancher Zyniker anmerkt, dass es „nur“ zwischen 30 und 40 Tote im Jahr sind…

Werner Bicker