//Motorrad: Reiz und Risiko

Motorrad: Reiz und Risiko

„Die schnellen Maschinen erschrecken ältere Menschen, weil sie ein solches Gerät für besonders gefährlich halten“, schrieb Toni Mang 1982 in sein Buch „Die Hohe Schule des Motorradfahrens“. Der mehrfache Weltmeister dachte allerdings nicht an ältere Biker, sondern mahnte Rücksicht gegenüber betagten Fußgängern an. Als Herr im gesetzten Alter fuhr man damals nicht Motorrad. Heute repräsentiert er eine der wichtigsten Käufergruppen – und denkt häufig nicht daran, dass dieses „Gerät besonders gefährlich sein kann“. Immerhin lassen sich die Risiken reduzieren, wie jetzt wieder bei einem Presseseminar des DVR zutage trat – und zwar auch für die Jüngeren. 2018 starben wieder mehr Menschen im Verkehr, 95 im Vergleich zum Jahr zuvor. Bei den Zweiradfahrern waren es sogar 118 (Motorrad 55, Fahrrad 63).

Der dabei auf die Biker gerichtete Scheinwerfer kam aus Österreich. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) erhielt in dem Fall Unterstützung von seinem Austria-Pendant Kuratorium für Verkehrssicherheit Wien (KFV), vorgetragen von Dipl.-Ing. Christian Kräutler. In der Alpenrepublik mit den zahlreichen kurvenreichen Pisten ist das Unfallrisiko für Biker noch höher als in der Bundesrepublik – jedes vierte Todesopfer saß dort 2018 auf einem motorisierten Zweirad, in Deutschland waren es „nur“ 20 Prozent. Die Daten und Beobachtungen gleichen sich jedoch im Wesentlichen, wie der Mann vom KFV darlegte (das im Übrigen neben seiner Hauptaufgabe Verkehrssicherheit für Prävention in praktisch allen Lebensbereichen eintritt). Er lieferte, was bisher an vergleichbaren Daten oft scheiterte, nämlich valide statistische Werte, die Senioren am Lenker als die mittlerweile am zweitmeisten in Unfälle verwickelte Gruppe ausweisen. Alle Fakten finden Sie hier

Die Hälfte der Motorradfahrer sind schuld am Unfall

Diese Aussage ist deshalb besonders belastbar, weil die Daten in Relation zur tatsächlichen Fahrleistung erhoben worden sind. Während die Altersgruppe 55 – 64 Jahre auf dem Krad (übrigens ähnlich Autolenkern nach Zahlen der BASt) die mit Abstand niedrigsten Unfallopferzahlen aufweist, verunglücken Vertreter der Altersgruppe ab 65 Jahren auf zwei Rädern dreimal häufiger. Nur in der Gruppe 25 – 34 Jahre sind noch mehr Todesfälle zu beklagen (Quelle: KFV Unfallrisiko-Benchmark Österreich). Nach KFV tragen die Motorradlenker bei der Hälfte der tödlichen Unfälle die Alleinschuld, bei 16 Prozent wird Teilschuld zugesprochen, und bei 31 Prozent der Kollisionen sind sie unschuldig. „um mit Risikosituationen richtig umgehen zu können, ist regelmäßiges Fahrtraining, bei dem auch kritische Situationen geübt werden, wesentlich“, sagt Kräutler. Gerade ältere Semester, die jetzt – endlich – die Zeit und die finanziellen Mittel für eine leistungsstarke Maschine haben, sollten nicht ohne jegliche Praxis losstürmen. Nach langjähriger Pause oder gar wenn der „Einser“ etwa 1975 mal so mitgemacht und in der Zwischenzeit nicht gefahren worden ist, sind in jedem Fall Fahrstunden angezeigt, allein schon eingedenk der gravierenden Unterscheidung bei der Motorleistung.

Outfit lässt zu wünschen übrig

„Rechnen Sie immer damit, dass Ihnen einer die Vorfahrt nimmt“, ist der Tipp Nummer eins vom KFV. Innerorts ist die Kreuzung in 60 Prozent der Fälle Schauplatz schwerer Kollisionen. Die Aufforderung, jederzeit zum Bremsen bereit zu sein, das Tempo in bestimmten Bereichen zu drosseln und Blickkontakt aufzunehmen, werden „alte Hasen“ am Lenker uneingeschränkt unterstützen. Eher neu auf der Liste spezifischer Risiken ist der Trend bei Autofahrern, zunehmend noch bei Beginn des Rotlichtes in die Kreuzung einzufahren, während Motorradlenker gern einen Blitzstart – in solchem Fall zum Crash – hinlegen. Generell ist die Gefahrenwahrnehmung bei Zweiradfahrern zwar besser als beim reinen Autoführerscheininhaber, jedoch scheuen sie auch nicht immer das Risiko (siehe Glosse „Duale Bildung“).

Motorradbekleidung senkt das Verletzungsrisiko. Allerdings – die österreichischen Ergebnisse einer Studie mit 3.500 Motorrad-, Roller- und Mopedfahrerinnen und -fahrer decken sich mit den Beobachtungen im deutschen Straßenverkehr – lässt das Outfit sehr zu wünschen übrig. Es fehlt zu oft an adäquater Schutzausrüstung. Von 1.364 beobachteten Motorradfahrern trugen nur 57 Prozent eine Motorradjacke und 30 Prozent eine entsprechende Hose. 82 Prozent waren mit leichtem Schuhwerk unterwegs, Handschuhe hielt fast die Hälfte für unnötig. Bei Roller- und Mopedfahrern hatten sogar 85 Prozent keinen Schutz der Hände, die im Unglücksfall in der Regel den ersten Kontakt mit der Straße erleiden. Immerhin fehlte nicht der Helm. Etliche davon bieten bei 25 Prozent der Motorradfahrer und sogar 50 Prozent bei Mopeds und Rollern wegen des fehlenden Kinnschutzes allerdings nur eingeschränkte Sicherheit.

„Ich habe ihn nicht kommen sehen…“

Nicht alle Risiken können die Biker selber minimieren. So fordert Kräutler, was auch hierzulande gilt: Gefahrenquellen der Verkehrswege durch regelmäßige Kontrollen identifizieren und entsprechend entschärfen. Neben dem Unterfahrschutz unter Leitplanken, der die Unfallschwere in Kurven mindert, können intelligent gestaltete Bodenmarkierungen eine intuitive sichere Spurführung im Kurvenverlauf bewirken und eventuell auch Geschwindigkeiten reduzieren. Und der Beitrag der Autofahrer? Inwieweit könnte ein Blickverhaltenstraining die Wahrnehmung generell verbessern? Hilfreich wäre auch eine Aufräumaktion in manchem Pkw: Überflüssige Sichthindernisse sollen in jedem dritten Auto den Blick nach draußen unnötig einschränken. Die meisten Unfälle von Motorradfahrern ereignen sich bekanntermaßen bei der Kollision mit anderen Fahrzeugen, zumeist unter Missachtung der Vorfahrtregelung und der Erklärung: „Ich habe ihn nicht kommen sehen…“

In der Tat schwimmen – mit der Einführung des Tagfahrlichts für Automobile – die motorisierten Zweiräder weniger präsent im Lichtermeer der Straße mit. Wissenschaftler in Frankreich arbeiten mit neuartigen spezifischen Beleuchtungsideen, die den Biker überhaupt erst oder besser sichtbar machen beziehungsweise eine Einschätzung seiner Geschwindigkeit ermöglichen. Mehrere Lichtvariationen wurden untersucht. Signifikant besser und früher erkannt wurde das herannahende Zweirad, wenn zusätzlich zur Standardbeleuchtung an beiden Seiten der Vorderradgabel vertikale LED-Elemente angebracht waren. Ein weitere Verbesserung des Signalbilds geschah durch ein – gelbes – Frontlicht am Helm (von dem es bereits Modelle mit integriertem Rücklicht zu kaufen gibt). Weil die Lösungen wenig Kosten und kaum Energie verbrauchen, empfehlen die Autoren auch die Anwendung bei Leichtkrafträdern. („Innovative motorcycle headlight design for improving motorcycle visibility“, Stéphane Espié, Viola Cavallo Université Paris-Est, Flavien Delgehier, CNRS, SATIE, Orsay, Oktober 2018). Christian Kräutler: „Der vermehrte Einsatz von Technik trägt zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit bei – doch der Schlüssel zu mehr Sicherheit liegt im oberen Teil des Motorrads, nämlich beim Lenker.“

Vision Zero

Im Jahr 2018 war die Zahl tödlich Verunglückter wieder höher als im Jahr zuvor. Vor diesem Hintergrund bildete beim letzten der zweimal jährlich stattfindenden Presse-Meetings des DVR zu einem in der Regel konkreten Themenfeld jetzt in Hagen „Vision Zero“ die Klammer für die Referate. Schwerpunkte bildeten Infrastruktur, Fahrzeugtechnik und Fahrverhalten. Die einzelnen Beiträge unter https://www.dvr.de/presse/seminare/2019-vision-zero.

Erich Kupfer
Foto: Jim Black/Pixabay