//1000 Grand-Prix-Rennen – Eine persönliche Bilanz

1000 Grand-Prix-Rennen – Eine persönliche Bilanz

Zwei Ereignisse, die die fast 70jährige Geschichte der Formel 1-Rennen betreffen, waren vor kurzem zu erleben: Auf der Essener Techno Classica war der Alfa Romeo Tipo 158 „Alfetta“ zu sehen, mit dem Dr. Nino Farina 1950 das erste Formel 1-Rennen gewann und fast gleichzeitig gewann Lewis Hamilton nach 69 Jahren Formel 1 den 1000 Grand-Prix dieser Nachkriegszeit prägenden Serie. Ein persönlicher Rückblick auf die Grand-Prix-Szene von Klaus Ridder, der die Szene seit Anfang der 50er Jahre verfolgt hat.

Fangio wurde fünf Mal Weltmeister
Es waren die italienischen Marken Alfa Romeo, Lancia, Ferrari und später auch Maserati, die von 1950 bis 1954 die Siege der Formel 1 unter sich ausmachten und es waren auch zwei italienische Fahrer, die 1950, 1952 und 1953 Weltmeister wurden (Dr. Nino Farina und Alberto Ascari). 1952 gewann der Argentinier J.M. Fangio, ebenfalls auf Alfa Romeo, die Weltmeisterschaft. Die Herren Weltmeister waren damals schon nicht mehr die jüngsten (Farina 46, Ascari 34, Fangio 40). 1954 stieg Mercedes in die Formel 1-Weltmeisterschaft ein und gewann 1954 und 1955 den Titel. Ende 1955 zog sich Mercedes für Jahrzehnte vom Formel-Motorsport zurück.

Die Ära der Mercedes-Silberpfeile hatte mich so begeistert, dass ich Rennfahrer werden wollte und 1956 radelte ich mit dem Fahrrad aus der Lüneburger Heide zum Nürburgring – das waren drei Tage Fahrt und 430 km. Nach dem Rückzug von Mercedes gewann J.M. Fangio noch zwei Weltmeisterschaften und Siege auf dem Nürburgring, einmal 1956 auf Maserati, konnte ich live miterleben. Mit dem wohl spannendsten Rennen 1957 auf dem Nürburgring, wo Fangio seinen Konkurrenten Peter Collins und Mike Hawthorn förmlich „niederrang“, ging die Ära Fangio nach fünf Weltmeisterschaften zu Ende. Rennfahrer bin ich nicht geworden, weil mein Vater den Ausweisantrag nicht unterschrieb (man war damals erst mit 21 volljährig) und ich mich dann auf ein Studium und meine Familie konzentrierte. Aber, Fan bin ich geblieben!

Revolution im Rennwagenbau
Es waren englische „Garagisten“, die Ende der 50er Jahre den Bau der Formel-Rennwagen revolutionierten. Statt PS-starke Frontmotoren bauten die Engländer John Cooper und Colin Chapman leichte Rennwagen mit Mittelmotor und lösten die Vormachtstellung der Italienier ab. Allerdings hatte Ferrari 1960 auch einen Mittelmotorrennwagen gebaut – und gewann damit noch die erste Saison der auf 1,5 Liter Hubraum reduzierten ab 1961 geltenden Formel.

1961 erlebte ich beim Großen Preis der Niederlande in den Dünen des Badeortes Zandvoort den ersten Sieg eines deutschen Rennfahrers: Wolfgang Graf Berghe v. Trips, Adelsspross aus der Wasserburg Hemmersbach bei Köln, gewann das Rennen vor seinem Stallkollegen Phil Hill. Phil Hill sollte später Weltmeister werden, weil Graf Trips im alles entscheidenden Rennen in Monza tödlich verunglückte.

Der Tod fuhr mit
Der Tod fuhr damals bei den Autorennen ständig mit, es gab keine besonderen Schutzanzüge und die Sturzhelme verdienten allenfalls die Bezeichnung „Kopfbedeckung“. Man fuhr im Polohemd und flog, weil man nicht angeschnallt war, bei einem Unfall aus dem Auto. Überhaupt, die Rennwagen boten keinerlei Schutz und fingen bei einem Crash sofort Feuer. Auch die Rennstrecken waren unsicher, sowohl Fahrer als auch Zuschauer waren gefährdet. Es gab weder Auslaufzonen noch Schutzzäune. Beim Unfall mit Graf Trips in Monza 1961 verunglückten auch 16 Zuschauer tödlich, ein Unfall beim 24h-Rennen in Le Mans (kein Formel 1-Rennen) forderte über 80 Tote. Allein im Jahr 1958 verunglückten vier Formel 1-Rennfahrer tödlich. Beim tödlichen Unfall des Weltklassefahrers Peter Collins auf dem Nürburgring 1958 war ich beim Rennen dabei.

Rennfahrer fordern mehr Sicherheit
Mehr für die Sicherheit wurde ab etwa 1970 getan, so wollte Niki Lauda schon nicht mehr auf dem Nürburgring fahren, konnte sich aber nicht gegenüber seinen Rennfahrerkollegen durchsetzen und erst nach seinem Horrorcrash 1976 wurden auf der legendären Nordschleife keine Rennen mehr gefahren. Es wurde eine neue Grand Prix-Rennstrecke gebaut, die so sicher war, dass die Zuschauer nur in „weiter Ferne“ die Rennwagen sahen. Eine sichere Rennstrecke mit wenig Freude für die Zuschauer.

Rennstrecken werden heute (fast alle) von dem Aachener Architekten Hermann Tilke gebaut und haben wenig Flair, es sind sogenannte „Retortenrennstrecken“. Diese Rennstrecken sind aber sicher, für die Rennfahrer und auch für die Zuschauer. Allerdings sind Rennen auf den neuen Rennstrecken in „neuen Ländern“ für die Zuschauer zu teuer. Man sieht oft leere Zuschauertribünen. Apropo „Geld“, da geht die Entwicklung offensichtlich in die falsche Richtung. Formel 1-Rennen sind heute zu teuer, sowohl für die Zuschauer als auch für die Rennteams. So erlebte ich 2008 einen großen Preis der Türkei östlich von Istanbul auf einer super-schönen Rennstrecke mit nur wenigen Zuschauern, die hohen Eintrittspreise konnte sich die türkische Bevölkerung nicht leisten.

Die Ära Ecclestone
Mit dem britischen Rennstallbesitzer Bernie Ecclestone (Team Brabham) begann eine neue Ära in der Formel 1-Weltmeisterschaft. Ecclestone erwarb die Medienrechte und für ihn war die Verbreitung im Fernsehen wichtiger als Zuschauer an der Strecke. Die Zuschauerpreise stiegen gewaltig an und auch die Rennstrecken mussten hohe Summen zahlen, um einen Weltmeisterschaftslauf ausrichten zu dürfen. Ich erinnere mich noch ungerne an eine „Schrecksekunde“, als ich anfangs der 90er Jahre nur für Freitagstraining am Hockenheimring 70 DM bezahlen sollte. Ich fuhr wieder nach Hause, weil mir der Preis nicht angemessen erschien.

Aber mit Ecclestone und seinem juristischen Berater Max Mosley kam eine Professionalität in die Szene – oftmals leider auch übertrieben. So wurden regionale Berichterstatter nicht mehr akkreditiert und ausgesperrt. So erlebte ich beim Großen Preis der USA 2000, dass die Reporter der „Michigan Post“ in Indianapolis nur noch darüber berichten konnten, dass ‚Nicht-USA-Fans‘ über Absperrzaun gestiegen waren, was ja für die disziplinierten Amerikaner undenkbar war. An die Strecke wurden die regionalen Redakteure nicht vorgelassen.

Ecclestone expandierte in Richtung Asien und Nahen Osten, u.a. auch in die Türkei. Die neuen Länder wie Malaysia, Bahrain, Abu Dhabi, Singapur, China mussten für den Formel 1- Zirkus hohe Antrittsgelder zahlen, das konnten sich die europäischen Rennstreckenbesitzer wie der Nürburgring nicht mehr leisten. Von ursprünglich mal sieben Rennen pro Saison sind es nunmehr 21.

Automobilkonzerne in der Formel 1
Um vorne mitfahren und somit in die Werbung der Fernsehübertragungen zu kommen, wurde gewaltig in die Technik investiert. Die kleinen „Garagisten-Rennteams“ verschwanden und die großen Automobilwerke wie Ferrari (Fiat), Mercedes, Porsche, Honda, Renault, Toyota, stellten eigene Rennteams oder bauten Motoren für Rennwagen. Es entwickelte sich eine Zweiklassengesellschaft. Für Siege kamen nur noch Ferrari, Red Bull, McLaren (Mercedes) oder später Mercedes in Frage. Der Rest fuhr/fährt mit „wenig Geld“ hinterher und ist froh, bei einem Ausfall der Vorderen mal einen vierten Platz zu bekommen. Eine Ausnahme bildet Red Bull, die mit viel Geld des österreichischen Getränkeherstellers Dietrich Marteschitzein gutes Team zusammengekauft haben

Vom ‚Lenkraddreher‘ zum ‚Renn-Manager‘
Es waren früher mal „Lenkraddreher“, die als Fahrer die Formel 1 beherrschten. Der erste Profi, der praktisch ein Management aufbaute, um erfolgreich Formel 1-Rennwagen zu fahren, war Niki Lauda, ein „Intelligenzbolzen“ aus Österreich. Er fühlte sich nicht nur für das schnelle Fahren zuständig, sondern auch für das Team-Management und Fortentwicklung der Rennwagentechnik. Auch Alain Prost (der Rennprofessor) und Ayrton Senna, waren erfolgreiche Rennfahrer und „Rennmanager“ – wohl die Spitze dieser Entwicklung war Michael Schumacher. Er prägte eine ganze Ära und war an der erfolgreichen Weiterentwicklung der Ferrari-Rennwagen und später auch Mercedes-Rennwagen beteiligt.

Gute Fahrer verdienen heute Millionen; man sagt Michael Schumacher nach, dass er es wohl zum Einkommens-Milliardär geschafft hat. Die meisten Fahrer in der heutigen Formel 1 sind aber sogenannte „Bezahlfahrer“. Sie bringen Sponsor-Gelder mit und bekommen ein Formel 1-Cockpit.

Als Beispiel möchte ich den Kanadier Lance Stroll nennen, dessen reicher Vater im letzten Jahr sogar einen ganzen Rennstall für seinen Sohn gekauft hat (Forca India wurde Racing Point F1-Team und gehört nunmehr Lawrence Stroll). Aber, vielleicht zur Erinnerung, auch Michael Schumacher wurde 1991 mit Geldern von Mercedes in ein Cockpit von Eddy Jordan‘s Rennstall eingekauft und war auf Anhieb schnell.

F1 heute – da muss sich was ändern
Die Ära Ecclestone war einmal, die neuen Besitzer des Formel 1-Zirkusses kommen aus Amerika und werden von Ross Brawn, dem ehemaligen Ferrari-Rennleiter und Teambesitzer mit Weltmeistertitel (Jenson Button wurde auf Brawn-Mercedes 2009 Weltmeister) beraten. Da muss – und wird sich wohl etwas ändern. Es muss wieder gleichwertige Rennwagen geben, die zu bezahlbaren Summen gebaut werden können. Wenn man künftig noch Zuschauer haben will, dann müssen die Eintrittspreise bezahlbar sein. Es reicht für eine erfolgreiche Vermarktung nicht aus, dass ein Lewis Hamilton auf Mercedes fast immer gewinnt und allenfalls ein junger Max Verstappen mit viel Talent und einem noch unterlegenen Red Bull Rennwagen dem Mercedes und Ferrari hin und wieder die Schau stiehlt. Formel 1-Rennen waren früher mal interessant, weil auch Außenseiter gewinnen konnten – das sollte wieder machbar sein.

Resümee
Die Formel 1 ist nach 1000 Rennen sicherer geworden, das ist sehr gut. Die Formel 1 ist nach 1000 Rennen zu teuer geworden, das ist schlecht. Die Formel 1 muss sich in der Mitte treffen. Bezahlbare spannende Rennen in allen Teilen der Welt, auch wieder in Europa, wo ja alles mal vor 69 Jahren anfing.

Klaus Ridder