//Jahrestagung der Dieselringträger 2018 in Sindelfingen

Jahrestagung der Dieselringträger 2018 in Sindelfingen

Auf Einladung von Dieselringträger Prof. Dr. Rodolfo Schöneburg trafen sich Ende Oktober 17 Trägerinnen und Träger des VdM-Verkehrssicherheitspreises mit dem VdM-Vorstand zu ihrer jährlichen Tagung im neuen Daimler-Technologiezentrum für Fahrzeugsicherheit (TFS) in Sindelfingen.

Im hochmodernen TFS, das seit November 2016 in Betrieb ist, werden pro Jahr derzeit rund 900 Crashversuche durchgeführt. Und mit einem Live-Crash begann auch die Tagung der Dieselringträger. Professor Norbert Schaub , Leiter Versuch Passive Sicherheit, Fahrzeugfunktionen und Gesamtprojektleitung TFS, erläuterte zuvor die Aufgaben des TFS und den aktuell bevorstehenden Versuch. Je Fahrzeugmodell werden rund 150 Crashversuche gefahren, für die Typzertifizierung in den unterschiedlichen Absatzmärkten, zur Validierung und für die eigenen Qualitätssicherung. Alle Varianten eines Fahrzeuges werden so getestet. Dazu verfügt das Technologiezentrum über eine 90 x 90 Meter große Hallenfreifläche, auf der zum Beispiel auch Kreuzungsunfälle simuliert werden können, sowie über Crashbahnen mit 245, 110 und 105 Metern Länge. Hochgeschwindigkeitskameras zeichnen den Crash aus allen Richtungen aus, ausgeleuchtet mit gleißend heller LED-Lichttechnik.

Die Tagungsteilnehmer erlebten anschließend den Crashversuch eines Mercedes GLC in US-Ausführung mit 2.430 Kilogramm Gewicht, besetzt mit zwei Dummies. Ziel war es vor allem zu prüfen, ob der mit 46 Liter Diesel gefüllte Tank beim Crash dicht bleibt. Dazu wurde der SUV mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h auf eine um 30 Grad abgeschrägte Barriere geprallt. Mit ohrenbetäubendem Knall prallte das schwere Fahrzeug gegen den Crash-Block, innerhalb weniger Sekunden war alles vorbei. Nachdem Mitarbeiter des TFS das Fahrzeug gesichert hatten, konnten die Tagungsteilnehmer das gecrashte Fahrzeug auch von Nahem in Augenschein nehmen. Die von den US-Behörden vorgeschriebene Kraftstoffdichtigkeitsprüfung hatte der GLC offensichtlich bestanden. Der Vorderwagen war ziemlich zerstört, die Fahrgastzelle aber völlig intakt, alle Airbags hatte ausgelöst und waren anschließend wieder zusammengefallen. Rundum leuchtete die Warnblinkanlage.

Meilensteine der Fahrzeugsicherheit
Die anschließende Tagung eröffnete Prof. Schöneburg mit einem Rückblick auf die Meilensteine der Fahrzeugsicherheit bei Mercedes, die mit den Arbeiten von Béla Barényi, der Knautschzone und den ersten Crashtests 1951 begonnen hatte. Nach vielen konstruktiven und technischen Maßnahmen zur aktiven und passiven Sicherheit habe es bei Daimler 2002 mit der Einführung des Pre-Safe Konzeptes einen Paradigmenwechsel gegeben: Nicht erst warten, bis es kracht, sondern Maßnahmen schon treffen, wenn ein Unfall unmittelbar bevorsteht. Der Gurtstraffer gehört dazu, aber auch spezielle Airbags, die die Insassen vor einem Aufprall aus der Gefahrenzone schubsen.

150.000 Verkehrstote pro Jahr in Indien
Während die Sicherheitsstandards in Deutschland und Europa sehr hoch sind und die Zahl der Verkehrstoten nicht zuletzt durch die zunehmend verbesserte Fahrzeugsicherheitstechnik kontinuierlich gesunken ist, sieht es in anderen Weltregionen deutlich schlechter aus. Das machte Jochen Feese, Leiter Unfallforschung TFS, deutlich. So sterben in Indien jedes Jahr 150.000 Menschen bei Verkehrsunfällen. Während das Straßennetzwerk zwischen 2004 und 2011 um 29 Prozent und die Bevölkerung um 12 Prozent gewachsen ist, stieg die Zahl der Verkehrstoten um 54 Prozent. Und deshalb gehe es nicht nur um Fahrzeugsicherheit, sondern um Verkehrssicherheit ganz allgemein. Neben einer Zunahme der Fahrzeugdichte sind eine ganze Reihe von Faktoren für die dramatischen Unfallzahlen verantwortlich. Dazu gehört die Vielzahl der besonders verletzlichen Verkehrsteilnehmer, -sehr viele sind auf Mopeds, Rollern und Motorrädern unterwegs, fehlende Sicherheitssysteme, geringe Erfahrung vieler Fahrer, Missachtung von Regeln, fehlende Kontrollen und oft auch Alkohol- und Drogeneinfluss. Mit verschiedenen Partnern hat Daimler deshalb an mehreren Orten in Indien Safe Road Summits organisiert, um die Menschen, insbesondere auch Multiplikatoren, für das Thema Verkehrssicherheit zu sensibilisieren. So wurden unter anderem auch über 50.000 Studenten erreicht. Zudem berichteten die Medien ausführlich über die Veranstaltungen. Ein ähnliches Programm ist inzwischen auch in China angelaufen.

Pre-Safe schützt beim Seitenaufprall
In einem zweiten Vortrag ging Daimler-Unfallforscher Feese noch einmal auf das Thema Pre-Safe ein. Ein Seitenaufprall könne nicht mit Assistenzsystemen vermieden oder gemindert werden. Gerade hier sorgen Pre-Safe-Systeme für ein Mehr an Sicherheit. Sensoren, die den Seitenaufprall erkennen, aktivieren die Systeme 200 Millisekunden vor dem Crash und schieben die Insassen etwa mit einem speziellen Airbag einige Zentimeter ins Wageninnere. Im Crashtest mit Kreuzungsunfällen und Fahrzeuggeschwindigkeiten von 50 und 65 km/h konnte eine „signifikante Verminderung der auf den Körper wirkenden Kräfte gemessen werden“. So sei der Thorax dank Pre-Safe im Schnitt 30 Prozent weniger belastet worden. Eine besondere Herausforderung für die Insassensicherheit sei das autonome Fahren, sagte Jochen Feese. Die Sitzpositionen der Insassen können sehr variabel sein. Selbst wenn die Insassen im Fahrzeug während der Fahrt liegen und schlafen, muss die Schutzwirkung der Sicherheitssysteme genauso hoch sein wie heute. „Das ist noch eine große Herausforderung.“

Sicherheitssysteme an die Bedürfnisse der Fahrzeugnutzer anpassen
Die diesjährige Dieselringträgerin Professor Dr. Lotta Jakobsson ging in ihrem Vortrag „Safety – A Human Centric Approach“ von den menschlichen Ansprüchen und Bedürfnissen an die Fahrzeugsicherheit aus. Die Vision bei Volvo laute: Niemand sollte in einem Volvo getötet oder schwer verletzt werden. Deshalb wurden vor allem die Ursachen für schwere, lebensgefährliche Verletzungen untersucht, um daraus Sicherheitssysteme zu entwickeln. Dabei habe sie vor allem auch die Kindersicherheit auf ihrem Radar gehabt, berichtete die Technische Leiterin Fahrzeugsicherheit bei Volvo Cars. Auch über Erfolge konnte sie berichten. So lag das Risiko für den Fahrer in Schweden, bei einem Unfall im Fahrzeug schwer verletzt zu werden, zwischen 1967 und 1974 bei über zehn Prozent. Zwischen 2005 und 2009 war dieser Wert bereits auf unter zwei Prozent gesunken.

Das Problem sei es, für die unterschiedliche Biodynamik der Menschen geeignete Schutzmechanismen zu entwickeln. Der Körper von Neugeborenen mit schwerem Kopf und schwacher Halsmuskulatur reagiert deutlich anders, als der eines Dreijährigen. Bei dem sind wieder andere körperliche Besonderheiten zu berücksichtigen, als bei einem Sechsjährigen, und alle Kinder unterscheiden sich in ihrer Biodynamik von Erwachsenen. Hinzu kommt, dass Kinder, angeschnallt in einem Kindersitz, sich ja keineswegs ruhig und damit optimal für ihre Sicherheit verhalten: Sie zappeln herum, drehen und wenden sich, lehnen sich nach vorn und zur Seite, neigen sich bei Kurvenfahrten oder beim Bremsen und nehmen damit Positionen ein, die bei einem Unfall nicht optimal sind.

Das gelte erst recht bei künftig autonom fahrenden Autos, sagte auch Prof. Jakobsson. Dabei gehe es darum, zum einen mögliches Verhalten des Fahrers zu berücksichtigen, wenn er nicht selbst fährt und zum anderen die tatsächliche Verkehrssituation einzubeziehen, um einen erweiterten Insassenschutz zu gewährleisten. Für das Ziel, den sicheren Transport im autonomen Fahrzeug, müssen viele Schutzprinzipien neu entwickelt werden. Im Moment gebe es dazu noch mehr Fragen als Antworten.

Kindersitze werden noch zu oft falsch genutzt
Zum Abschluss der Tagung referierten die Dieselringträger Prof. Dr. Klaus Langwieder und Dr. Walter Eichendorf zu aktuellen Trends in der Kinderverkehrssicherheit. In Deutschland sei der Sicherheitsstandard inzwischen durch die konsequente Verwendung von Kindersitzen sehr hoch. Besonders gut ist es, wenn die Sitze mit dem Isofix-System gesichert sind. Prof. Langwieder nannte eine Isofix-Quote von derzeit 20 bis 30 Prozent. Nach wie vor aber gebe es viel Fehler bei der Handhabung der Sitze und demzufolge auch Kinder, die nicht ausreichend gesichert sind. Probleme sieht er für die Kindersicherheit, wenn sich CarSharing-Modelle oder gar Robotaxis durchsetzen. Ist dann immer ein geeigneter Kindersitz vorhanden und weiß der Nutzer auch, wie der in den verschiedenen Fahrzeugen sicher zu befestigen ist? Dr. Eichendorf berichtete über eine aktuelle GDV-Studie, die untersucht hatte, ob die Kinderrückhaltesysteme in Deutschland richtig eingesetzt werden. Zwar waren 90 Prozent der Kinder mit geeigneten Systemen gesichert, davon 35 Prozent mit Isofix-Systemen. Die Quote des nennenswerten Fehlgebrauchs mit erheblichen Folgen bei einem Crash lag aber mit etwa der Hälfte der untersuchten Anwendungen erschreckend hoch. Die Sicherung der Kinder im Auto sei komplex und anspruchsvoll. Viele Eltern und Großeltern seien damit überfordert, so Dr. Eichendorfs Resümee. In Informationsveranstaltungen informierte der DVR deshalb Mütter und Väter regelmäßig zu dem Thema. Wichtig sei es aber auch, die Handhabung der Kindersitze zu verbessern.
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