Ob motorisiert oder nicht motorisiert: Mit dem Zweirad unterwegs zu sein ist absolut „in“. Dazu tragen die immer größere Vielfalt an Bikes und ihre zunehmende Hightech-Ausstattung bei sowie der politische Trend, insbesondere den Radverkehr in den Städten massiv zu fördern, um so den Klimaschutz zu forcieren. Begleitet wird die Mobilität auf zwei Rädern aber immer von einem im Vergleich zum Pkw, Transporter oder Lkw deutlich erhöhten Risiko schwerer Unfälle. Denn als weitestgehend ungeschützte Verkehrsteilnehmer haben Zweiradfahrer bei einer Kollision zumeist das Nachsehen. Einen Überblick über das gesamte Verkehrsgeschehen mit Zweiradfahrzeugen gibt der neue Dekra Verkehrssicherheitsreport 2020 „Mobilität auf zwei Rädern“, den die Sachverständigenorganisation heute in Stuttgart vorgestellt hat.
25 Prozent aller Verkehrstoten sind Zweiradfahrer
Weltweit entfallen seit Jahren rund 25 Prozent der getöteten Verkehrsteilnehmer auf Fahrer motorisierter und nicht motorisierter Zweiräder. Ähnlich sieht es in der EU aus, wobei zum Beispiel in Deutschland im Jahr 2019 etwa ein Drittel der Verkehrstoten bei Unfällen mit dem Fahrrad oder dem Kraftrad ums Leben kamen. Zum Vergleich: In den USA, das besagen die aktuellsten verfügbaren Daten von 2017, machten die getöteten Zweiradfahrer etwa 16 Prozent aller getöteten Verkehrsteilnehmer aus. Am höchsten sind die Unfallzahlen seit Jahrzehnten jedoch in bevölkerungsreichen Entwicklungs- und Schwellenländern mit ihrer ausgeprägten Massenmobilität auf zwei Rädern.
Nach Angaben des Europäischen Verbandes der Motorradhersteller (ACEM) legte der Markt 2019 in der EU im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf knapp 1,1 Millionen neu zugelassene Motorräder zu. In Sachen Pedelecs liegen EU-weit für 2019 noch keine offiziellen Zahlen vor. Für Deutschland vermeldete aber der Zweirad-Industrie-Verband einen Zuwachs um knapp 39 Prozent auf 1,36 Millionen Verkäufe. „Verkehrssicherheit hat für mich höchste Priorität“, so EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean in einer Videobotschaft während der Präsentation. „Wir dürfen nicht nachlassen, bis wir unser Ziel erreichen: Null Verkehrstote und null Schwerverletzte auf den Straßen der EU bis 2050.“
Städte fördern Radinfrastruktur
Zu dieser Entwicklung passt auch, dass immer mehr Städte ihre Radinfrastruktur kräftig ausbauen. Und was zum Beispiel in Staaten wie den Niederlanden oder Dänemark längst Tradition hat, soll nun auch in Deutschland intensiver betrieben werden: So sieht der vom Bundesverkehrsministerium erarbeitete Nationale Radverkehrsplan 3.0 unter anderem den verstärkten Bau von Fahrradbrücken, Untertunnelungen für Radfahrer und Radschnellwegen vor.
Dennoch: Wie hoch das Risiko etwa in Deutschland für Kraftradfahrer im Vergleich zu Pkw-Insassen ist, bei einem Verkehrsunfall getötet zu werden, wird deutlich, wenn man die Zahl der Getöteten in Bezug zu den zugelassenen Fahrzeugen setzt. Die Zahl der getöteten Kraftradfahrer lag insgesamt bei 605, zugelassen waren etwa 4,5 Millionen Krafträder. Die Zahl der getöteten Pkw-Insassen betrug 1.364, zugelassen waren circa 47,7 Millionen Pkw. Das bedeutet: Pro jeweils 100.000 zugelassenen Fahrzeugen kamen 13 Kraftradfahrer und drei Pkw-Insassen ums Leben. Berücksichtigt man die deutlich geringere Kilometer-Fahrleistung von Krafträdern, wird das Missverhältnis noch deutlicher. Schon vor Jahren sprach die EU-Kommission davon, dass die Wahrscheinlichkeit, im Straßenverkehr getötet zu werden, pro zurückgelegtem Kilometer für Kraftradfahrer circa 18-mal so hoch ist wie für die Insassen eines Pkw. Für Radfahrer bezifferte die EU-Kommission diesen Faktor übrigens auf das Siebenfache.
50 Prozent der Warentransporte mit dem Fahrrad
Allein schon diese wenigen Zahlen zeigen, dass in Bezug auf die Verkehrssicherheit von Zweiradfahrern nach wie vor großer Handlungsbedarf besteht, zumal die Mobilität auf zwei Rädern in den nächsten Jahren tendenziell noch weiter zunehmen wird. Das gilt für Krafträder – ob als Freizeitgefährt oder für den Weg zur Arbeit – und vor allem auch für Fahrräder mit und ohne elektrische Unterstützung. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) sind Fahrräder und E-Bikes ideale Verkehrsmittel für kurze und mittlere Entfernungen, Lastenräder – so der ZIV unter Verweis auf diverse Studien – könnten zukünftig rund 50 Prozent aller motorisierten Warentransporte in Städten übernehmen. Je mehr Radfahrer allerdings auf den Straßen unterwegs sind, desto härter wird auch der „Verteilungskampf“ um die zur Verfügung stehende Verkehrsfläche, die in vielen Regionen der Welt nach wie vor insbesondere auf die Fortbewegung mit dem Pkw ausgerichtet ist. Zusätzliches Konfliktpotenzial ergibt sich aus der zunehmenden Mikromobilität, also der Fortbewegung mit Elektrokleinstfahrzeugen wie zum Beispiel E-Scootern oder selbstbalancierenden Fahrzeugen wie Segways. Tatsache ist, so die Dekra-Experten: Als Verkehrsteilnehmer ohne schützende Fahrgastzelle laufen Zweiradfahrer bei Alleinunfällen und vor allem auch bei Kollisionen mit anderen Fahrzeugen stets Gefahr, schwere oder sogar tödliche Verletzungen davonzutragen.
Verantwortlich bleibt der Mensch
Mit welchen Maßnahmen gegenzusteuern ist, zeigt der aktuelle Verkehrssicherheitsreport von Dekra auf. Wie die Reports der vergangenen Jahre soll auch diese Publikation in erster Linie wieder Denkanstöße liefern – für Politik, Verkehrsexperten, Hersteller, wissenschaftliche Institutionen sowie Verbände. Zugleich soll er Ratgeber sein für Zweiradfahrer und alle weiteren Verkehrsteilnehmer, die durch ihr partnerschaftliches Verhalten, durch gegenseitige Rücksichtnahme und verstärktes Risikobewusstsein sowie die Beachtung von Sicherheitsstandards dazu beitragen können, die Zahl der Verunglückten und Getöteten auf den Straßen nachhaltig zu verringern. Abschließend dürfe aber eine klare Maßgabe nicht vergessen werden: „Um gefährliche Situationen im Straßenverkehr möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen, sind und bleiben verantwortungsbewusstes Verhalten, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein hohes Maß an Regelakzeptanz seitens aller Verkehrsteilnehmer unerlässlich“, so Dekra-Vorstand Clemens Klinke.
Sie haben den Verkehrssicherheitsreport gemeinsam vorgestellt: Stefan Kölbl, Vorsitzender des Vorstands (rechts) und Clemens Klinke, Vorstandsmitglied, Dekra SE
All Informationen zum Dekra Verkehrssicherheitsreport 2020 findet man hier: http://www.dekra-roadsafety.com
(Dekra/bic)
Titelfoto: Erik Tanghe/Pixabay