So mancher Verkehrssünder schafft es mit Hilfe (vermeintlich) pfiffiger Anwälte, sich bei seinem ordnungswidrigen Handeln das eigentlich „verdiente“ Bußgeldurteil zu ersparen, -und ziehen mit einem Verwarnungsgeld von 55 Euro aus dem Gerichtssaal des Bußgeldrichters. Durch diesen Schachzug wird etwa ein Handysünder mit seinem Verstoß gegen § 23 Absatz 1a StVO nicht in das Fahreignungsregister (FAER) eingetragen und der Täter erhält für sein gefährliches Handeln keinen Punkt. Sinnvoll ist dies nicht, weil dadurch gefährliche Fahrer keine Rückmeldungen ihrer Fahrerlaubnisbehörde erhalten und keinen Anlass dafür sehen, ihre Fahrweise zu ändern. Bußgeldrichter, die derart milde urteilen, und Anwälte, die derart ihre Mandanten beraten, haben zuweilen nicht bedacht, dass das Punktsystem nur dann wirkt, wenn besonders gefährlich handelnde Täter nur dann ihr gefährliches Handeln im Straßenverkehr verbessern können, wenn sie auch Punkte erhalten.
Regeln für die Ermäßigung einer Geldbuße
Im Ordnungswidrigkeitengesetz gibt es die Regelung des § 17 Absatz 3, wonach als Grundlagen für die Höhe der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft, heranzuziehen sind. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen als dritte Möglichkeit für eine Ermäßigung in Betracht.
Nach der Regelung des § 28a StVG ist bei einer lediglich mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ermäßigten Geldbuße für die Eintragung von Punkten in das Fahreignungsregister der im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelsatz maßgebend. Das heißt, es würde einem Täter nichts nützen, wenn sein Anwalt gut mit dem Richter verhandelt hat. Er würde trotzdem Punkte für sein gefährliches Handeln erhalten.
Für die beiden anderen Ermäßigungsmöglichkeiten, also der Bewertung als ordnungswidriges Handeln von geringer Bedeutung oder einem geringen Vorwurf an den Täter gilt die vorgenannte Regelung nicht. Das heißt, ein Täter, für dessen Handeln keine Geldbuße von mindestens sechzig Euro festgesetzt worden ist, geht punktetechnisch leer aus. Die Rechtsgrundlage dafür ist in § 28 Absatz 3 Nr. 3a unter bb) zu finden.
Bußgeldrichter, die demnach Delikte, für die im Bußgeldkatalog Geldbußen von 60 Euro und mehr vorgesehen sind, wie zum Beispiel 21 km/h innerhalb einer Ortschaft zu schnell gefahren zu sein, in den Bereich eines Verwarnungsgeldes bis 55 Euro herabstufen, ersparen den Tätern dadurch die „wohl verdienten“ Punkte. Gründe für diese „Gnade“ liegen oft in einem guten persönlichen Verhältnis zwischen dem Anwalt und dem Bußgeldrichter.
Das Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktsystem)
Das Mehrfachtäter-Punktsystem bezweckt nach der richtigen Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ausweislich der Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 StVG den Schutz vor Gefahren, die von Fahrzeugführern und -haltern ausgehen, die wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßen haben (BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 3 C 21/07, BVerwGE 132, 57-63, Rn. 15). Werden die Verstöße gar nicht erst eingetragen, weil ein Bußgeldrichter das betreffende Delikt herunterstuft, kann das Punktsystem seinen Zweck, die Allgemeinheit der Verkehrsteilnehmer vor gefährlichen Fahrern zu schützen, nicht erfüllen.
Eine nicht zu vernachlässigende Tatsache für dieses gefährliche Handeln von Anwälten und Richtern mag darin zu finden sein, dass Volljuristen es weder in ihrem Studium, noch in der praktischen Juristenausbildung (Rechtsreferendariat) erlernt hatten, wozu das Punktsystem dient. Auch in ihren späteren Berufen sehen sie dieses System zumeist einseitig aus ihrer beruflichen Sicht als Verteidiger und Richter in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit, weil sie keinen tieferen Einblick in die besonderen Regelungen des Gefahrenabwehrrechts erhalten haben. Sie wissen schlicht nicht um die Zusammenhänge zwischen gefährlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten und dem Fahreignungsrecht, das diese Täter mit Hilfe behördlicher Maßnahmen zum Schutz aller Verkehrsteilnehmer bessern möchte.
Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Konsequenzen
Das Bundesverfassungsgericht hat seit Jahrzehnten eine eigene Auffassung zum Fahreignungsregister und meint:
„Ob eine straßenverkehrsrechtliche Bestrafung in die Kartei (Verkehrssünderkartei) eingetragen wird oder nicht, kann der Gesetzgeber nur von sachgerechten Gründen, insbesondere von der Schwere des Unrechtsgehalts der Übertretung abhängig machen. Ein Absehen von der Eintragung, die an einem lediglich zufälligen, unwesentlichen tatsächlichen Unterschied anknüpfte, verstieße gegen das Willkürverbot.“ (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1963 – 1 BvL 15/60, BVerfGE 16, 246-253)
Es ist also klar: Wenn ein potenziell gefährlicher Verkehrsverstoß nur deswegen nicht in das Flensburger Verkehrssünderregister eingetragen wird, weil ein Richter diese Eintragung umgeht, liegt potenziell ein willkürliches Handeln vor, das der Gesetzgeber so nicht vorgesehen hat.
Fazit
Bußgeldrichter tragen ein hohes Maß an Verantwortung, und zwar nicht nur für die von ihnen zu entscheidenden Bußgeldfälle, sondern auch weit darüber hinaus für die Funktionsfähigkeit des Punktsystems, mit dessen Hilfe zwischen potenziell gefährlich handelnden und harmlosen Verkehrsteilnehmern unterschieden wird.
Nehmen Entscheidungen überhand, die gefährlichen Fahrern ihre Punkte „ersparen“, wird der Straßenverkehr gefährlicher und selbst die Angehörigen der in diesem „gnädigen“ Sinne beratenden Anwälte und entscheidenden Richter werden dadurch potenziell gefährdet, zumal sie zumeist über Personen entscheiden, die in ihrem eigenen örtlichen Zuständigkeitsbereich leben und fahren.
Weiterführende Links:
§ 4 StVG – Fahreignungs-Bewertungssystem
hier klicken
§ 28 StVG – Führung und Inhalt des Fahreignungsregisters
hier klicken
Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (Punktebewertung)
hier klicken
§ 17 Absatz 3 OWiG – Höhe der Geldbuße
hier klicken
Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.
Abbildung: Pixabay