Cannabis – neue Rechtslage – alte Probleme
Unter diesem Motto veranstaltete der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) – Landesverband Baden-Württemberg – sein diesjähriges Symposium. 85 bildungshungrigen Polizisten und Juristen wurde am traditionellen Termin, erster Montag und Dienstag im Dezember in der Evangelischen Akademie Bad Boll ein abwechslungsreiches Programm rund um das Thema Cannabis geboten.
Verkehrspolitik gestern – heute – morgen
Man könnte meinen, dass nach der Teillegalisierung von Cannabis mit Wirkung ab dem 1.4.2024 und der nachfolgenden Änderung der Tatbestände der §§ 24a (0,5-Promille-Grenze/Tetrahydrocannabinol-Grenzwert) sprichwörtlich „alle Messen gesungen“ worden seien. Dem ist jedoch nicht so, denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Somit ist zwar nach wie vor klar, dass der politische Wille der (zerbrochenen) Ampelkoalition uns noch eine Weile erhalten bleiben wird, aber wie die teilweise schwer verständlichen, unbestimmten Rechtsbegriffe der neuen Vorschriften ausgelegt werden sollen, ist beileibe nicht klar.
Tatsächlich existiert nun auch die Befürchtung der erfolgreichen Legalisierungsbefürworter, dass eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung das Rad der Geschichte um eine Umdrehung zurückdrehen könnte, aber das erlaubt allenfalls einen Blick in die berühmte Glaskugel.
Impulsvorträge
Folgende interdisziplinär miteinander verbundene Themen wurden von den Referenten im Rahmen des zweitägigen Symposiums vorgestellt:
Prof. Dr. Thomas Daldrup, emeritierter Professor für Toxikologie an der Universität Düsseldorf, Institut für Rechtsmedizin, Düsseldorf, trug zu dem Thema „Der neue THC-Grenzwert – Rückblick und Analyse“ vor.
Dr. Birgit Kollbach-Fröhlich, Verkehrspsychologin bei der Dekra Akademie und Leiterin des medizinisch-psychologischen Dienstes bei der Dekra-Akademie erklärte ihren gespannt lauschenden Zuhörern ein neues, internationales Programm der beiden EU-Staaten Estland und Deutschland zur „Prävention mit VR-Brillen“.
Ulrike Dronkovic, Fachanwältin für Verkehrsrecht und für Strafrecht in der Kanzlei Knabben, Schmitz, Seelhorst & Partner RAe mbB, Köln, erklärte die Änderungen des Fahrerlaubnis-/Fahreignungsrechts, die im Zuge der Cannabis-Reform durch den Deutschen Bundestag und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr sowie den 16 im Bundesrat mehrheitlich zustimmenden Bundesländern vereinbart und in Kraft gesetzt worden waren.
Attila Bülent Idill, ein Pädagoge, Content Creator zum Thema medizinischer Cannabis und Cannabis Patient, nahm seine Zuhörer mit in das Thema Medizinalcannabis und der Autor dieser Kolumne schloss die Fortbildungsveranstaltung mit einem Überblick über die neuen Ordnungswidrigkeiten aus dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) ab.
Thomas Maile, seit Jahrzehnten der organisatorische Dreh- und Angelpunkt des BADS in Baden-Württemberg, führte wie gewohnt souverän und humorvoll durch das inhaltlich abwechslungsreiche, aber auch fachlich anspruchsvolle Programm
Fachliche Highlights
Der fachliche Höhepunkt schlechthin war das Referat des bekanntesten deutschen Toxikologen, Prof. Thomas Daldrup. Eine enorme verkehrs- und rechtspolitische Brisanz erhielt sein Vortrag, weil Prof. Daldrup ein Mitglied der immer noch fortbestehenden Grenzwertkommission des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) ist, das mitsamt seinen Kollegen jüngst vom Verkehrsminister Volker Wissing ausgebootet worden war, weil sich das Expertengremium geweigert hatte, den politisch erwünschten Grenzwert für die Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis auf den gewünschten Wert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum anzuheben. Bekanntlich hatte der Verkehrsminister sich willfährige Menschen gesucht, die den Anschein von Fachlichkeit erweckten und eine empfehlende Anhebung auf den erwünschten Wert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum gewährleisteten (Anm.: verbale Zuspitzung durch den Kolumnisten, nicht durch Prof. Daldrup).
Daldrup wies in seinem Vortrag auf zahlreiche Schwächen beim Zustandekommen des neuen Grenzwertes hin. Dabei erklärte er sorgfältig und allgemeinverständlich auch komplexe toxikologische Zusammenhänge, die die erfolgte Grenzwertanhebung aus Sicht seiner Zuhörer als einen willkürlichen politischen Akt erscheinen ließen. Insbesondere zwei Fakten drängten zu dieser Einschätzung: Zunächst umfasste die Studie, aufgrund deren Ergebnissen der Grenzwert angehoben wurde, lediglich 20 (!) Probanden und zweitens wurden die Ausgangswerte der Berechnung des neuen Grenzwertes willkürlich errechnet. Bezeichnend waren auch die Aussagen derjenigen Bundestagsabgeordneten, die sich in der Bundestagsdebatte zu Wort gemeldet hatten und in toto ohne Scheu ihr wissenschaftliches Unwissen öffentlich und nachlesbar im Parlamentsprotokoll zur Schau stellten – mehr als peinlich.
Birgit Kollbach-Fröhlich stellte eine neue VR-Brille nebst Videomaterial vor, das einen Betrachter mittels VR-Technik in die Situation versetzte, einen Verkehrsunfall nacherleben zu können. Dieser hatte sich in Estland ereignet und in dessen Folge mehrere Jugendliche zu Tode kamen. Grund: Der Fahrzeugführer war stark alkoholisiert und erhielt im Ergebnis eine mehr als sechsjährige Freiheitsstrafe sowie lebenslanges Bereuen seines kriminellen Fehlverhaltens. Ein vollkommen neuer und sehr innovativer Präventionsansatz, der es unbedingt verdient, gefördert zu werden.
Die Fachanwältin Ulrike Dronkovic erläuterte fachlich souverän die komplizierten verwaltungsrechtlichen Zusammenhänge des neuen Fahreignungsrechts, die für Polizeibeamte mit eher repressivem Denkansatz eine neue Gedankenwelt beinhalteten, auf die sich nicht jeder Zuhörer einlassen wollte. Im Zentrum ihrer Betrachtung standen zentrale Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts und die neuen Normen der Fahrerlaubnis-Verordnung nebst ihrer Anlage 4. Sie räumte dabei auch mit dem – auch vom Deutschen Bundestag verbreiteten – juristischen Märchen auf, dass die Wirkungen von Alkohol und Cannabis auf den menschlichen Körper vergleichbar wären, was sie nun einmal nicht sind.
Sehr verdienstvoll war der eindrucksvolle Vortrag des Cannabis-Patienten Attila Bülent Idill, weil er seinen Zuhörern schnell und authentisch klarmachen konnte, dass ein Patient, der mit medizinischem Cannabis behandelt werden muss, weil kein anderes Medikament beim Unterdrücken seiner Krankheitssymptome hilft, ganz anders zu beurteilen ist, als ein Konsument illegal erworbener Cannabisblüten. Interessant wird zu beobachten sein, wie seine in allen 16 Bundesländern stattfindende und verdienstvoll geplante Präventionskampagne zum Thema Medizinalcannabis sich in den nächsten Monaten von der Gruppe illegaler Internetärzte abgrenzen wird, die Medizinalcannabis verschreiben, ohne ihre sogenannten „Patienten“ jemals in Augenschein genommen und eine tatsächliche Krankheit verantwortungsbewusst diagnostiziert zu haben.
Der Verfasser dieser Kolumne ergänzte in seinem abschließenden Vortrag, dass das Medikamentenprivileg des § 24a Abs. 4 StVG, nur dann gilt, wenn der Cannabiskonsum aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Ein Cannabisnutzer ist also nur dann kein Täter des § 24a StVG, wenn er unter einer „konkreten Krankheit“ leidet, d. h. nicht nur gegenüber einem „Internetarzt“ eine Krankheit behauptet, die zu einer Cannabistherapie passen würde. Sodann muss es sich um eine „bestimmungsgemäße Einnahme“ handeln, das heißt, ein tatsächlich behandelnder Arzt muss genau vorgeben, wie das Medizinalcannabis konsumiert werden muss, in welcher Dosis und ob eine Kombination mit anderen Arzneimitteln oder gar Alkohol gestattet ist. In vielen Fällen darf zum Beispiel kein Joint in Verbindung mit Tabak geraucht werden, sondern das Medizinalcannabis muss vaporisiert, also auf hoher Temperatur verdampft werden. Schließlich ist festzustellen, dass ein Polizeibeamter nur sehr selten vor Ort mit einer Verkehrskontrolle die Möglichkeit haben wird, eine bestimmungsgemäße Einnahme nachzuvollziehen, die zum Beispiel bei einer Überdosierung stets ausgeschlossen ist.
Fazit
Das Symposium des BADS Baden-Württemberg setzt Maßstäbe für informative Fortbildungsveranstaltungen dieser Art. Ein großes Lob gilt dem Organisator und Moderator dieser Veranstaltung, dem es gelungen ist, insbesondere seinen Kolleginnen und Kollegen aus der Polizei Baden-Württemberg zahlreiche aktuelle Erkenntnisse aus Toxikologie, Pädagogik und Rechtswissenschaft zu vermitteln.
Weiterführende Links
Programm des Symposiums und Referenten
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Webseite des BADS
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§ 24a StVG
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Standpunkt Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie zur Grenzwertproblematik
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Müllers Kolumne Oktober 2023 zum Thema Cannabis
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Bundestagsprotokoll vom 25.4.2024 TOP 20, S. 21436 ff.
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik
Foto: Julia Teichmann/Pixabay