Das Bundesverfassungsgericht nahm im Mai Stellung zur Problematik der Halterverantwortlichkeit von Falschparkern. Die Entscheidung sorgte in den Medien für Furore, weil sie als vollständiger Freifahrtschein für Falschparker missverstanden wurde. Ein Freifahrtschein ist die Entscheidung nicht, wohl aber eine Bestätigung der verkehrspolitisch unbefriedigenden Rechtslage.
Was war geschehen?
Grundlage des Falles war ein Überschreiten der zulässigen Höchstparkdauer, das von der Bußgeldbehörde gegenüber dem Fahrzeughalter mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 30 Euro geahndet wurde, obwohl von der Bußgeldbehörde zuvor kein Versuch unternommen worden war, den für den unbestritten vorliegenden Parkverstoß verantwortlichen Fahrzeugführer zu ermitteln. Sowohl das Amtsgericht, als auch das nachfolgend entscheidende Oberlandesgericht schlossen nach dem Einspruch des Fahrzeughalters von dem tatsächlich bewiesenen Parkverstoß darauf, dass der Fahrzeughalter auch den Verstoß begangen haben musste. Das war juristisch falsch und wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgehoben.
Wie ist die tatsächliche Rechtslage?
Juristisch gesehen geht die Entscheidung des BVerfG vollkommen in Ordnung. Es ist seit fünf Jahrzehnten gängige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und seit mehr als 20 Jahren auch des BVerfG, dass man von der Haltereigenschaft nicht auf die Fahrereigenschaft schließen darf, sondern eine solche durch erfolgreiche Ermittlungen erst einmal beweisen muss.
Fahrzeughalter werden nach einem von einer Politesse festgestellten und per Foto dokumentierten Verstoß im ruhenden Verkehr von der zuständigen Bußgeldbehörde entweder als Betroffene (= mögliche Täter) oder als Zeugen angeschrieben. Das tatsächliche Kernproblem liegt darin, dass ein Fahrzeughalter immer dann die Antwort auf die behördliche Frage, wer denn das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt gefahren habe, verweigern darf, wenn ein Familienangehöriger das Fahrzeug tatsächlich gefahren hat. Zudem muss er nicht zugeben, selbst das Fahrzeug gefahren zu sein. Nach geltendem Verfahrensrecht darf ein Täter sogar lügen, bis ihm seine Lüge behördlich nachgewiesen wurde. Dies fällt bei Verstößen im ruhenden Verkehr, bei denen es für die Falschparkvorgänge regelmäßig keine Zeugen gibt, sehr schwer. Das Zeugnisverweigerungsrecht, keinen Angehörigen benennen zu müssen, bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass diese Delikte ohne eine Mitwirkung des Fahrzeughalters regelmäßig nicht aufgeklärt werden können, und zwar selbst dann nicht, wenn der Fahrzeughalter tatsächlich selbst das Fahrzeug falsch geparkt hatte und einfach die Auskunft verweigert. Dies ist ein im Prozessrecht verbriefter Freifahrtschein für Falschparker.
Diese im Gerechtigkeitsempfinden rechtstreuer Fahrerinnen und Fahrer spürbare Misere wird nur dadurch etwas abgemildert, dass nach dem vom BVerfG schon vor vielen Jahren juristisch abgesegneten Paragraph 25a Straßenverkehrsgesetz StVG der Fahrzeughalter bei Verstößen im ruhenden Verkehr eine pauschale Gebühr in Höhe von 23,50 Euro für die durch die Ermittlungen entstandenen Verwaltungskosten bezahlen muss. De facto bedeutet dies, dass ein Falschparker nach einem entdeckten Parkverstoß und Erhalt eines Anhörungsbogens nur die Rechnung aufmachen muss, bei einem Parkverstoß, für den das Verwarnungsgeld höher ist als 23,50 Euro, nichts zu sagen. Dann bekommt er regelmäßig nur einen Leistungsbescheid in dieser Höhe und der Fall ist erledigt.
Was sollte sich ändern?
Das Nachsehen haben bei den zahlreichen Verstößen von Falschparkern regelmäßig die benachteiligten Gruppen von Verkehrsteilnehmern, die regelmäßig unter dem rechtswidrigen Verhalten der Falschparker leiden müssen, das heißt im Wesentlichen Fußgänger und Radfahrer, die den Verkehrssündern, die nicht selten genau wissen, dass sie falsch parken, ausweichen müssen. Falschparker rechnen mit einer geringen Kontrolldichte durch Politessen und hoffen darauf, nicht entdeckt oder selbst für entdeckte Verstöße nicht belangt zu werden. Leider geht diese Rechnung jährlich millionenfach auf.
Der geltende und im Paragraph 107 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz gesetzlich festgeschriebene Gebührensatz ist seit Jahrzehnten nicht angepasst worden und schreckt wirklich niemanden mehr davon ab, massenhaft Verkehrssünden im ruhenden Verkehr zu begehen. Hier ist eine selbst von der Verkehrsministerkonferenz schon vor Jahren angeregte deutliche Gebührenerhöhung zum Beispiel auf einen Betrag von 100 Euro längst überfällig. Dann nämlich würde die besagte Rechnung der Verkehrssünder anders ausfallen, sie würden sich eher an die Verkehrsregeln halten oder ihre Familienmitglieder zu verkehrskonformem Verhalten verdonnern und die schwächeren Verkehrsteilnehmer hätten nicht das Nachsehen.
Weiterführende Links
Entscheidung des BVerfG vom 23. Mai 2024
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Entscheidung des BVerfG vom 11. August 2009
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Entscheidung des BGH vom 29. August 1974
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§ 25a StVG
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§ 107 OWiG
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.
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