Bundesjustizminister Marco Buschmann will die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Paragraph 142 StGB) entkriminalisieren – wenigstens ein bisschen. Er will das Entfernen bei Verkehrsunfällen mit Sachschäden aus dem StGB eliminieren. Weiterhin mit Strafe bedroht bleiben soll aber das Entfernen nach Verursachen eines Verkehrsunfalls mit Personenschaden – immerhin. Zu seinem Vorhaben befragt er aktuell die Verbände.
Die Unfallflucht – eine unbekannte Regelung?
In der Einleitung zu seiner Befragung stellt das Bundesministerium der Justiz (BMJ) die Prämisse voran, dass bei den als „Laien“ bezeichneten Autofahrern häufig Unsicherheiten über das korrekte Feststellungsverhalten nach einem Verkehrsunfall bestehen würden. Das ist dann allerdings doch etwas verwunderlich; denn alle Fahrschülerinnen und Fahrschüler mussten seit Jahrzehnten einheitlich lernen, dass es ihre Pflicht ist, gegenüber einem Unfallgeschädigten die notwendigen Angaben zur Unfallregulierung zu machen. So steht es sogar in Paragraph 34 der StVO zu lesen. Dass ein großer Teil von Unfallverursachern immer noch den Unfallort verlässt, ohne die Verantwortung zu übernehmen, hat im Wesentlichen andere Gründe, nämlich entweder eine Trunkenheitsfahrt, das Fehlen einer Fahrerlaubnis oder das Fahren mit einem unversicherten Kraftfahrzeug.
Die tatsächlich bestehenden Unsicherheiten über die Dauer der Wartepflicht nach einem Unfall, bei dem der Geschädigte gar nicht vor Ort anwesend ist, könnte der Gesetzgeber schnell ausräumen, indem er die vorhandene Formulierung einer „nach den Umständen angemessenen Wartezeit“ genauer fasst wie zum Beispiel durch eine 30minütige Pflichtwartezeit. Auch die unselige Rechtsdiskussion zwischen den Obergerichten und den Kommentatoren des Straftatbestandes über den Schadensbetrag, ab dessen Höhe die Fahrerlaubnis entzogen werden muss, könnte durch einen Federstrich des Gesetzgebers beendet werden. Aber die Autofahrer kennen diese dogmatischen Feinheiten der Jurisprudenz ohnehin nicht. Sie als Argumente für eine Gesetzesreform vorzuschieben, ist merkwürdig.
Werden aktuell Unfallverursacher kriminalisiert?
Das nämlich behauptet das BMJ und will mit seinem Vorhaben, das ungewöhnlicherweise noch nicht einmal formal den ersten Schritt eines Gesetzgebungsverfahrens darstellt, besagter Kriminalisierung entgegenwirken. Aber eine solche „undifferenzierte Kriminalisierung“ gibt es aktuell gar nicht. Wohl aber gibt es seit Jahrzehnten einen Straftatbestand, der allerdings niemanden kriminalisiert, sondern ein vom Deutschen Bundestag mehrheitlich beschlossenes inkriminiertes Verhalten unter Strafe stellt – übrigens vom Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich als verfassungsgemäße Regelung eingestuft und damit keineswegs irgendjemanden zu Unrecht „kriminalisierend“. Was soll also diese plakative Wortwahl?
Wozu dient der Straftatbestand?
Nach wie vor soll mit dem Paragraphen erreicht werden, dass Unfallverursacher und deren Haftpflichtversicherungen für die Unfallfolgen einstehen sollen und gerade nicht die insoweit „unschuldige“ Versichertengemeinschaft oder gar niemand, wenn zum Beispiel beim Unfallopfer keine Voll- oder Teilkaskoversicherung besteht. Dann nämlich bleibt der Geschädigte bei der „Unfallflucht“ auf dem Schaden alleine sitzen.
Aber benötigt man für diesen Zweck unbedingt einen Straftatbestand? Nicht unbedingt, insoweit könnte man dem Gesamtvorhaben sogar einigen Charme abgewinnen. Auch eine neu zu konzipierende Verhaltenspflicht – zum Beispiel in dem bereits bestehenden Paragtaphen 34 StVO – könnte dieses Ziel womöglich erreichen, allerdings nur dann, wenn sie im hohen Bußgeldbereich etwa bei 500 Euro Geldbuße (also genau wie bei der 0,5-Promille-Regelung) und einem Monat Fahrverbot einjustiert werden könnte. Zwei Punkte im Fahreignungsregister obendrauf und die Androhung wäre zumindest eine rechtspolitische Diskussion um den Austausch zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit wert. Dann würde allerdings das BMJ zwingend eine Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr benötigen; denn für den Bußgeldkatalog und das Flensburger Sündenregister (Fahreignungsregister) ist das BMJ gar nicht zuständig.
Kann das Ziel so überhaupt erreicht werden?
Derzeit kann niemand sagen, ob diese rechtspolitische Rochade überhaupt dazu führen würde, dass sich mehr Unfallverursacher als bisher ihrer Verantwortung stellen würden. Tatsächlich gibt es bis heute keine politisch initiierte Grundlagenforschung zu diesem Straftatbestand, und zwar weder durch das BMJ, noch durch das Bundesministerium für Verkehr. Was man allerdings sagen kann, ist, dass deutlich weniger einschlägige Strafverfahren von den Amts- und Staatsanwälten zu bearbeiten wären.
Würde man allerdings ganz auf jegliche Form der Sanktionierung verzichten, gäbe es überhaupt kein Druckmittel mehr, sich nach der Fluchtfahrt vom Unfallort am nächsten Tag gegenüber der Polizei oder dem Geschädigten direkt zu erklären. Vermutlich würde die Anzahl der Unfallflüchtigen ins Uferlose steigen. weil es nicht einmal mehr ein „Kavaliersdelikt“ wäre, vom Unfallort zu flüchten. Schon heute führen kaum 40 Prozent der Strafanzeigen zur polizeilichen Ermittlung der Straftäter.
Die ominöse Meldestelle
Das BMJ präferiert anstatt der existierenden Meldepflicht gegenüber einer nahe gelegenen Polizeidienststelle die Schaffung einer neu zu konzipierenden „Meldestelle“, der gegenüber in einer standardisierten Online-Eingabemaske eine Unfallmeldung abgegeben werden könnte, nebst hochgeladenen Unfallfotos. Wo diese neue Behörde etwa angesiedelt werden könnte? Keine Ahnung. Vielleicht im BMJ?
Damit wäre jedenfalls auf den ersten Blick die Polizei als Ermittlungsbehörde erst einmal obsolet. Aber dann doch wieder nicht, weil ja der Verstoß gegen eine solche Meldepflicht oder eine sachlich unzureichend abgegebene Meldung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden müsste. Ermittlungsbehörden wären dann, je nach der Zuständigkeitsregelung in dem betreffenden Bundesland, alternativ oder in Kombination die Polizei und/oder die kommunale Bußgeldbehörde.
Das wäre im Endergebnis aber nichts anderes als eine Arbeitsverlagerung weg von der Staatsanwaltschaft hin zur Exekutive. Das klingt nicht gerade nach effizienten rechtspolitischen Überlegungen.
Und überhaupt, wer erklärt zum Beispiel betagten unfallbeteiligten Seniorinnen und Senioren, wie eine solche Eingabemaske technisch funktioniert, aus welchem Blickwinkel und mit welchen Abständen Unfallfotos und womit eigentlich anzufertigen und hochzuladen wären? Von der fehlenden Netzabdeckung in vielen Bereichen Deutschlands mit Mobilfunk ganz zu schweigen. Oder darf man die notwendigen Eintragungen gar ganz in Ruhe zuhause vornehmen? Nichts Genaues weiß man nicht.
Rabattregelung für späte Meldungen?
Bereits nach der geltenden Rechtslage verspricht der Staat Unfallflüchtigen einen Strafrabatt oder sogar einen gänzlichen Verzicht auf eine Strafe, wenn sich ein Unfallflüchtiger – gepeinigt von seinem schlechten Gewissen – innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall beim Ein- oder Ausparken mit geringem Sachschaden meldet. Tatsächlich ist nach einer solchen Selbststellung eine Unfallregulierung immer noch relativ problemlos möglich und es bedarf tatsächlich keiner Strafe. Dieser Idee kann man durchaus einigen Charme abgewinnen und sie sollte auch problemlos durch eine kleine Änderung des bestehenden Gesetzestextes umgesetzt werden können. Einer rechtspolitischen Umfirmierung des gesamten Tatbestandes für alle Unfälle mit Sachschäden bedürfte es dann allerdings immer noch nicht.
Fazit
Es ist ein wenig durchdachter Schnellschuss, den sich das BMJ da geleistet hat. Man könnte es auch politischen Aktionismus nennen. Natürlich springen die üblichen Verdächtigen eilends auf diesen Zug auf, um ihrer Klientel potenzieller Straftäter dadurch Straffreiheit zu versprechen. Ein sehr vordergründiges und fragwürdiges politisches Unterfangen. Jedenfalls bedarf es noch eines gehörigen gesetzgeberischen Grob- und Feintunings, um mit einem wirklichen Referentenentwurf erneut an die Öffentlichkeit zu treten. Tatsächlich könnte das gesetzgeberische Vorhaben aber durch eben diese dilettantische Vorbereitung schon gescheitert sein, bevor es überhaupt eine Chance zur Umsetzung bekommen hatte.
Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.
Foto: bic
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