//Die Straße das Sprechen lehren – DVR Forum ländlicher Verkehrsraum

Die Straße das Sprechen lehren – DVR Forum ländlicher Verkehrsraum

Das diesjährige Kolloquium des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) beschäftigte sich mit dem Stichwort „Digitalisierung der Straße“ und der Frage „Wie schaffen wir den sicheren ländlichen Verkehrsraum?“ Am Ende der Referate war klar: Noch schlägt das Herz als Taktgeber für die Entwicklung aller Kommunikation zwischen Fahrzeuge(n) und Infrastruktur vor allem im urbanen Raum. Ansätze für die Ausdehnung auf die Landstraßen, wo zwar nicht die meisten Unfälle passieren, aber – mit rund 60 Prozent die meisten Toten und Verletzten zu beklagen sind – beginnen erst. Von der Politik wurden mehr Vorgaben gefordert, etwa um Standards in der Kommunikationstechnik zu entwickeln. Dabei denken Protagonisten des Autonomen Fahrens bereits in Dimensionen von 6G oder darüber hinausreichende Mobilfunkstandards, um der zu erwartenden Datenflut Herr zu werden.

In der von Informations- und Meinungsaustausch geprägten, von Rundfunkjournalistin Patricia Pantel moderierten Veranstaltung umriss Dr. Sascha Knake-Langhorst vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) die überaus komplexe Herausforderung, Verkehrssicherheit durch Digitalisierung zu realisieren. Es bedarf leistungsfähiger Dienste, die es ermöglichen, Daten zusammenzuführen, die physische und digitale Welt förmlich zu verschmelzen. Fahrzeuge müssen lernen zu verstehen, Handlungen zu planen und diese einzubetten in das Gesamtsystem Verkehr mit dem Ergebnis des digitalen Zwillings zur realen Welt. Zu klären ist, mit welche gemeinsame Kommunikationstechnik zum Einsatz kommt, WLAN oder eben Mobilfunksysteme, wobei längst Vorstellungen existieren, die sogar über 6G hinausreichen. Beispielsweise erforderlich sind hochgenaue Karten, zuverlässige Schnittstellen wie etwa zu Wechselverkehrszeichen, serverbasierte Hintergrundsysteme bis hin zu sogenannten Ground Thruth-Daten (Feldvergleich) zur Validierung.

Teilhabe an Forschung und Entwicklung

Schwerpunkte der Forschung finden im urbanen Raum statt und können später auf das Land transferiert wertem. Das DLR betreibt dazu das Testfeld Niedersachsen, lernt momentan aber Basiswissen im urbanen Raum, das später überregional ausgedehnt werden kann, wenn Infrastruktur entstanden und die Mobilfunkabdeckung nicht mehr so lückenhaft ist. Mit der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) ist mit Unterstützung des Bundes, des Landes Niedersachsen und der Stadt Braunschweig eine für die Bundesrepublik in ihrer Art einzigartige Großforschungsanlage entstanden, die das komplette Spektrum der Verkehrsforschung abbilden kann. Je nach Fragestellung wird die Basisinfrastruktur ständig erweitert und an neue Aufgaben angepasst. So können wissenschaftliche Einrichtungen, aber auch kleine, mittelständische und große Unternehmen individuell an „ihren“ Themen forschen und ihre Erfindungen in Innovationen umsetzen.

In der Gesprächsrunde mit Susanne Henckel, Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, entlockte Patricia Pantel – die gemeinsam mit „Autopapst“ Andreas Keßler auch regelmäßig auf „radioeins“ die „Sonntagsfahrer“ moderiert – das Geständnis, dass Deutschland digital heute nicht absolute Spitze ist, aber: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Straßen und Schiene ist geclustert. Bei der Digitalisierung sieht sie nicht nur das Automobil, sondern Radfahrer und Fußgänger potentiell in eine Vernetzung einbezogen. Für sie sollen auch außerorts neue Wege entstehen, partnerschaftlich fürs Fahrrad wie auch für Fußgänger nutzbar. Neu Strukturen sollen den ÖPNV flexibler gestalten. Der jetzige Zustand – wie etwa morgens mit Schülern voll besetze und in den übrigen Zeiten fast leere Busse – soll abgelöst werden durch flexiblere Lösungen, etwa on demand-Angebote und kleinere Einheiten, wichtig barrierefrei. Auch hier kann Digitalisierung Bedarfe besser erkennen und neu strukturieren.

Standardisierte und schnellere Genehmigungsverfahren

Um Verkehr nachhaltig planen, Verkehrsströme gezielt zu steuern oder die individuelle Wahl von Verkehrsmitteln günstig zu beeinflussen, hat ihr Ministerium die Mobilithek entwickelt. Derzeit sind bereits 700 Partner an Bord, in Kürze sollen die Tausend überschritten werden, die Zugang zu dem wichtigen Rohstoff für moderne, vernetzte Mobilität ist heute mehr denn je auf einen wichtigen Rohstoff angewiesen: Daten, einschließlich jener, die in Echtzeit verfügbar sind. Und was Susanne Henckel wichtig war zu erwähnen: Für alle Verkehrsträger sollen standardisierte und vereinfachte Verfahren zu zügigerer Genehmigung führen, im Fokus insbesondere (Autobahn-)Brücken. Damit sind auch die Digitalisierung betreffende Infrastrukturmaßnahmen früher zu bewerkstelligen.

Das Schaufenster für autonomes Fahren präsentierte Marc Guerreiro Augusto vom Verbundprojekt BeIntelli (sprich bi intelli). Schaufenster bedeutet in dem Fall, dass einer möglichst breiten Öffentlichkeit in Berlin demonstriert werden kann und soll, was autonomes Fahren kann, damit unter anderem Bedenken oder gar Ängste erst gar nicht entstehen. Dazu, dass Fahrzeuge sowie die Verkehrsumgebung „mitdenken“ und untereinander kommunizieren können, trägt ein von BeIntelli entwickelter, skalierbarer Software-Stack bei, das Betriebssystem „KI-Mobilitäts-OS“. Die gegenwärtige Flotte besteht aus einem Pkw, einem Transporter und einem Bus, die für Experimente auf der Teststrecke und als Anschauungsobjekte für die Mobilität der Zukunft bereitstehen.

Mit dem Pkw kann der Individualverkehr (z.B. privat genutzte Fahrzeuge, Sharing-Autos und autonom fahrende Taxi-Services) abgebildet werden, der Transporter zeigt beispielsweise autonome Paketdienst- und Logistikszenarien und der Bus ermöglicht das Testen eines autonom fahrenden öffentlichen Personennahverkehrs im Zentrum der Hauptstadt. Die zur Zeit existierende urbane Teststrecke im Herzen Berlins führt vom Regierungsviertel über die Straße des 17. Juni, Hardenbergstraße und Kurfürstendamm bis zur Gedächtniskirche und stellt eine mit modernster Sensorik komplett digitalisierte Strecke dar. Mit Testbushaltestellen für den digitalisierten öffentlichen Personennahverkehr und weiterer Infrastruktur kann der aktuelle Stand der Forschungsstand auf der Straße demonstriert werden. 2023 wird der Bus autonom auf der Strecke eingesetzt, ein Sicherheitsfahrer bleibt dabei noch an Bord. Wegen der Komplexität blickt man bei Beintelli noch nicht über den Stadtrand hinaus; innerhalb dessen ist heute erst die erforderliche Sensorik zu installieren. Für die Kommunikation Standards zu setzen, dazu fordert auch dieser Referent die Politik auf.

Regelwerk, Regelwerk

Visuell tief in den Landkreis Dahme-Spreewald, genauer in den Ortsteil Pätz der Kommune Bestensee, führte Andrea Kulpe-Winkler (DVR) im Gespräch mit Patricia Pantel Die gelernte Ingenieurin leitet im DVR das Referat Verkehrstechnik und ist mit drei Jahrzehnten Erfahrungsschatz Expertin für alle Themen rund um die Verkehrssicherheit im Bereich Straßen-Infrastruktur. Sie will das Verkehrssystem so gestalten, dass es menschliche Fehler verzeiht. Per Video zeigt sie (beziehungsweise eben eher nicht) eine Bundesstraße mit Ortsschild, Bushaltestelle und Kindergarten, bei der durch die Frontscheibe eines Fahrzeugs keinerlei Hinweise auf eine innerörtliche Verkehrssituation erkennbar war, zumal eine längere Passage der nahezu geraden Straße auf einer Seite von Leitplanken flankiert wird. Wäre das bestehende Regelwerk umgesetzt, würde ein Kreisverkehr etwa auf Höhe der Ortseinfahrt das Tempo reduzieren und der Bereich der Kita wie der Bushaltestellen mit Querungen für Fußgänger sicherer werden. Mittelinseln bremsten den Kraftverkehr ein. Nicht alles könne sofort umgesetzt werden, jedoch konsequent Schritt für Schritt.

In der Schlussrunde wurde das Stichwort Regelwerk erneut aufgegriffen. Wo keine Neubau- oder Erhaltungsmaßnahmen stattfinden, gibt es in der Praxis keinen Ansatz, das Regelwerk zur Gestaltung der Straße in aktueller Form anzuwenden. Daher fordert Andrea Kulpe-Winkler regelmäßige Audits der Behörden. Auch DVR-Präsident Professor Eichendorf betont, vor jeder Unterhaltungsmaßnahme das Regelwerk zu berücksichtigen. Letztendlich bedeutet die Verschmelzung von Telematik und Fähigkeiten der Fahrzeuge ein Datenvolumen, das auch mit 5G nicht realisierbar ist – und konkretere Prognosen für den Beginn des Zeitalters autonom fahrender Automobile war auch in dieser Veranstaltung (noch) nicht festzumachen. Und auch noch diesen Hinweis gab es: Ein Aspekt für die Notwendigkeit autonom innerhalb digitalisierter Infrastruktur fahrender Busse ist der auf lange Sicht zu erwartende Rückgang der Zahl an Berufskraftfahrern.

Erich Kupfer
Foto: iStock/Adam Smiegielski / Grafik DVR

Steig aus, Du…!“

Ein Teilnehmer erweiterte in der abschließenden Fragerunde die Imagination von der Autonomie eines Automobils um dessen Sprachbefugnisse: Ausgehend davon, dass 25 Prozent der Autofahrten weniger als zwei Kilometer weit führten, weitere 25 Prozent zwischen zwei und fünf Kilometer, und dass ab einer zurückzulegenden Entfernung von 600 Metern bereits das Auto dominiere, erwartete er vom autonomen Auto, bei dem der Fahrer eine Strecke von weniger als zweitausend Metern abruft, die Anweisung: „Steig aus, Du Dickerchen (Originalzitat sinngemäß wiedergegeben).“ Da könne man doch anders hinkommen…