613 Nutzfahrzeuginsassen kamen im vergangenen Jahr bei einem Unfall in Deutschland ums Leben. Das ist ein historischer Tiefstand. Dennoch schlägt Jann Fehlauer Alarm. Der Geschäftsführer von Dekras Automobilsparte erklärte auf der IAA Transportation in Hannover Mitte September vor Journalisten „Zu viele Menschen in Europa sind im Nutzfahrzeug nach wie vor ohne angelegten Sicherheitsgurt unterwegs.“
Unfallforscher der Stuttgarter Sachverständigenorganisation fanden bei einer nicht repräsentativen Verkehrsbeobachtung in vier europäischen Ländern zwischen April und Juli dieses Jahres heraus, dass 17 Prozent der Nutzfahrzeuginsassen nicht angeschnallt waren. Für Fehlauer ist es „vollkommen unverständlich, dass sich immer noch fast jeder fünfte Nutzfahrzeuginsasse nicht anschnallt.“ Ist doch der Sicherheitsgurt nach wie vor der Lebensretter Nummer eins im Auto.
Die Gurtanlegequoten der untersuchten Länder Dänemark, Deutschland, Frankreich und Tschechien lagen nicht sehr weit auseinander. Zwischen Tschechien mit 77 Prozent und Frankreich mit 87 Prozent waren nur zehn Punkte Unterschied. Dänemark und Deutschland waren genau in der Mitte. Am meisten wird der Gurt von den Insassen von Transportern genutzt. Am zweithäufigsten folgen je nach Land mal die Insassen der schweren, mal die der leichten Lkw. Generell fiel Dekras Verkehrsbeobachtern aber auf, dass die Fahrer häufiger gesichert sind als ihre Beifahrer.
Auch wenn das erreichte Niveau der Gurtnutzung längst noch nicht ausreicht: Es ist unbestreitbar, dass in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erreicht wurden. 1992, vor dreißig Jahren, lag die Anlegequote bei den schweren Lkw miserabel schlecht bei unter zehn Prozent. Aus Befragungen wusste man schon damals, dass es nicht an der mangelnden Sorgsamkeit der Brummifahrer lag. Die waren in der Regel sogar sehr vorsichtig gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern eingestellt. Doch um ihre eigene Sicherheit kümmerten sie sich wenig. Viele hielten es für eine Schwäche, den Gurt anzulegen, und waren sich über den positiven Effekt bei der Nutzung unsicher.
Um das zu ändern, startete 2002 unter der Schirmherrschaft des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) die Aufklärungskampagne „Hat’s geklickt?“, die bis heute aktiv ist. Dabei wurden und werden Brummifahrer an Raststätten durch Broschüren und in Gesprächen mit Fachleuten über die schützende Wirkung des Gurtes informiert. Den Nutzen können sie auch praktisch erproben, etwa an Gurtschlitten oder Überrollsimulatoren. Dabei werden auch Erkenntnisse genutzt, die aus einem Dekra-Crashtests des Jahres 1998 stammen. Dabei fuhr ein Schwer-Lkw mit nur 30 km/h frontal auf ein Hindernis. Die Testauswertung anhand von Dummys ergab, dass ein nicht angeschnallter Insasse schwerste bis tödliche Verletzungen davongetragen hätte. Höchstwahrscheinlich wäre er auch noch kopfüber aus dem Fahrerhaus geschleudert und vom eigenen Lastwagen überrollt worden, sofern die Windschutzscheibe aus dem Rahmen herausgefallen wäre. Sein angeschnallter Kollege wäre dagegen mit dem Schrecken davongekommen.
Für Fehlauer und sein Team ist eines klar: Der Gurt sollte immer angelegt werden, seiner direkten Schutzwirkung wegen, aber auch weil andere Sicherheitssysteme wie der Airbag und die stabile Fahrgastzelle zwingend auf ihm aufbauen – was im Übrigen auch für die Personenwagen gilt.
Auch historisch zeigt sich die Wirksamkeit des Gurtes. Die Zahl der getöteten Insassen pro 100.000 Güterkraftfahrzeuge ging mit jedem erreichten Fortschritt zurück: 1974 mit der gesetzlichen Vorschrift zur Gurtausstattung leichter Lkw, 1976 mit dem Gebot der Gurtnutzung, 1984 mit der Einführung eines Verwarngeldes bei Nichtnutzung und 1992 mit der Ausstattungspflicht für neue Nutzfahrzeuge.
Was Dekra-Experten bereits vor gut 25 Jahren formulierten, gilt heute noch: „Von allen im Verkehr getöteten, nicht angeschnallten Lkw-Insassen hätten zwischen 40 und 50 Prozent überleben können, wenn sie den Sicherheitsgurt korrekt angelegt hätten“, sagte Jann Fehlauer. Er fordert mehr Überwachung und härtere Sanktionen, „vor allem aber ist immer noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig.“
Kristian Glaser (kb)
Foto: Dekra