Im Mai hat der Bundesrat einem Entwurf der Bundesregierung für eine „Verordnung zur Regelung des Betriebs von Kraftfahrzeugen mit automatisierter und autonomer Fahrfunktion und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ zugestimmt. Nach den beiden grundlegenden Gesetzen der Jahre 2017 und 2021 ist dies der dritte Schritt zur gesetzgeberischen Vorbereitung automatisierten und autonomen Fahrens auf unseren Straßen.
Hauptinhalte der Verordnung
Als Verordnungsgeber treten einmal mehr das Bundesministerium für Digitales und Verkehr und die 16 im Bundesrat vertretenen Länder in Kombination auf.
Nach ihrem Gusto soll die Verordnung die folgenden fünf Hauptbereiche regeln:
• Technische Anforderungen,
• Verfahrensregelungen über die Erteilung von Betriebserlaubnissen für Kraftfahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion,
• Genehmigung von festgelegten Betriebsbereichen,
• Zulassung zum Straßenverkehr sowie
• Anforderungen und Sorgfaltsvorschriften für die am Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion beteiligten Personen.
Die Verordnung sollte die beiden Gesetze aus den Jahren 2017 und 2021 ergänzen, mittels derer die gesetzlichen Bestimmungen der Level 3 bis 5 des automatisierten und autonomen Fahrens in das Straßenverkehrsgesetz aufgenommen worden waren.
Wozu die Rechtsvorschriften?
Rechtsvorschriften sollen mehrere Funktionen erfüllen, je nach Sinn und Zweck des formellen Gesetzes oder der ein Gesetz inhaltlich ausfüllenden Verordnung. Der Gesetzgeber gibt damit einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die angesprochenen Institutionen und Personen bewegen dürfen und sollen. Dadurch wird Rechtssicherheit geschaffen. Für den Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens sollte den Automobilherstellern dadurch signalisiert werden:
„Wir stehen als Bundesregierung und Bundestag hinter Euch und halten Euch den Rücken frei. Ihr dürft loslegen mit der Entwicklung und Produktion moderner Kraftfahrzeuge mit den beschriebenen technischen Funktionen!“
An die Behörden gerichtet sollten dadurch notwendige innerbehördliche Verfahren wie Planungen und Genehmigungen beschleunigt und den Herstellern die Wege buchstäblich geebnet werden. Alles Regierungshandeln und Behördenhandeln sollte nach dem strategischen Plan der Bundesregierung aus dem Jahr 2015 der Wirtschaft ermöglichen, dass die deutsche Automobilindustrie international mit dem „Leitanbieter für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge“ (Originalzitat der Bundesregierung) eine Vorreiterfunktion einnehmen kann und Deutschland auf diese Weise in einem weltweiten Wettbewerb zum „Leitmarkt“ (Originalzitat) aufsteigen kann.
Große Worte und was ist in den vergangenen sieben Jahren nach dieser Ankündigung passiert?
Der aktuelle Stand
Die ganze Misere und der wirkliche Stand des automatisierten und autonomen Fahrens in Deutschland werden an einem kleinen Beispiel deutlich.
Im ersten Gesetz zur Einführung des automatisierten Fahrens wurde im Jahr 2017 eine Pflicht zur Evaluierung des Gesetzes vorgeschrieben. Eine Evaluierung, also eine möglichst objektive Bestandsaufnahme der Wirksamkeit des in die Wege geleiteten Vorhabens, sollte zwei Jahre nach Inkrafttreten im Jahr 2019 erfolgen.
Das frappierende, aber inhaltlich wenig überraschende Fazit dieser dann im Jahr 2021 veröffentlichten Evaluation lautete (Bundestagsdrucksache 19/28800, S. 3): hier klicken
Im Mai 2022 wurde von Mercedes-Benz die erste Fahrfunktion auf dem Level 3 mit der Funktion „Autopilot“ nach der offiziellen Zulassung durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Markt eingeführt. Es erlaubt bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h für die Fahrerinnen und Fahrer eines Mercedes-Benz EQS, die Hände vom Lenkrad zu nehmen und das Auto selbständig alle Fahrfunktionen übernehmen zu lassen. Welch ein technischer Fortschritt! Welch eine Erleichterung für uns autofahrende Bevölkerung!
Kein anderer weltweit tätiger Automobilhersteller hat derzeit in Deutschland eine solche Zulassung einer hochautomatisierten Fahrfunktion des Levels 3 überhaupt beantragt. Immerhin.
Zur Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass die allermeisten technischen Probleme noch ungeklärt sind. Die vielen nicht autonomen Fußgänger und Radfahrer, der technisch nicht mittels millionenschwerer technischer Investitionen vorbereitete Verkehrsraum und die kaum messbare Vernetzung aller zwingend zu beteiligenden Akteure im Verkehrsgeschehen bilden eine Tabula rasa der Landkarte des automatisierten und autonomen Fahrens auf deutschen Straßen, die nur durch einzelne stecknadelkopfgroße Fixpunkte technischer Testfelder unterbrochen werden, die nicht einmal den Ansatz eines Netzes ergeben können.
Fazit
Wer diesen regierungsamtlich seit sieben Jahren in Etappen stilisierten Hype um die Einführung des automatisierten und autonomen Fahrens in Deutschland mit einem gewissen kritischen Abstand betrachtet, kommt nicht umhin, die ganze Sache entweder mit einem süffisanten Lächeln und entsprechenden Wortbeiträgen zu persiflieren oder ganz auf dem Boden der technischen Tatsachen zu argumentieren, dass wir uns noch an einem Punkt befinden, der sich Lichtjahre entfernt von den Träumereien technikgläubiger Automobilisti befindet. Dieser Zeitpunkt ist von einer konkreten flächendeckenden Umsetzung inzwischen so weit entfernt, dass sich kaum noch jemand getraut, eine zeitliche Prognose auch nur annähernd zu wagen.
Beide skizzierten Standpunkte werden allerdings dem Gedanken nicht gerecht, dass der Weg schon richtig eingeschlagen wurde; denn auf sehr lange Sicht wird diese Technik den Markt beherrschen und sie hat auch das Zeug dazu, irgendwann einmal zahlreiche Leben zu retten und Verletzungen zu verhindern beziehungsweise zu minimieren. Einstweilen wird es aber bei dem gesetzten Rechtsrahmen verbleiben, der nur in wirklich sehr kleinen und kaum messbaren Schritten praktisch ausgefüllt werden dürfte.
Bitte sehen Sie es dem Autor daher nach, dass er sich erst zu einem späteren, sehr viel späteren Zeitpunkt mit den Inhalten der neuen Verordnung beschäftigen wird.
Weiterführende Links
Strategie der Bundesregierung
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Deutscher Bundestag Evaluierung des Gesetzes aus 2017 BT-Drucks. 19/28800
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Meldung der Tagesschau zu Einführung von Level 3 bei Mercedes-Benz
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Bundesministerium für Digitales und Verkehr
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Bundesratsdrucksache 86/22
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.
Titelgrafik: Julien Tromeur/Pixabay