//Autonomes Fahren: Das Problem des menschlichen Versagens

Autonomes Fahren: Das Problem des menschlichen Versagens

Bereits Anfang der 2010er Jahre, als autonome Versuchsfahrzeuge die ersten Kilometer auf deutschen Straßen zurücklegten, machte man sich in der Branche Sorgen über die gesellschaftliche Akzeptanz von selbstfahrenden Autos. Immerhin ist es eine irritierende Vorstellung, dass Autos durch den dichten Verkehr selbsttätig und allein mittels Algorithmen und Sensoren fahren. Seinerzeit zog das für Entwicklung zuständige Vorstandsmitglied des damaligen Daimler-Konzerns gar eine Parallele zu den umstrittenen Atomkraftkraftwerken und mahnte zu technologischer Sorgfalt und zu einem offenen Diskurs über die gesellschaftlichen Auswirkungen automatisierter Fahrzeuge.

Heute, gut zehn Jahre später, wurde in Deutschland der weltweit erste gesetzliche Rahmen geschaffen, um selbstfahrende Autos für den „Regelbetrieb“ zuzulassen, begrenzt auf bestimmte Strecken etwa im Pendelverkehr oder als Shuttle. Doch die vor einer Dekade geforderte breite Diskussion fand über Expertenrunden hinaus kaum statt. Wer weiß beispielsweise schon, dass der Bundesrat bei den Bestimmungen zur technischen Zulassung von autonomen Fahrsystemen dafür gesorgt hat, dass die Fernüberwachung der Fahrzeuge doch nicht, wie zunächst vorgesehen, von einem ausgebildeten Ingenieur vorgenommen werden muss? Oder dass ein Technikcheck am Fahrzeug künftig nicht vor jeder Fahrt durchgeführt werden muss, sondern einmal am Tag reichen soll?

Doch die stillschweigende Erwartung, die Öffentlichkeit werde sich an maschinell gelenkte Fahrzeuge schon gewöhnen, je mehr sie in den Medien und real auf den Straßen auftauchen, geht nicht auf. Die Skepsis in der Bevölkerung und speziell bei den Autofahrerinnen und Autofahrern ist weiterhin hoch und überwiegt je nach Umfrage die Zahl der Befürworter.

Das ruft die Autokonzerne auf den Plan, gegen die Vorbehalte überzeugende Argumente zu finden, denn sie investieren riesige Summen in die als Zukunftstechnologie proklamierte Fahrzeugautomatisierung. So rief die Volkswagen-Tochter Audi internationale Fachleute zusammen, sich Gedanken über das „autonome Fahren auf dem Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz“ zu machen. Das Ergebnis ist eine gut achtzig Seiten starke Broschüre zu den Themen Recht, Ethik und Daten.

Es wird die Einschätzung geäußert, dass sich das Aussehen automatisierter Fahrzeuge stärker an den Erfordernissen der Aerodynamik orientieren wird, damit die elektrisch angetriebenen Fahrzeuge an Reichweite gewinnen. Ansonsten würden sie sich äußerlich nicht wesentlich von manuell gesteuerten Autos unterscheiden. Anders wird es sich im Innenraum verhalten, allein aus dem Grund, dass die Sitze nicht mehr in Fahrtrichtung angeordnet sein müssen und Bedienelemente wie Lenkrad und Pedale zumindest zeitweise abgesenkt werden können. Versprochen wird mehr Platz und Komfort für die Insassen, die ähnlich wie im Zug kommunizieren, sich beschäftigen oder ausruhen können.

Diese Perspektive wird nicht allen gefallen, denn auf Fahrspaß möchten viele auch in der Zukunft nicht verzichten. Die Audi-Fachleute beruhigen: „Kein Hersteller wird seine Kunden daran hindern, ihr Auto selbst zu steuern, wenn sie dies wünschen.“ Automatisiertes Fahren könne auf „unliebsame Fahraufgaben wie Stop-and-go auf der Autobahn“ beschränkt werden.

Wie Hase und Igel

Ein heikles Thema sind Hackerangriffe. Autonome Fahrzeuge seien zwar „grundsätzlich nicht angreifbarer“ als heutige Autos, meinen die Fachleute, räumen aber ein, dass die Übernahme eines vernetzten Autos von außen gravierendere Folge haben werde. Man stelle sich nur vor, ein Roboterauto liefe in einer belebten Innenstadt aus dem Ruder. Die Schutzmaßnahmen würden zwar ständig verbessert, wird beteuert. Doch die Erfahrung zeigt: Wird eine Sicherheitslücke geschlossen, arbeiten Hacker bereits an der nächsten. Das jüngste Beispiel liefert ein österreichischer Wissenschaftler, der das als recht sicher geltende schlüssellose Zugangskonzept von Tesla überlistete und sich dann die Kontrolle über das Fahrzeug verschaffte.

Damit autonomes Fahren überhaupt funktioniert, reicht es nicht, das Auto technologisch aufzurüsten, auch die Infrastruktur muss digitalisiert werden. Die Städte werden sich verändern. Soziologen warnen aber bereits davor, den Fehler des vergangenen Jahrhunderts zu wiederholen und die Ballungszentren am Bedarf des, nun digitalisierten, Autos auszurichten.

Auf der anderen Seite setzen die von Audi versammelten Experten darauf, dass die bestehenden Flächen, für das Parken wie für das Fahren, effektiver genutzt werden, weil der Verkehr mit Roboterautos „im Idealfall ohne Störungen und Staus fließen kann“. Sie gehen davon aus, dass es in erster Linie nicht Privatpersonen sein werden, die sich ein kostspieliges autonomes Fahrzeug leisten werden, sondern Sharinganbieter und Mobilitätsdienstleiter. Wenn sich in der Folge mehr Menschen Autos teilen, schlussfolgern die Fachleute, werde das die Situation auf den überlasteten Straßen entspannen. Dem ist zu entgegnen, dass auch genau der gegenteilige Effekt eintreten und die Autonachfrage erheblich zunehmen könnte. Dann nämlich, wenn neue Personengruppen das Auto für sich entdecken, man denke an Kinder oder mobilitätseingeschränkte Menschen.

Das schwierigste und heikelste Problem ist ein ethisch-philosophisches der Sicherheit, festgemacht am sogenannten „Trolley“-Szenario. Man stelle sich vor: Eine Straßenbahn fährt auf eine Menschengruppe zu, und Sie stehen an einer Weiche und könnten die Kollision verhindern. Doch auf dem anderen Gleis befinden sich ebenfalls Menschen. Wie verhalten Sie sich? Was soll ein Roboterauto machen? Die von Audi beauftragten Experten weisen darauf hin, dass letztlich nicht das autonome Auto eine solche Situation entscheiden werde, sondern seine Programmierer. Aber nach welchen Kriterien gestalten die die Algorithmen? Vor Jahren sorgte der Manager eines deutschen Autoherstellers für Aufregung. Er hatte laut darüber nachgedacht, dass der Käufer eines autonomen Fahrzeugs seines Hauses auch die Möglichkeit erhalten sollte, die für sie beste Sicherheit zu erwerben – im Zweifel also bewusst zu Lasten anderer Verkehrsteilnehmer.

Konsequenz aus dem Trolley-Dilemma

Gegenüber dieser zynischen Beantwortung des Trolley-Dilemmas vermag auch der Einwand der Audi-Experten nicht zu beruhigen, dass autonome Autos den Verkehr unter dem Strich sicherer machen werden, da ihnen menschliches Versagen nicht unterlaufe. Dieses Argument bedeutet mit anderen Worten: Wenn insgesamt für mehr Sicherheit gesorgt werden kann, kommt es auf den Einzelfall nicht an. Doch diese Art des gegeneinander Aufrechnens von Menschenleben schließt das Grundgesetz aus guten Gründen kategorisch aus. Die Würde eines jeden ist ohne Einschränkung unantastbar und das Leben nicht Gegenstand von Rechenexempeln. Es stellt sich daher ganz grundsätzlich die Frage, wie sichergestellt wird, dass weder menschliches Versagen – sei es in technischer oder in ethischer Hinsicht – noch übertriebene Profitsucht in die Software von Roboterautos implementiert wird.

Kristian Glaser (kb)

Foto: Entspannt Reisen im autonom fahrenden Auto wie im Audi grandsphere concept (Foto Audi)