//Müllers Kolumne: Streit ums Blaulicht

Müllers Kolumne: Streit ums Blaulicht

Wie das Blaulicht auf Einsatzfahrzeugen beschaffen sein muss, darum macht sie wohl kein Normalbürger ernsthafte Gedanken. Doch ganz so banal ist die Sache nicht. Denn nahezu unbemerkt wurde eine technische Vorschrift zur Ausstattung von Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht im letzten Jahr vom Verordnungsgeber (Bundesministerium für Verkehr und Bundesrat) verändert. Die Änderung sorgte für Erstaunen und Entsetzen bei den beteiligten Blaulichtorganisationen von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei. Was war geschehen und welche Auswirkungen gibt es?

Technische Blaulichtvorschriften im Verkehrsrecht

Die StVZO beinhaltet aktuell lediglich eine Vorschrift, die sich auf die Ausstattung von Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht bezieht. Sie lautet:
§ 52 StVZO – Zusätzliche Scheinwerfer und Leuchten

(3) Mit einer oder, wenn die horizontale und vertikale Sichtbarkeit (geometrische Sichtbarkeit) es für die Rundumwirkung erfordert, mehreren Warnleuchten für blaues Blinklicht dürfen ausgerüstet sein:
1. Kraftfahrzeuge sowie Anhänger, die dem Vollzugsdienst der Polizei, der Militärpolizei, der Bundespolizei, des Zolldienstes, des Bundesamtes für Güterverkehr oder der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung dienen, insbesondere Kommando-, Streifen-, Mannschaftstransport-, Verkehrsunfall-, Mordkommissionsfahrzeuge, …
Je ein Paar Warnleuchten für blaues Blinklicht mit einer Hauptabstrahlrichtung nach vorne oder nach hinten sind an Kraftfahrzeugen nach Satz 1 zulässig, jedoch bei mehrspurigen Fahrzeugen nur in Verbindung mit Warnleuchten für blaues Blinklicht. …

Die zuvor gültige Vorschrift erlaubte den Einsatzorganisationen eine auf den jeweiligen Zweck der Einsätze bezogene Anzahl von Blaulichtern an ihren Fahrzeugen. Dies war dem Verordnungsgeber zu viel des Guten und er änderte die StVZO mit der folgenden Begründung (Bundesratsdrucksache 397/20, S. 52):
Nach § 52 Absatz 3 Satz 1 sind beliebige viele blaue Warnleuchten an Einsatzfahrzeugen zulässig. Dies führt inzwischen zu einer „Übersignalisierung“ vieler Einsatzfahrzeuge durch zu viele (rundumwirksame und richtungsgebundene) Leuchten in alle Richtungen, die das Signalbild entstellt. Es verunsichert zunehmend andere Verkehrsteilnehmer in dem nach § 38 der Straßenverkehrsordnung vorgeschriebenen Verhalten und verursacht Blendgefahren.

Leider findet sich in der amtlichen Begründung für die Änderung der Verordnung keine sachliche Begründung für die Vermutung einer „Übersignalisierung“, übrigens ein von den beteiligten Juristen neu erfundener Begriff, der zuvor noch nirgendwo in der einschlägigen Fachliteratur zu finden war. Auch wird weder die Verunsicherung der Verkehrsteilnehmer durch eine Untersuchung belegt, noch die angeblichen Blendgefahren. Man darf also vermuten, dass der Verordnungsgeber bei diesem Reformvorhaben keine fachliche Grundlage zurate gezogen hat, sondern den Änderungsbedarf vermutet hat. Zudem dürften die betroffenen Einsatzorganisationen vor der überraschenden technischen Änderung entweder nicht angehört worden sein oder deren kritische Sachargumente wurden nicht auf Vereinbarkeit dem Verordnungsentwurf gehört. Beides würde sich in einem demokratisch verlaufenden Reformprozess nicht gehören.

Worum wird gestritten?

Bei der stattgehabten Novellierung ging es nicht nur um eine bloße Veränderung der Norm, sondern auch um deren Sinnhaftigkeit und um den Prozess der Novellierung.
Streitig war und ist immer noch insbesondere die Auslegung des Begriffs der „geometrischen Sichtbarkeit“, der zuvor nur für die Fahrzeuge galt, die mit gelbem Blinklicht ausgestattet sind. Das BMV wollte diesen Begriff als limitierende Größe für die Anzahl der Blaulichter verstanden wissen und bezog sich dabei inhaltlich auf eine Verkehrsblattverlautbarung aus dem Jahr 1970 (!).
Nachdem die Änderung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und dadurch in Kraft getreten ist, gab es in den Technischen Prüfstellen, die für die Hauptuntersuchungen zuständig sind, landauf landab ein Durcheinander sich widersprechender Entscheidungen. Teilweise mussten aufgrund der neuen Rechtslage vorhandene und nunmehr als zu viele befundene Blaulichter zurückgebaut werden, teilweise sahen die Prüfstellen keine Notwendigkeit dafür.

Wie kann das Problem gelöst werden?

Der Anbau und die Verwendung der Blaulichter wird auf nationaler Ebene geregelt, sodass bei entsprechenden Änderungen der StVZO keine Vorgabe einer europäischen Instanz zu berücksichtigen ist. Dadurch, dass die „geometrische Sichtbarkeit“ in der StVZO nicht geregelt, sondern lediglich als Begriff eingeführt ist, muss eine Definition auf der Ebene eines allgemeinen Sachverständigengutachtens erfolgen. Da ein aktuelles Gutachten nicht vorhanden ist, muss ein solches Technisches Regelwerk erst noch geschaffen werden. Diese Aufgabe ist nicht ganz trivial; denn neben der Fahrzeugtechnik muss insbesondere die mögliche und beabsichtigte Wirkung des Blaulichts im Verkehrsraum und auf die Verkehrsteilnehmer grundlegend untersucht werden. Die vorliegende Untersuchung aus dem Jahr 1970 ist unbrauchbar, weil zwischen den damaligen und den heutigen Verkehrsbedingungen Welten liegen.

Zudem hat der Verordnungsgeber die Aspekte der Verkehrspsychologie, insbesondere der Wahrnehmungspsychologie bislang gänzlich unberücksichtigt gelassen. Das aber ist ein schwerer Fehler; denn schließlich müssen alle Verkehrsteilnehmer bei der Nutzung der beiden Sondersignale in Kombination gemäß § 38 Abs. 1 StVO für das Einsatzfahrzeug die „Bahn frei“ machen und bei isolierter Nutzung des Blaulichts gem. § 38 Abs. 2 StVO besondere Vorsicht walten lassen. Diese Wechselwirkung zwischen dem Einsatz der Sondersignale und den beschriebenen Rechtsfolgen ist bislang nur höchst unzureichend untersucht worden, jedenfalls aber nicht auf dem aktuellen Stand des Verkehrsgeschehens. Hier gilt es, Grundlagenforschung zu initiieren und schnellstmöglich durchzuführen – und das am besten unter Beteiligung der direkt betroffenen Einsatzorganisationen. Eine isolierte Betrachtung, die sich nur auf das Blaulicht bezieht, verbietet sich jedenfalls vor dem Hintergrund, dass die StVO an die kombinierte Nutzung von blauem Blinklicht und Einsatzhorn die schärfste Rechtsfolge knüpft. Das ließ der Verordnungsgeber aus seinem technisch einseitig verzerrten Blickwinkel bislang vollends unbeachtet.

Fazit

Die aktuelle Reform der StVZO ist wiederum ein Schulbeispiel für eine Änderung des Verkehrsrechts „vom grünen Tisch“. Man glaubt es kaum, dass der Verordnungsgeber, bei dessen Denk- und Handlungsprozess immerhin mindestens 17 Personen (zumeist in der Ministerialbürokratie für das Verkehrsrecht tätige Volljuristen) direkt beteiligt sind, immer noch derart naiv tätig ist, ohne das überlegene Fach- und Sachwissen der Einsatzorganisationen zuvor kostenlos abzugreifen und in den Entscheidungsprozess zu integrieren. Nein, man handelt genau andersherum, indem eine neue Norm in die Welt gesetzt wird, in der trügerischen Hoffnung, es werde von der Anwenderseite schon irgendwie als sinnvolle Lösung akzeptiert werden. Weit gefehlt! Nun liegt es in der Hand des politisch neu geführten Ministeriums, die Scherben aufzukehren und für die Zukunft eine sinnvollere Lösung zu implementieren. Das wird aber nur im Zusammenspiel mit den Einsatzorganisationen gelingen können, und zwar auf Augenhöhe.

Weiterführende Links:

Drucksache des Bundesrates 397/20
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55. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. 2021 Teil I, S. 2204)
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.

Foto: Dieter Müller