//Rekordbranche im Umbruch

Rekordbranche im Umbruch

Die Automobilwoche feierte letzte Woche ihr 20jähriges Bestehen. Chefredakteur Burkhard Riering hat in einem Kommentar 20 Jahre jüngste Automobilgeschichte zusammengefasst. Mit freundlicher Genehmigung der Automobilwoche drucken wir seine Gedanken ab.

Manchmal sind Ideen so genial wie einfach: eine deutsche Branchenzeitung, die die gesamte Automotive-Wirtschaft abbildet. Das gab es zu Beginn des Jahrtausends noch nicht. Es kam also nicht bloß ein weiteres Fachblatt hinzu, als die Automobilwoche im Januar 2002 an den Start ging. Es war das Medium, auf das Hersteller, Zulieferer und Handel gewartet hatten.
Als die Automobilwoche startete, war die Branche im Vergleich zu heute ein relativ ruhiger See. Noch nicht viel war zu spüren vom aufkommenden Sturm, den Klimawandel und Digitalisierung verursachen sollten. Es ging vornehmlich um Modelle, Segmente, Karosserieformen und natürlich um Wettbewerb. Weil kein Autohersteller dem anderen auch nur ein Jota Marktanteil überlassen wollte, wurde jedes Segment besetzt, keine Variante ausgelassen. Am Marktanteil bemaß sich der Erfolg. Es wurde geklotzt.

Der Titelaufmacher der ersten Ausgabe vom 21. Januar 2002: Wie der designierte VW-Chef Bernd Pischetsrieder die Marken im Konzern besser voneinander abgrenzen will. Vor allem Seat und Škoda sollten schärfer konturiert werden. Das Thema reicht bis in die heutige Zeit, wenn sich Škoda, Seat und die Marke VW mal wieder in der Positionierung zu nahe kommen.
Zum Start der Automobilwoche lag der Autoabsatz in Europa bei rund 16 Millionen Einheiten. Daran änderte sich nicht viel, bis die Weltfinanzkrise 2008 ein tiefes Loch riss. Davon erholte sich die Branche gut – auch dank staatlicher Beihilfen wie der deutschen Abwrackprämie. Aktuell aber ist der Absatz wegen der Corona-Pandemie so stark eingebrochen, dass die Verkäufe in Europa im Jahr 2002 höher lagen als 2021.
Diese 20 Jahre waren auch die Zeit, in der der VW-Konzern zur Nummer eins in der Welt wurde. 2002 stand noch General Motors ganz oben. Unter VW-Patriarch Ferdinand Piëch (gest. 2019) und – nach Pischetsrieder – unter Martin Winterkorn gelangte VW an die Weltspitze. Seitdem stehen die Wolfsburger im Wettstreit mit Toyota um die Krone.
Es war auch der Beginn der Konsolidierung hin zu Mehrmarkenkonzernen, wie bei Renault-Nissan-Mitsubishi oder zuletzt im neu gegründeten Stellantis-Konzern (Peugeot, Fiat, Jeep, Opel). Es war übrigens Sergio Marchionne (gest. 2018), der damalige Fiat-Chef, der schon 2012 in der Automobilwoche davon sprach, Fiat solle eine Allianz mit Peugeot eingehen – als Gegengewicht zu VW. Acht Jahre später war es so weit.
Die deutsche Autoindustrie hat sich in den zwei Dekaden behauptet. Während vor 20 Jahren schon der Ausverkauf der britischen Industrie begann, wuchsen die Hersteller VW, Daimler, BMW und Porsche immer weiter. Bei Daimler allerdings herrschte lange Zeit Chaos, nachdem sich der Stuttgarter Konzern in den Kopf gesetzt hatte, Chrysler zu übernehmen und sich an Mitsubishi zu beteiligen. Die Irrungen und Wirrungen unter CEO Jürgen Schrempp verschlangen Milliarden. Dieser trat 2005 zurück, der Nachfolger Dieter Zetsche brauchte noch mehrere Jahre, um Daimler zu sanieren.
Einen ähnlich teuren Irrtum leistete sich Ford mit der Luxusmarkengruppe PAG. Die einzelnen Marken wie Volvo, Aston Martin und Jaguar performten nicht, die Gruppe war hoch defizitär. 2007 und 2008 wurden die Marken verkauft, PAG-Chef Wolfgang Reitzle wechselte zu Linde. Ford -beschränkte sich auf – Ford.

Thriller um VW-Porsche

Ein anderer Typ von Sanierer war Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der das Unternehmen nach schwierigen Zeiten wieder groß machte. Und zwar so groß, dass der Sportwagenhersteller dachte, er könne den weitaus größeren VW-Konzern übernehmen. Eine der verrücktesten Storys der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Porsche stürzte das Vorhaben fast in den Ruin. Das Ergebnis war, dass VW letztlich Porsche übernahm, eingefädelt von Winterkorn, dem damaligen Finanzchef Hans Dieter Pötsch und den Eignerfamilien. Geschadet hat es keiner Seite. Wiedeking nahm 2009 seinen Abschied.
Noch stärker konsolidiert wurde in der Welt der Zulieferer. Bosch kämpfte erfolgreich um Platz eins, immer im Visier von Denso und Delphi. Volkmar Denner hielt die Wettbewerber in seinen neuneinhalb Jahren als Bosch-Chef aber auf Abstand. Zwischenzeitlich indes stand Continental im Rampenlicht. Der Hannoveraner Konzern wurde in einer Geheimaktion mittels Swap-Geschäften 2008 von Konkurrent Schaeffler de facto übernommen. CEO Manfred Wennemer wollte das nicht mitmachen, auf ihn folgte im August 2008 Karl-Thomas Neumann. Der blieb allerdings nur ein Jahr, ihn löste Elmar Degenhart ab.
In Friedrichshafen ging es immer sehr viel ruhiger zu. Doch auch hier änderten sich die Zeiten, als ZF den US-Konzern TRW kaufte und plötzlich in einer anderen Liga spielte. Vom Getriebe lösten sich die Friedrichshafener zunehmend. Ohnehin ist die Zulieferbranche von einer Verschiebung von der Hardware zur Software geprägt. Sie tritt damit gegen Tech-Giganten wie Google und Apple an.
Und dann kam die große Antriebsdebatte. Zunächst ging es für den Diesel noch steil nach oben. In Deutschland lag der Anteil der Selbstzünder 2002 erstmals bei mehr als 40 Prozent. So blieb es auch lange Zeit – bis VW mit dem Dieselskandal ungewollt den Anfang vom Ende einläutete (und für den größten Betrugsfall der Autogeschichte sorgte). Gleichzeitig führte der gesellschaftliche Druck auf die Industrie dazu, dass diese den batteriebetriebenen Elektromotor in den Fokus rückte.

Disruptor aus den USA

Zunehmend schielten Topmanager deutscher Hersteller auf die Erfolgsstory eines gewissen Elon Musk, der mit seiner kleinen Firma Tesla Elektroautos baute, die sexy und cool waren. Seit knapp zehn Jahren – 2013 kam das Model S auf den Markt – treibt Musk die Branche vor sich her. (Am Rande erwähnt: Mit einem Sondertet „Das Prinzip Tesla“ gibt die Automobilwoche tiefe Einblicke in das Unternehmen. Zu bestellen über http://www.automobilwoche.de/shop )
Mittlerweile haben sich viele traditionsreiche Marken zum E-Antrieb bekannt. Die Transformation ist nicht mehr aufzuhalten. Große Namen wie der VW-Konzern mit CEO Herbert Diess haben das Ende des Verbrenners eingeläutet und schreiten hier voran. Andere, wie BMW-Chef Oliver Zipse, halten ein Nebeneinander der Antriebe noch auf lange Zeit für plausibel.

Handel im Wandel

Auch im Autohandel ist Konsolidierung und Digitalisierung das, was alles verändert hat. Neue Autobauer setzen auf den Verkauf im Netz, etablierte Player wechseln vom Vertragshändler auf das Agenturmodell. Damit nimmt die Industrie das Geschäft selbst in die Hand und tritt mit dem Kunden in direkten Kontakt. Ein Paradigmenwechsel.
Dabei ging es dem Autohandel in den vergangenen 20 Jahren gut – auch wenn die Zahl der Betriebe stetig sinkt. Größen wie Albert K. Still (AVAG), Nicholas J. Dunning (Gottfried-Schultz-Gruppe) und der 2020 verstorbene Andreas Senger (Senger-Gruppe) prägten den Markt. Und natürlich Walter Frey mit der Emil-Frey-Gruppe, die das Geschäft heute europaweit mit dominiert.
Die Mobilität von morgen soll das Leben gravierend verändern. Das Auto wird aus den Großstädten verdrängt, Straßen gesperrt, Parkraum verkleinert. Alternativen sollen her. Doch noch ist das Automobil attraktiv, individuelle Mobilität gefragt. Der nächste Megatrend, das autonome Fahren, könnte dem Auto ganz neue Horizonte bieten.

Hier geht es zum Originaltext