Ein schwerer Verkehrsunfall mit Personenschaden ereignete sich am 11. Dezember in Paris. Der Fall ist zum Gegenstand der öffentlichen Debatte in Frankreich geworden: Hat der Fahrer das Unglück verursacht, oder hatte das Auto einen technischen Defekt? Es geht um ein Tesla Model 3.
Nach Erkenntnissen der Polizei war der Fahrer mit seiner Familie privat im Model 3 unterwegs gewesen. Er hielt zunächst an einer Kreuzung mit roter Ampel, doch auf einmal fuhr der Wagen los und kam erst zum Stehen, nachdem er mehrere Passanten, Gegenstände und schließlich ein anderes Fahrzeug gerammt hatte. Ein Mensch kam ums Leben, zwanzig weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Es entstand erheblicher Sachschaden. Französische Medien berichten von einem Bild der Verwüstung.
Die Unfallursache ist bislang nicht geklärt. Die zuständigen Behörden ermitteln gegen den Fahrer wegen des Verdachts auf Totschlag. Nachdem er kurz im Krankenhaus behandelt worden war, wurde er von der Polizei vernommen. Der Mann ist seit zwanzig Jahren Taxifahrer und gilt als erfahren. Das Auto hatte er gut drei Monate zuvor gekauft. Laut seiner Anwältin fielen Tests auf Alkohol, Medikamente und Drogen, die nach dem Unfall bei dem Mann vorgenommen worden waren, negativ aus. Nach der Darstellung der Anwältin hat der Fahrer intensiv zu bremsen versucht, das Pedal sei aber blockiert gewesen.
Tesla schließt nach einer ersten Datenanalyse des Unfallautos einen technischen Fehler oder Defekt aus. Der US-amerikanische Autohersteller weist darauf hin, daß das Fahrzeug für den Unfallfahrer „recht neu“ gewesen sei. In einer von Tesla Deutschland veröffentlichten Erklärung heißt es: „Der Fall in Frankreich wäre bei weitem nicht der erste, bei dem Fahrer nach einem eigenen Fehler ihrem Elektroauto die Schuld geben.“ Die für die Verkehrssicherheit zuständige US-Behörde NHTSA habe über 220 Fälle untersucht, bei der ein Tesla-Fahrzeug unerwünscht schneller geworden sein soll. Die NHTSA habe jedoch nichts gefunden, und auch Tesla selbst sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Autos fehlerfrei funktioniert hätten. Als Grund für die aufgetretenen Probleme stellt sich Tesla auf den Standpunkt, es seien jeweils „schlicht die Pedale für Beschleunigung und Bremsen verwechselt worden“.
Der Unfall in Paris und die Diskussion um seine Ursache schlagen hohe Wellen in Frankreich. Das Pariser Taxiunternehmen G7, bei dem der Unfallfahrer beschäftigt ist, kündigte an, alle 37 Fahrzeuge von Teslas Model 3 „vorsorglich“ aus dem Verkehr zu ziehen. Die fünfzig Fahrzeuge des Models S blieben jedoch im Betrieb. G7 gehört zu den großen Taxibetrieben in Frankreichs Hauptstadt. Es vermittelt Fahrten an rund 9.000 Fahrer.
Der Pariser Bezirksbürgermeister Jérôme Coumet, in dessen Arrondissement sich der Unfall ereignete, geht in öffentlichen Äußerungen von einem technischen Defekt aus. Ihm zufolge sei das Auto mit 100 km/h in die Kreuzung gefahren. Aus ersten Untersuchungen hätten sich Hinweise ergeben, dass das Gaspedal geklemmt habe, so der Politiker.
Dem widerspricht der französische Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari. Er bestätigte Teslas Version, wonach kein technischer Mangel am Unfallfahrzeug festzustellen sei, und betonte, dass das US-amerikanische Unternehmen seine Kooperation mit den Behörden zugesichert habe. Ähnlich äußerte sich ein Regierungssprecher.
Hat Tesla ein Sicherheitsproblem?
Dennoch bricht die Reihe von Negativschlagzeilen über Unfälle mit Tesla-Fahrzeugen nicht ab, vor allem im Zusammenhang mit dem Einsatz des Fahrzeugassistenten „Autopilot“. Bereits 2016 starb der Fahrer eines Models S, nachdem der „Autopilot“ den Wagen in einen Lastwagen gelenkt hatte. Das war der erste Unfalltote im Zusammenhang mit dem „Autopiloten“. Die US-amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA untersucht derzeit elf Unfälle aus dem Zeitraum von Januar 2018 bis Juli 2021. Dabei kam ein Mensch ums Leben, 17 wurden verletzt. Jedes Mal war der „Autopilot“ aktiv gewesen, und jedes Mal war der Wagen mit Einsatzfahrzeugen der Polizei oder Feuerwehr kollidiert – in der Dunkelheit und bei eingeschaltetem Blaulicht, wie die NHTSA feststellte. Daraufhin veröffentlichte Tesla im vergangenen September eine Aktualisierung der „Autopilot“-Software, durch das sich das Blaulicht besser erkennen lassen soll. Nun moniert die NHTSA, dass Tesla keinen Rückruf vorgenommen hat, wie es bei sicherheitsrelevanten Problemen wie einem solchen Update rechtlich gefordert wird. Einen derartigen Rückruf führte Tesla Anfang November in einem weiteren Fall für insgesamt gut 12.000 Fahrzeuge mehrerer Baureihen durch. Nach einer Softwareaktualisierung beim Frontkollisionswarner war es unvermittelt zu Notbremsungen gekommen. Hat Tesla ein Sicherheitsproblem?
Seit längerem kritisieren Sicherheitsexperten die Verkaufsstrategie von Tesla. Die Bezeichnung „Autopilot“ suggeriere, dass es sich um ein vollautomatisiertes Fahrsystems wie bei einem Flugzeug handele und der Fahrer die Steuerung des Autos der Technik überlassen könne. In Wahrheit ist das Assistenzsystem ein Abstandsregeltempomat (auch ACC), der den Abstand zum Vordermann wahrt und den Wagen in der Spur hält. Der Fahrer muss aufmerksam sein und die Hände am Lenkrad halten. Bislang ist nicht bekannt, ob der „Autopilot“ zum Zeitpunkt des Unfalls in Paris aktiviert war.
Das Model 3, die Modellreihe des Pariser Unfallautos, ist wichtig für Tesla, um den Absatz hochzufahren und sich von einem Nischen- zu einem Volumenhersteller zu entwickeln. Die vollelektrische Mittelklasselimousine wird seit Sommer 2017 gebaut und seit Anfang 2019 auch in Europa verkauft. Mit einer Million ausgelieferten Einheiten ist es das meistverkaufte Elektroauto weltweit. Im September, als viele Benzin- und Dieselmodelle wegen der Chipkrise nicht angeboten werden konnten, führte das Model 3 als erstes batterieelektrisches Fahrzeug die monatliche Statistik aller neuzugelassenen Autos in Europa an.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Tesla Modell 3 (Tesla)