Verkäufer in den Autohäusern kennen das Problem: Eigentlich bräuchten sie mehrere Stunden, um dem frischgebackenen Käufer auch nur die wichtigsten Funktionen seines neuen Wagens zu erläutern. Doch erfahrungsgemäß schalten die meisten Kunden nach zwanzig, spätestens nach dreißig Minuten ab, weil es einfach zuviel ist. Mit dem Ergebnis, dass viele Besitzer eines modernen Autos nur den Bruchteil von all den technischen Finessen und Möglichkeiten kennen, die ihnen zur Verfügung stehen. Und wenn sie dann auch noch schlechte Erfahrungen machen, weil sich während der Fahrt auf der Autobahn das verflixte Lenkrad immer mal wieder verselbständigt und die Spur eigenmächtig „korrigiert“, wollen viele mit dem neumodischen Kram am liebsten nichts mehr zu tun haben. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen“, sagt die EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean, „dass ältere Menschen eher ältere Fahrzeuge fahren, die nicht mit den neuesten Systemen ausgestattet sind. Wenn ihre Fahrzeuge innovative Assistenzsysteme verbaut haben, fällt es manchen Fahrerinnen und Fahrern, gerade aus älteren Altersgruppen, schwerer, sie zu nutzen.“
Autofahrenden Senioren entgeht also oft das sicherheitsfördernde Potential moderner Technologien. Das hat Folgen: Denn: „Leider sind ältere Menschen bei getöteten ungeschützten Verkehrsteilnehmern überrepräsentiert“, stellt die rumänische EU-Politikerin fest. Die Zahlen sind beunruhigend: Jeder zweite bei einem Unfall getötete Fußgänger oder Radfahrer in der EU ist mindestens 65 Jahre alt. Mehr als jeder vierte Verkehrstote kommt aus dieser Altersgruppe.
Aus Sicht der Sicherheitsorganisation Dekra besteht sogar die Gefahr, dass die Zahl der verunfallten Senioren im Straßenverkehr in den nächsten Jahren noch weiter klettert. Denn diese Altersgruppe wächst, und mit zunehmendem Alter steigt auch die Anfälligkeit, bei einem Unfall schwerere Verletzungen davonzutragen als ein jüngerer Mensch. Dabei könnten moderne Fahrerassistenzsysteme gerade geeignet sein, „altersbedingte Defizite bis zu einem gewissen Grad auszugleichen und dazu beizutragen, dass ältere Fahrer etwa aufgrund von Fehlverhalten am Steuer seltener in Pkw-Unfälle verwickelt oder gar Hauptverursacher sind“, merkt Dekra-Geschäftsführer Jann Fehlauer an. Er weist aber auch darauf hin, dass viel Zeit vergeht, bis sich neuartige Technik durchgesetzt hat und zum Standard geworden ist.
Viele fremdeln auch mit den Neuerungen – übrigens nicht nur Senioren. Wer sein Auto sagen wir im Jahr 2005 gekauft hat und sich jetzt nach einem neuen umschaut, der wird sich beim Cockpit heutiger Modelle und bei der Bedienung via Touchscreen eventuell schwertun. Anders ergeht es vielleicht jüngeren Menschen der Generation Smartphone – vielleicht aber auch nicht. Für die Dekra bedeutet das jedenfalls: Assistenzsysteme müssen nicht nur Verbreitung finden, sie müssen auch intuitiv bedienbar sein.
Auch die Infrastruktur sicherer machen
Dabei ist die Verbesserung der Verkehrssicherheit für Senioren beileibe kein Thema allein für die Autoausstattung. Auch die Straßeninfrastruktur sollte so umgestaltet werden, wie es Sicherheitsexperten seit Jahren – um nicht zu sagen seit Jahrzehnten – vorschlagen, um objektive Gefahrensituationen auszuschließen und riskantes Verhalten einzudämmen. Man denke nur an zu kurze Ampelphasen beim Überqueren eines Fußgängerüberwegs.
Die Dekra fordert auch kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit von Senioren, etwa eine bessere Aufklärung über die speziell auf sie lauernden Gefahren im Verkehr und was sie dagegen tun können. Ferner sollten Fußgängerüberwege sicherer gestaltet werden, etwa durch Ampeln, beleuchtete Zebrastreifen oder vorgezogene Fahrbahnränder. Und auch die Radwege sollten verbessert werden, zumal immer mehr Senioren mit einem Zweirad unterwegs sind. Falschfahrten auf Autobahnen sollten eindeutiger verhindert werden, und langfristig regen die Dekra-Experten speziell in ländlichen Gegenden an, ein Mobilitätskonzept aufzubauen, damit ältere Menschen eigenständig und souverän auch ohne Auto mobil sein können. Was auch für Jüngere gut wäre.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Fahrerassistenzsysteme für Senioren, Quelle: Deutsche Verkehrswacht