Selten hat man sich als rechtstreuer Autofahrer mehr über eine Erhöhung von öffentlichen Abgaben gefreut, als über die am 8. Oktober erfolgte Zustimmung des Bundesrates zum neuen Bußgeldkatalog (BKat). Nun fehlt nur noch dessen amtliche Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt und er kann drei Wochen später, also schätzungsweise Mitte November, in Kraft treten. Vor allem die breite Zustimmung aller beteiligten gesellschaftlichen Institutionen überrascht. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass der Bundesrat bereits im Juni auf Vorschlag der Bundesregierung eine grundlegende Zustimmung dazu gefunden hat, die Zielsetzung der „Vision Zero“ als Leitmaxime in die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) aufzunehmen.
Warum erst jetzt?
Bekanntlich ging dem durch diese Reform teilerneuerten BKat eine verkehrsjuristische Odyssee voraus, deren Ursache schlicht in schlampiger juristischer Arbeit im Bundesverkehrsministerium, Bundesjustizministerium und in den 16 Bundesländern zu finden ist. Allen beteiligten Institutionen und deren Personal war ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot nicht aufgefallen; denn auf neue Belastungen der Bürger durch neue Verordnungen – wie etwa auch einem neuen Fahrverbot – muss in den Eingangsworten der Verordnung unter Benennung der Rechtsgrundlage hingewiesen werden. Das war schlicht vergessen worden, und zwar spiegelgleich zu demselben Fehler, der schon im Jahr 2010 zu einer vergleichbaren Malaise geführt hatte. Die Folgen waren damals wie heute, dass neue Vorschriften nicht angewandt werden durften und bereits ergangene und noch offene Bescheide tausendfach einkassiert werden mussten – natürlich auf Kosten der Steuerzahler.
Was ändert sich?
Es gibt drei Grundlinien der neuen StVO-Vorschriften, die zwar bereits im April des letzten Jahres in Kraft getreten waren, aber ebenfalls suspendiert wurden. Diese sind:
• Förderung und Schutz des Radverkehrs,
• Förderung des Fußverkehrs,
• Förderung der Elektromobilität und
• Förderung von Carsharing.
Die Politik hat insbesondere durch die verkehrspolitische Programmatik der beiden letztgenannten Ziele den Ordnungsrahmen der StVO stark und bis an deren Auslegungsgrenze strapaziert, denn eigentlich hat die StVO ausschließlich einen Schutzauftrag, Leben und Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer durch adäquate Normen zu schützen und ist daher prinzipiell privilegienfeindlich. Nun also nicht mehr, denn Elektromobilität und Carsharing werden politisch von einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit protegiert.
Besonders im Mittelpunkt stehen die positive Normierung des Überholseitenabstands in § 5 Abs. 4 StVO und die erwünschte Reduzierung der Geschwindigkeit beim Abbiegen mit Lkw auf Schrittgeschwindigkeit in § 9 Abs. 6 StVO. Beide Neuregelungen hätten zwar das große Potenzial, Leben zu retten, sind aber – wie übrigens alle anderen neuen und alten Verhaltensregeln auch – davon abhängig, dass eine Anhaltekontrolle durchgeführt werden kann, um die Personalien der Täter aufzunehmen. Besteht diese Möglichkeit aufgrund des allenthalben vorherrschenden Personalmangels bei der Polizei nicht, verbleibt es bei der Androhung der neuen Bußgelder und Fahrverbote in der StVO und im BKat und nichts wird sich ändern. Bekanntlich existiert in Deutschland aufgrund eines juristischen Missverständnisses keine Halterhaftung für Verkehrsverstöße – im Gegensatz zu fast allen Anrainerstaaten. Das ausschließlich deutsche Missverständnis besteht darin, das Recht der Ordnungswidrigkeiten aus rein dogmatischen Gründen dem Strafrecht gleichzustellen und auch für den kleinsten Verkehrsverstoß einen individuellen Schuldnachweis zu fordern. Dieser in Deutschland vorherrschenden Rechtsansicht folgen die anderen Staaten aus guten Gründen nicht und verurteilen die Fahrzeughalter für Verkehrsverstöße, die mit deren Autos begangen worden sind (Halterhaftung).
Aus Sicht der Verkehrssicherheit ist dies ein weiterhin fortwährender Systemfehler des deutschen Verkehrsrechts, weil Täter sich mit Nichtwissen nach wie vor eine gerechte Sanktion für ihr i.d.R. potenziell gefährliches Fehlverhalten ersparen dürfen. Nicht einmal die aus Österreich bekannte Auskunftspflicht über den Fahrzeugführer trifft den deutschen Fahrzeughalter und auf deren Einführung hatten sich sogar die 16 Länderverkehrsminister schon politisch geeinigt.
Die Zeche zahlen auch in diesem Fall die rechtstreuen Bürger, wenn Fahrzeughalter den Täter verschweigen und die bis dahin angefallenen Ermittlungskosten bundesweit in Millionenhöhe vom Steuerzahler übernommen werden müssen.
Was wird teurer?
Leider treten nur selektive Änderungen des BKat ein, weil eine schon seit vielen Jahren überfällige grundlegende Überarbeitung der Verordnung von den Verkehrspolitikern in Bund und Ländern erneut und ohne Not auf die lange Bank geschoben wurde. Der nächste Bundesverkehrsminister wird in diesem Sinne ein neuer Hoffnungsträger sein, nachdem der scheidende Minister nur dieses verkehrspolitische Stückwerk zuwege brachte.
Stückwerk ist zum Beispiel die Anhebung der Bußgelder für Geschwindigkeitsverstöße, wobei die Bußgelder bei den geringeren Überschreitungen bis 20 km/h verdoppelt wurden, während dieses schlüssige Prinzip für die deutlich gefährlicheren hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 21 km/ nur moderat erhöht wurde.
Als sehr hilfreich könnten sich die zahlreichen neu bewerteten Halt- und Parkverstöße erweisen wie Zum Beispiel das Parken an unübersichtlichen Straßenstellen oder scharfen Kurven, die allesamt auf das höchstmögliche Verwarnungsgeld von 55 Euro angehoben wurden. Ebenso wurde beim unzulässigen und für alle lästigen Halten in zweiter Reihe verfahren, dass nun ebenfalls 55 Euro kostet. Neu eingeführt und ebenso bewertet wurde gar das Haltverbot auf Schutzstreifen für den Radverkehr, das dem gefährlichen Ausweichen in den fließenden Kfz-Verkehr vorbeugen soll.
Sämtliche vorgenannten Anhebungen stehen allerdings unter der Prämisse, dass die Fahrzeugführer festgestellt werden können. Werden diese nicht gleich vor Ort ermittelt, laufen nahezu sämtliche gut gedachten Sanktionen leer.
Glücksspiel auch weiterhin geduldet
Für ein bei vielen Autofahrern beliebtes Glücksspiel ändern sich allerdings die Spielregeln.
Wer bislang keinen Parkschein gezogen hat und, die geringe Kontrolldichte einkalkulierend, zehnmal ohne Parkschein geparkt hat, um beim elften Mal erwischt zu werden, sparte – selbstredend auf Kosten der Allgemeinheit – insgesamt viele Parkgebühren. Nun wird das Bußgeld für diesen beliebten Verstoß von 10 auf 20 Euro verdoppelt, sodass die finanziellen Risiken zukünftig neu verteilt sind.
Ein anderes Glücksspiel bleibt aber unverändert. Wer als Falschparker auch bei teuren Parkverstößen wie dem Parken in Feuerwehrzufahrten (zukünftig 55 Euro) weiterhin „Erinnerungslücken“ aufweist, an welchen Parksünder das Auto „verliehen“ wurde, zahlt auch weiterhin nur die Bearbeitungsgebühr in Höhe von 23,50 Euro, wenn der Fahrer innerhalb der dreimonatigen Verjährungsfrist behördlich nicht ermittelt werden konnte. Dieses sozialschädliche Glücksspiel kann nur vom kommenden Deutschen Bundestag durch eine deutliche Anhebung der ohnehin seit vielen Jahren unverändert niedrigen Gebühr beendet werden.
Weiterführende Links:
Beschluss des Bundesrates zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO:
hier klicken
Beschluss des Bundesrates zur BKatV:
hier klicken
Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.
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