Manche Menschen haben von den jüngsten Innovationen bei Sicherheitsgurt und Airbag praktisch nichts: Für große und schwere Personen bieten sogenannte adaptive Systeme keinen Vorteil. Die sind beispielsweise mit einem Beschleunigungssensor verbunden, der in Blitzesschnelle die Unfallschwere signalisiert. Weitere Sensoren sind etwa in der Sitzschiene oder im Sitz untergebracht, um die Größe oder das Gewicht des Insassen zu messen. Wie weit ein Gurt herausgezogen wurde, lässt Rückschlüsse zum Körperumfang zu, also ob der Mensch schlank oder füllig ist. Alle diese Information lassen sich nutzen, um Airbag und Gurt mit optimaler Schutzwirkung auszulösen. Der Gurtstraffer spannt dann nur so stark wie nötig, damit der Brustbereich nicht unnötig belastet wird, und der Airbag wird nur so sehr gefüllt, dass der Insasse sanft in ihm „landet“.
Von genau diese Entwicklungen gehen bei großgewachsenen oder schweren Menschen ins Leere, wie der ADAC und sein österreichisches Pendant, der ÖAMTC, in Crashtests herausfanden. Dabei setzten sie nicht nur, wie sonst üblich, einen Dummy („Versuchspuppe“) mit den Standardmaßen eines 77 Kilogramm schweren Mannes ein. Vielmehr platzierten sie auch Dummys aus verschiedenen Gewichtsklassen von 50 bis 125 Kilogramm und in Größen von 1,50 Meter bis 1,90 Meter hinter das Steuer der Crashtestfahrzeuge.
Die Versuche simulierten Frontalkollisionen mit über 50 km/h. Dabei zeigte sich, dass die adaptiven Systeme gegenüber den rein konventionellen Systemen tatsächlich einen Sicherheitsgewinn darstellen – das gilt aber nur für bestimmte Dummy-Typen, nämlich für die ältere Dame, die kleine Frau und den normalen Mann. Für große und schwere Menschen lautet das Fazit: „Die verwendeten adaptiven Sicherheitssysteme könnten im Ernstfall beide aufgrund des höheren Gewichts mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend zurückhalten“, wie ÖAMTC-Verkehrstechniker David Nosé feststellen musste.
Der ADAC erläutert, warum das so ist: Adaptive Rückhaltesysteme können immer nur für eine „weichere“ Wirkung sorgen, um Verletzungen durch den heftig einsetzenden Gurt oder Airbag zu verhindern. Doch dann fehlt es an Kraft, um große und schwere Dummys „ausreichend zurückzuhalten“.
Das ist für die Betroffenen keine gute Aussicht, zumal sie durch die konventionellen Systeme mit einiger Wahrscheinlichkeit schwere Verletzung an Lunge und Bauch erleiden, wie die Crashtests zeigten. Für dicke Menschen kommt noch die Gefahr des „Untertauchens“ hinzu. So bezeichnet man das Phänomen, dass der Beckengurt mit voller Wucht in den Bauchraum rutscht. Gravierende innere Verletzungen sind die Folge. Der ÖAMTC weist zwar darauf hin, dass die Konsequenzen bei einem ungebremsten Aufprall ganz ohne Rückhaltesystem ungleich gravierender sind. Trotzdem ist diese Situation alles andere als befriedigend.
Zum besseren Schutz schlagen die zwei Autoklubs zusätzliche Knie- und Sitzairbags vor. Auch eine mehrfache Gurtstraffung sei sinnvoll. Außerdem weisen sie auf Altbekanntes hin, nämlich auf die richtige Sitzposition (nah und entspannt am Lenkrad mit möglichst aufrechter Lehne) und auf eine korrekt eingestellte Kopfstütze (oberer Rand auf Höhe des Scheitels). Doch zufriedenstellend ist das alles nicht.
Neue Generation durch Vernetzung und verbesserte Sensoren
Ein erfolgversprechenderer Ansatz könnte in den neuesten Entwicklungen der Automobilindustrie liegen. So arbeitet Continental an einer neuen Generation Rückhaltesysteme, die durch Verbesserung der Sensorik und durch Vernetzung zu einem „umfassenden Schutzsystem“ führen sollen. Der Autozulieferer aus Hannover hofft, die „Airbagauslösungsstrategie“ durch exakte Erfassung sowohl der Unfallsituation ganz unmittelbar vor dem Crash als auch der Insassen und ihrer Position zu optimieren. Mit den Daten „können wir gezielt früher zünden und beispielsweise die Sitzlehne 300 Millisekunden vor einem Frontalcrash aufrichten“, beschreibt Continental-Entwickler Jochen Zimmermann das Konzept.
Auch die Befüllung des Airbags lasse sich präzisieren. Zu diesem Zweck tüfteln Continental-Ingenieure bereits an einer Ventiltechnologie, die es ermöglicht, den zum Auffüllen des Prallsacks benötigten Gasstrom mit einem Druck von 600 bar innerhalb nur weniger Millisekunden zu steuern. Das ist nicht ganz trivial, würde aber dazu führen, dass der Prallsack noch exakter auf die Person und ihre Sitzposition hin ausgerichtet wird. Mehr noch: Der Airbag könnte länger „stehen“ und genau so an Spannung verlieren und zusammensacken, dass der eintauchende Mensch nicht mehr zurückgeschleudert wird. Und das funktioniert hoffentlich bei allen Menschen.
Kristian Glaser (kb)
Foto: ADAC