//Unfallhotspot Landstraße

Unfallhotspot Landstraße

Unter dem Titel „Mobilität in ländlichen Räumen: Zukunft verkehrssicher gestalten“ ging es beim DVR Forum 2021 am 1. Juli um Verkehrssicherheit auf Land- und Kreisstraßen außerhalb der Ballungszentren und Städte. Auf einer neu entwickelten Online-Plattform wurde das digitale Forum aus dem Studio übertragen. 

Fast 60 Prozent der im Straßenverkehr Getöteten kommen auf Landstraßen ums Leben. „Landstraßen sind der Unfallhotspot!“, leitete DVR-Präsident Prof. Dr. Walter Eichendorf das digitale DVR Forum ein. Überholmanöver, Baumunfälle, nicht angepasste Geschwindigkeit und unterschätzte Wetterbedingungen sind die Hauptursachen für die vielen Landstraßen-Unfälle. 2020 starben hier mehr als 1.600 Menschen. 

Eine mögliche Lösung, die Zahl der tödlichen Unfälle zu reduzieren, sieht Dr. Matthias Schubert, Executive Vice President Mobility der TÜV Rheinland AG, in besserer und schlauerer Technik. Voraussetzung sei allerdings auch, dass die Autofahrer die moderne Technik richtig nutzen. „Wie kann die Fahrzeugtechnik die Mobilität in ländlichen Räumen sicherer machen?“, lautete seine Ausgangsfrage. In 90 Prozent der Unfälle ist menschliches Versagen die Ursache, erinnerte er an eine bekannte Erkenntnis aus der Unfallforschung. Fahrerassistenzsysteme versprechen Lösungen, Fahrfehler zu verhindern. Aber auch für die modernen Fahrerassistenzsysteme stellen Landstraßen eine sehr komplexe Umgebung dar. Wechselnde Lichtverhältnisse, unterschiedliche Straßenführung, hohe Geschwindigkeiten sowie die Randbebauung und Bepflanzung erschweren es der Technik, richtig zu reagieren. 

Dennoch ist Dr. Schubert überzeugt, dass Assistenzsysteme, wie der Notbremsassistent, der Spurhalteassistent und der Müdigkeitswarner, Zahl und Schwere der Unfälle auf Landstraßen verringern können. Dazu müssen die Autos aber auch mit den Systemen ausgerüstet sein. Auch da ist der TÜV-Mann optimistisch. Die meisten dieser Systeme nutzen Kameras hinter der Windschutzscheibe. 2020 waren bereits 61 Millionen Fahrzeuge auf unseren Straßen damit ausgerüstet, 2029 sollen es bereits 371 Millionen sein. 

Fahrerassistenzsysteme regelmäßig überprüfen

Zudem müssen die Systeme über die gesamte Fahrzeuglebensdauer funktionieren, die Kamera hinter der Windschutzscheibe beispielsweise richtig eingestellt, Sensoren korrekt kalibriert sein. In der Praxis unterliegen jedoch auch die Fahrerassistenzsysteme dem Verschleiß. Oder sie werden falsch installiert, durch kleinere Unfälle oder auch durch Steinschlag verstellt. Schubert plädiert daher dafür, die Fahrerassistenzsysteme regelmäßig zu überprüfen. Zwar decke die Onboard Diagnose (OBD) bereits eine ganze Reihe von Fehlern auf, aber auch die OBD habe Grenzen. In aktuellen Fahrzeugen der Premiumklasse sei die OBD schon deutlich verbessert. Dieser hohe Standard müsse in allen Fahrzeugklassen eingeführt werden, um verlässliche Aussagen über den Zustand der Fahrerassistenzsystem zu erhalten. 

Neben der funktionierenden Technik kommt es genauso darauf an, dass der Autofahrer die Assistenzsystem auch richtig nutzt und nicht sogar abschaltet. Als Beispiel nennt Schubert den Spurhalteassistenten. Diese Systeme werden immer besser und damit steigt auch die Akzeptanz, sie zu nutzen. Manche Autohäuser bieten ihren Kunden bei der Fahrzeugübergabe eine Einführung in die neue Technik. Das sollte strukturiert und überall gemacht werden, forderte Schubert.

Projekt „Sicher in meiner Region“

Der Faktor Mensch stand auch im Zentrum des Gesprächs, das Moderatorin Patricia Pantel mit dem DVR-Consultant Tarek Nazzal führte. Nazzal berichtete über das Projekt „Sicher in meiner Region“, das der DVR zusammen mit den gesetzlichen Unfallversicherern initiiert hat. Das Präventionsprojekt richtet sich an junge Beschäftigte im Alter von 16 bis 29 Jahren. Ziel ist es, Gefahrenstellen in der Region der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu ermitteln und die in einem Seminar zu besprechen. Der Aufwand für die Vorbereitung ist enorm. Im Umkreis von 50 Kilometern um einen geplanten Seminarort bei einem Unternehmen oder einem Ausbildungsbereich werden Unfalldaten gesammelt und ausgewertet. Gefahrenstellen werden ermittelt, abgefahren und mit Video dokumentiert. So können im Seminar reale Situationen aus dem unmittelbaren Umfeld der Teilnehmer besprochen werden. „Die jungen Leute kennen die Strecken und so haben sie gleich einen Bezug zu den geschilderten Situationen“, beschreibt Tarek Nazzal das Erfolgsrezept. Oft sind es die Strecken, die sie täglich fahren. In den Seminaren diskutieren sie unter Moderation eines Trainers die konkreten Situationen. Ziel ist es, die Teilnehmer für die Gefahrensituationen zu sensibilisieren und Perspektivwechsel zu ermöglichen. Zum Beispiel: Wie fühlt sich der Autofahrer vor mir, den ich durch zu dichtes Auffahren bedränge?

Nazzal hat das Projekt begleitet und evaluiert. Und er ist überzeugt, dass es wirkt. Die Beispiele und die Diskussionen darüber führen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu verbesserter Selbsteinschätzung, einer Steigerung der Kompetenzen und zu Verhaltensänderungen. Letztlich konnten so Unfälle verhindert werden. Das Projekt „Sicher in meiner Region“ wurde 2016 als Pilotprojekt gestartet und 2019 verstetigt. Inzwischen wurden rund 2.200 Gefahrenstellen in Regionen in ganz Deutschland für das Projekt bearbeitet. 

Weitere Informationen zum Projekt und eine Übersicht über die ermittelten Gefahrenstellen unter: www.sicher-in-meiner-region.de

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Foto: Peter H/Pixabay