//Müllers Kolumne: Der gläserne Autofahrer

Müllers Kolumne: Der gläserne Autofahrer

Eine der Säue, die seit dem berühmten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wechselnd durchs politische Dorf getrieben werden, ist der sogenannte „gläserne Bürger“, bezogen auf den Straßenverkehr speziell der „gläserne Autofahrer“. Was steckt dahinter? Der Staat sorgt, so die Befürchtung vieler Menschen, mittels immer neuer Rechtsvorschriften dafür, dass er bald alles über das Verkehrsverhalten von Otto Normalautofahrer auf den Straßen weiß. Mehr noch: er speichert in stets und überall abrufbarer Form die Daten, um dem verdutzten Autofahrer das Material bei einer passenden Gelegenheit zu präsentieren und ihm dies und das mit der staatlichen Keule des Bußgeldrechts oder gar des Strafrechts anzutun.
So oder ähnlich stellen sich viele Autofahrer staatliches Handeln im Dunstkreis von Automobilität und Datenschutz vor. Dabei herrschen oft zwei Motivationen vor. Erstens sind es Autofahrer, die für ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) vehement streiten. Ein absolut achtenswerter Ansatz. Die zweite Gruppe bilden Autofahrer, die gerne einmal etwas schneller als erlaubt fahren oder es mit anderen Vorschriften nicht so genau nehmen und stets mit dem Wunsch fahren, sich bloß nicht erwischen zu lassen – ein zu missbilligender Ansatz.
Bei der anstehenden Änderung der Strafprozessordnung (StPO) liegt die Sachlage ein wenig anders, ist aber gleichwohl ähnlich brisant.
Die Bundesjustizministerin (BMJV) schlägt vor, im Strafverfahrensrecht eine neue Vorschrift des § 163g StPO zu installieren, der die automatische Kennzeichenerfassung regelt und die Strafverfolgung erleichtern soll (siehe auch Bericht vom 19. Februar). Demnach sollen zukünftig bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, also im Regelfall wohl bei organisiert begangenen Verbrechen, mittels Kennzeichenscannern alle Kraftfahrzeuge in „bestimmten Bereichen“ erfasst werden dürfen. Auf der Grundlage dieser polizeilichen Datenerfassung sollen den Ermittlern Rückschlüsse auf bestimmte Täter und Tätergruppen ermöglicht werden. Ob das wirklich funktionieren kann, bleibt vorerst im Dunkeln, denn immens sind die zu erwartenden praktischen Probleme.

Praktische Probleme im Einsatz

Die Polizei dürfte zwar den Einsatz der in vielen Bundesländern für den Bereich der Gefahrenabwehr bereits vielfach erprobten Messtechnik bei Gefahr im Verzug selbst anordnen, aber der zu erwartende Nutzwert könnte sich als sehr überschaubar erweisen, wenn man allein bedenkt, dass mit dem Erfassen eines Kennzeichens lediglich dieser Fakt feststeht, aber zunächst ungeklärt bleibt, wer überhaupt das Kraftfahrzeug bewegt hat. Technisch sollen die erfassten Kennzeichen mit einer Datenmenge abgeglichen werden, die sich auf die Beschuldigten eines laufenden Ermittlungsverfahrens fokussiert. Das heißt, die zu suchenden Kennzeichen müssen der Polizei vor deren technischer Erfassung bekannt sein, was naturgemäß im direkten zeitlichen Zusammenhang mit einer frischen Tat nicht der Fall ist. Hinzu tritt die Tatsache, dass für Fluchtfahrzeuge zumeist gestohlene Kennzeichen verwendet werden. Verbrecher aus dem Bereich der organisierten Kriminalität sind nicht dumm, sondern von Berufs wegen kriminell und ob sie mittels dieser neuen Vorschrift in ihrer Identität oder mit ihrem Aufenthaltsort überhaupt ermittelt werden können, erscheint mehr als fraglich.
Schließlich sind diese neuen Geräte auch nicht gerade preiswert, erfassen nicht immer genau die Kombination aus Buchstaben und Zahlen, können nicht auf allen Ausfallstraßen eines bestimmten Gebiets aufgestellt werden und erfordern eine intensive und personalaufwändige Logistik, aber so viel Geräte und Personal hat keine Polizei eines Bundeslandes. Der enorme personelle Aufwand wird auch daran deutlich, dass im Falle eines Ermittlungstreffers ein manueller Abgleich durch einen Polizeibeamten gesetzlich vorgeschrieben wird. Mit anderen Worten ist das menschliche Auge die Rückfallebene für die eingesetzte Technik, eigentlich ein unhaltbarer Zustand und ein Hinweis auf die Fehlbarkeit der Technik, die immerhin im Rahmen einer Strafverfolgungsmaßnahme eingesetzt wird. Hinzu tritt die damit verbundene Notwendigkeit, dass je größer der abzugleichende Datenbestand ist, ein desto höherer Personaleinsatz bei ständiger ungeteilter Aufmerksamkeit erforderlich ist.

Rechtliche Problemlage

Die Tatsache, dass auch massenhaft Daten zumeist von Fahrzeugen erfasst werden, deren Fahrer überhaupt nichts mit derartigen Straftaten zu tun haben, dürfte nur dann unproblematisch sein, wenn diese im Nichttrefferfall sofort maschinell rückstandslos gelöscht werden. So zumindest fordert es das BVerfG während des Einsatzes dieser Messtechnik. Und tatsächlich wird es genauso bereits bei dem vergleichbaren Gebrauch der Messtechnik zur Gefahrenabwehr in den Bundesländern praktiziert.
Problematisch zu sehen ist die örtlich sehr unbestimmte Formulierung „nicht flächendeckend“. Das wird wohl von der Rechtsprechung näher auszulegen sein müssen.
Dadurch, dass keine richterliche Anordnung des Einsatzes erforderlich ist, liegt die juristische Verantwortung bei den Ermittlungsbehörden selbst. Die allerdings werden ökonomisch handeln müssen, was ihnen der vorherrschende Personalmangel ins Stammbuch schreibt. Man kann geteilter Meinung zum Verzicht auf die Richteranordnung sein, sollte allerdings der polizeilichen Exekutive in einem Rechtsstaat generell den Vertrauensvorschuss geben, die ihr gegebene Ermächtigungsgrundlage stets verhältnismäßig zu nutzen. Wenn sich dann mit dieser Technik auch noch der eine oder andere Täter aus dem Milieu der organisierten Kriminalität fassen ließe, wäre durch diese Gesetzesänderung viel erreicht. Wenn …

Weiterführende Links:
Referentenentwurf des BMJV: hier klicken

Beschluss des BVerfG zur automatisierten Kennzeichenerfassung: hier klicken

Foto: Kalhh/Pixabay

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.