//US-Forscher warnen vor autonomem Fahren

US-Forscher warnen vor autonomem Fahren

US-Forscher kommen in einer aktuellen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Fahrer teilautomatisierter Autos geradezu verleitet werden, sich nicht auf den Verkehr zu konzentrieren – obwohl sie zur Kontrolle der Systeme ganz normal aufpassen müssen. „Es zeigt sich“, sagte der Leiter der Studie, Ian Reagan vom Versicherungsinstitut für Straßenverkehrssicherheit (IIHS) in den Vereinigten Staaten, „dass sich manche Autofahrer auf die Dauer in einem trügerischen Gefühl von Sicherheit wiegen lassen“. Das kann nach den Erkenntnissen der Forscher dazu führen, dass der Sicherheitsgewinn, den die automatisierten Systeme eigentlich schaffen sollen, unterm Strich verlorengeht. Denn: Alle derzeit in Serien-Pkw eingebauten Assistenten sind in ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt. In komplexen Situationen versagen sie, weil sie eben nur teilautomatisch sind. Daher wird vom menschlichen Fahrer stete Aufmerksamkeit verlangt: er muss jederzeit in der Lage ist, in die Situation einzugreifen. Laut IIHS gibt es Hinweise, dass nicht wenige Unfälle mit teilautomatisierten Autos durch das Eingreifen des Fahrers hätten verhindert werden können.

Fahrer wiegen sich in Sicherheit

Das von der US-amerikanischen Versicherungswirtschaft getragene IIHS führte nun in Zusam¬menarbeit mit dem Massachusetts-Institut für Technologie (MIT) einen Feldversuch mit zwanzig freiwilligen Autofahrern durch. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich die teilautomatisierten Systeme mit der Zeit auf die Aufmerksamkeit und das Verhalten der Fahrer auswirken. Die eine Hälfte der Probanden bekam ein Auto mit automatischer Abstandsregelung (ACC). Sie bringt den Wagen auf eine eingestellte Geschwindigkeit und hält einen Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden ein, so dass der Fahrer nur zu lenken braucht. Die andere Hälfte hatte zusätzlich eine Funktion an Bord, die das Auto in der Spur hält, die also auch das Lenken übernimmt. Beide Assistenzsysteme werden in modernen Serien-Pkw angeboten. Der Fahrer darf aber das Lenkrad nicht loslassen.
Zu Beginn der Testphase, als die Probanden noch nicht ganz mit den Assistenten vertraut waren, richteten sie alle ihre Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen. Nach einem Monat hatte sich das Bild jedoch verändert – man hatte sich an die Technik gewöhnt und Vertrauen gefasst. Da beschäftigte man sich schon einmal während der Fahrt mit der Einstellung der Klimaanlage oder des Navigationsgerätes – was bei umständlichen Menüführungen in einem Touchscreen riskant werden kann. Nicht selten warfen die ACC-Fahrer auch einen Blick auf das Handy oder telefonierten, und zwar um so häufiger, je sicherer sie im Umgang mit den Assistenzsystemen wurden.
Die Testpersonen mit automatischer Spurzentrierung an Bord neigten dazu, auch Textnachrichten zu lesen oder zu schreiben. Ian Reagan und sein Team stellten hier mehr als doppelt so häufig Anzeichen von Unaufmerksamkeit als zu Beginn des Versuchs fest. Im Vergleich zur Gruppe ohne Assistenz wurden die Hände zwölfmal mehr vom Lenkrad genommen.

Kritik an der Autoindustrie

Das US-Versicherungsinstitut für Straßenverkehrssicherheit fordert nun „strenge Maßnahmen“, mit denen sichergestellt werden solle, dass die Fahrer eines teilautomatisierten Autos dauerhaft konzentriert am Steuer sitzen. Die Wissenschaftler denken dabei an schärfere Überwachungssysteme während der Fahrt. Das IIHS übt aber auch Kritik an der Autoindustrie. Einige Hersteller machten es dem Fahrer „zu leicht, sich auf das System zu verlassen“. IIHS-Präsident David Harkey gibt zu bedenken: „Leider ist es für Fahrer um so schwieriger, sich auf das zu konzentrieren, was das Fahrzeug tut, je ausgefeilter und zuverlässiger die Automatisierung wird.“
Es kommt ein weiteres Problem hinzu. Einige Autofahrer in den USA (und nicht nur dort) gehen fälschlicherweise davon aus, dass manches teilautomatisierte System sie selbständig von A nach B chauffieren kann. Sie werden von der Werbung gezielt in die Irre geleitet. Beispielsweise nennt ein US-Hersteller von Elektroautos eine Funktion „Autopilot“, obwohl sie eben nicht erfüllt, was die Bezeichnung suggeriert. Dass sich dessen nicht alle Käufer dieser E-Auto-Marke bewusst sind, beweisen einige tragische Unfälle.
Die Pflicht des Fahrers, bei teilautomatisierten Assistenzsystemen die Hände am Lenkrad zu halten, reicht für die Sicherheit nicht aus und führt vielleicht sogar auf den falschen Weg. Denn zu groß ist die Versuchung, aus purer Langeweile mal eben zum Handy zu greifen. Das Problem liegt sogar noch tiefer: „Mit großer Wahrscheinlichkeit“, sagt Alexandra Mueller vom IIHS, „werden die Fahrer den Überblick über das Geschehen auf der Straße verlieren, wenn ihre Rolle beim Spurwechsel oder Überholen auf einen Knopfdruck reduziert wird“. Falsches Vertrauen in die Technik verleite die Fahrer dazu, dem automatischen System grünes Licht zu geben, ohne geprüft zu haben, ob die Nachbarspur wirklich frei ist.
Es stellt sich jedoch ganz grundsätzlich die Frage, wie ein Mensch seine ganze Konzentration auf das Verkehrsgeschehen gerichtet halten soll, wenn er gleichzeitig zu völliger Untätigkeit verdonnert ist. Wenn die Antwort darauf ist, dass sich die Fahrer die Kontrolle mit dem System teilen sollen, wie es Moeller fordert, macht die Teilautomatisierung nur sehr begrenzt Sinn. Außerdem werden sich die Autofahrer bedanken, wenn sie von ihrem Auto wohlmeinende Ratschläge erhalten, die zur Fahrsituation, zum Fahrziel oder zum aktuellen Fahrmanöver gar nicht passen.

(Kristian Glaser/kb/bic)
Foto: Maxx Girr/Pixabay